Unter der Lupe: Das Marburger Stadtbild
Kompetente Referate und anregende Podiumsdiskussion
Marburg (yb) Gleich vier auswärtige Experten und Kenner der Materie hatte Initiator und Vorstandsprecher Claus Schreiner eingeladen. Klartext reden über „Moderne Architektur im historischen Marburg“ waren das Anliegen des Themenabends der Initiativgruppe Marburger Stadtbild und Stadtentwicklung (IG MARSS ). Zusammen mit dem Magistrat hatten die Aktivisten der IG MARSS in den Stadtverordnetensitzungssaal in der Barfüßerstraße eingeladen. Um 18.30 mussten Stühle auf der Galerie nachgestellt werden. Gut und gerne 120 Interessierte wollten die Vorträge hören und erleben. Sie wurden nicht enttäuscht.
Allzu lokale Sichtweisen sollten es nicht sein. Die Kerngedanken des Grundsatzreferates des erkrankten Architekten, Denkmalschutz- und Baurechtexperten Prof. Seehausen wurden als Einstieg von Ulla Hirth vorgetragen. Die systematische und bestens illustrierte Übersicht öffnete Blick und Sichtweise auf die Probleme und marginalen Möglichkeiten praktischen Denkmalschutzes. Die einfache Fragestellung „Lassen sich Bausünden verhindern?“ förderte in e vielschichtiger Betrachtung vor allem Probleme und Problematisches zu Tage. Zahlreiche Bausünden in Marburg und anderswo wurden Belege für die Schwierigkeiten der Materie.
Die von Seehausen kundig zusammengestellten Fotodokumente für die große Leinwand waren selbstredend, lösten Kopfschütteln und mitunter leises Raunen aus.
Damit war das Publikum eingestimmt für den zweiten Vortrag des Abends. Die Journalistin und Architekturkritikerin Ira Mazzoni (Süddeutsche Zeitung, DIE ZEIT, art) brachte Ergebnisse ihres ausgiebigen kritischen Stadtrundgangs in Marburg ein. Mazzonis Fazit war eine ebenso prägnante Aussage wie kurzer Satz. „Es gibt keine moderne Architektur in Marburg“ war gleich zu Anfang aus ihrem Mund zu vernehmen. Ob Erlenring-Center oder Marktdreieck gegenüber, Cineplex mit Kunsthalle oder andere klotzige Kubaturen – das klare Votum der Architekturkritikerin fand keinen Widerspruch im Auditorium. Oberbürgermeister Vaupel, zugleich Schirmherr der Veranstaltung, vernahm es auf der Galerie, wo er guten Überblick auf die zahlreich Versammelten hatte.
Doch es gab auch Positives in Ira Mazzonis nachdenklich stimmenden Ausführungen. Das Ensemble der Geisteswissenschaftlichen Institute mit dem silbernen Kubus der Uni-Bibliothek als Abschluß und Auftakt fand ihr ungeteiltes Lob. „Die Bibliothek ist ein Denkmal“ waren ihre Worte, womit sie eine erneute Debatte um die Planungen für den „Campus Firmanei“ anstoßen wollte. Die anwesende neugewählte Universitätspräsidentin Prof. Katharina Krause wird dies womöglich mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis genommen haben.
Für den zweiten Teil des prallen Abendprogrammes nahmen neben Ira Mazzoni drei weitere Fachleute zur Podiumsdiskussion ihre Plätze ein. Neben dem Journalisten und Architekturkritiker Dr. Dieter Bartetzko von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) war der Platz von Prof. Maya Reiner, Dekanin des Fachbereichs Architektur der Uni Kassel. Werner Girgert, Publizist, moderierte und musste Erhard Dettmering als ausgewiesenen Marburgkenner nicht weiter vorstellen.
Der Absolvent der Philipps-Universität Dieter Bartetzko knüpfte an Mazzonis Gedanken zur derzeitigen Zukunft der Geisteswissenschaftlichen Institute samt der UB an. „Eine Ödnis im alten Klinikviertel soll mit einer neu zu bauenden Zentralbibliothek belebt werden und eine neue Ödnis wird geschaffen“ waren seine Worte. Es wird abzuwarten sein, wie die wohl begründeten Ausführungen des Frankfurter Kritikers aufgenommen werden.
Die Vorbildfunktion öffentlicher Baumaßnahmen und die alles überstrahlende Problematik der Marburger Stadtautobahn gehörten zu den Kernaussagen von Maya Reiner. Das Publikum nahm dies aufmerksam zur Kenntnis. Damit war ein weiteres Kardinalthema aufgetan, einmündend in der Forderung der Architektin von der Kasseler Uni. „Die B 3a muß zurückentwickelt werden“ waren ihre ebenso einfachen wie eindringlichen Worte.
In der abschließenden lebhaften Diskussion mit dem Publikum wurde das hohe Niveau dieses Themenabends zusätzlich bestätigt. In Einbringungen und Beispielen wurde die Liste Marburger Bausünden weiter ergänzt und vertieft. So formulierte Erhard Dettmering in seinem Schlußwort zu Recht Gedanken dazu, wie die Themen und inhaltlichen Anregungen dieses anregenden und anstössigen Abends eine Fortsetzung finden könnten.