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Mit Trommel-Rhytmus gegen Atom und zur Kundgebung

Vom Elisabeth-Blochmann-Platz ist an diesem Montagabend der Demonstrationszug über die Weidenhäuser Brücke, dann weiter zur Gutenbergstraße gezogen. Von dort ging es zum Plan und dann über die Barfüßerstraße zum Marktplatz. Von diesem Montagsspaziergang mit Hunderten Teilnehmern wird mit Bildern berichtet. Dazu wird die Ansprache des Marburger Friedens-und Konfliktforschers Johannes M. Becker, gehalten bei der Kundgebung auf dem Marktplatz, als Gastbeitrag dokumentiert.

Marburg, Marktplatz 11.4.2011  Gastbeitrag von Johannes M. Becker
Liebe Freundinnen und Freunde der Erde und ihrer Menschen,
liebe Kinder, die Ihr so zahlreich hier seid, an diesem wundervollen Tag, an diesem wundervollen Ort.
Was im Augenblick abläuft, ist eine Lügen- und Desinformationskampagne, wie sie sonst nur bei der Vorbereitung von Kriegen zu beobachten ist – und das sollte uns zu denken geben.

  • Da werden, in erster Linie natürlich über die Menschen in Japan, eimerweise Beruhigungspillen ausgeschüttet, immer wieder einmal angereichert mit winzigen Teilen der Wahrheit, wo diese nicht verschwiegen werden kann.
  • Da macht man die vor den Bildschirmen versammelte Welt hoffen auf die Verlegung eines Kabels, um die Kühlaggregate eines völlig zerstörten Meilers wieder arbeiten zu machen.

Wir lassen wir uns nicht täuschen

  • In Tschernobyl lief es genau so ab,
  • in Harrisburg nicht anders,
  • bei den kleinen und großen Unfällen der Vattenfall und Co. im Prinzip nicht anders. Immer besteht keine akute Gefahr für die  Bevölkerung.

Da beruft die Regierung eine Ethikkommission ein, die nahezu ausnahmslos mit atomfreundlichen Vertretern besetzt ist. Suggeriert wird, dass es hier um Ethik, um Werte gehen soll, die voneinander abgewogen werden können und müssen. Dass es um eine tödliche, nicht beherrschbare Technologie geht, soll dabei aus den Augen verloren werden.

Auch die Rede von der erneuten Risiko-Abwägung ist irreführend

  • als ob sich seit Tschernobyl etwas verändert habe
  • als ob seit der umfassenden Analyse vor dem Atomausstieg der hellrot-grünen Regierung, der ja langsam genug geplant war, irgendetwas zum Besseren verändert worden wäre
  • als ob die Endlager (auch wieder so ein Wort)-Frage geklärt wäre. Die ASSE-Katastrophe ist erst hinterher entdeckt worden

Wir brauchen keine „erneute Risiko-Abwägung“. Wir brauchen dringend die Abschaltung dieses Risikos. Auch die Rede davon, dass die Japaner das nicht im Griff haben, macht medial die Runde. Die alltäglichen Verunreinigungen des Meerwassers, der Kühlflüsse und der Atmosphäre bei denen in La Hague, in Sellafield und wo auch immer wird dabei tunlichst verschwiegen. Diese Technologie ist nicht beherrschbar, sie gehört schleunigst abgeschafft.

Die Regierung wie die Stromkonzerne wünschen uns möglichst schnell wieder zurück in die Büros und in die Hörsääle, in die Fabriken und in die Kinderzimmer. Den Gefallen sollten wir ihnen nicht tun.
Wenn der Wirtschafts-Gigant Deutschland aus der Atom-Kraft ausstiege, hätte das ungeheure Wirkungen auf den Rest der Industrieländer. Wir würden den Faden der Innovation bei den regenerativen Technologien wieder aufnehmen. Auch große Teile der Industrie und damit der herrschenden Klasse sind daran interessiert. Und einige Konkurrenz-Länder des Kapitalismus würden nicht auf sich warten lassen. Schreiten wir voran. Nicht zu vergessen ist: Die SeismologInnen sagen die nächsten Erdbeben im US-amerikanischen Kalifornien voraus, welches gespickt ist mit Atomkraftwerken.

Es geht hier um ein gigantisches Geschäft. Das darf nie aus den Augen verloren werden. Erst haben sich die Stromkonzerne die Atom-Forschung und -entwicklung von der Bevölkerung finanzieren lassen – Greenpeace spricht von 304 Milliarden Euro von 1950 bis heute – und jetzt wollen sie kassieren. Es geht bundesweit um 100 Milliarden Euro in Deutschland, erdweit geht es um Hunderte von Milliarden Dollar.

Einen Konfliktforscher interessieren natürlich Parallelen zwischen der Atomdebatte und der Diskussion um Libyen, Afghanistan, Irak und Jugoslawien. In beiden Fällen wird gelogen und mit Feindbildern, mit der Verzerrung der Wirklichkeit, gearbeitet.

  • Bei den Kriegen geht es gegen Diktatoren, gegen Massenvernichtungslager, gegen Genozide und die massenhafte Verletzung der Menschenrechte.
  • Das Völkerrecht interessiert nur am Rande.
  • Die Frage, wo Kriege einmal ein politisches Problem gelöst haben, wird nicht diskutiert.

Das Feindbild in der Atomdebatte ist vielfältig. So gibt es die verkündeten Parolen

  • Die Lampen gehen aus
  • Die Wirtschaft bricht zusammen
  • Energie wird für die Armen unbezahlbar

„Wir müssen Atomenergie aus anderen Ländern importieren“ lauten die neuesten, zynischen Kommentare. Ja, letzteres stimmt. Nur, Harry Lehmann vom Bundes-Umwelt-Amt sagt dazu: Die aktuellen Importe seien allein „Preis-getrieben“. Das sei „in einem liberalisierten Markt für Strom normal“.

Wir sollten, liebe Freundinnen und Freunde der Erde und ihrer Menschen, die aktuelle Krise um die Kriege und die fortwährenden Interventionen und um die Super-Gau´s auch zum Anlass nehmen, über den Tellerrand hinaus nach Utopien jenseits des Marktes nachzudenken. Nach einer Gesellschaft, in der die Grundbedürfnisse der Menschen nicht dem Markt und damit den Profitinteressen ausgeliefert sind.

Che Guevara hat vor nur wenigen Jahren gesagt: „Eine Lüge ist, ganz gleich, wie gut sie auch gemeint sein mag, ist immer schlechter als die bescheidenste Wahrheit.“ Und er hat auch gesagt: „Seien wir realistisch. Versuchen wir das Unmögliche.“
Nebenbei gesagt, Helmut Schmidt, eine der Ikonen der Sozialdemokratie, sagte zum Thema Utopien: „Wer Visionen hat, soll zum Augenarzt gehen.“ Hier zeigen sich die Unterschiede, zweier verschiedener Kulturen und Denkweisen.

Ich erinnere an die Rede meines Freundes Hans Ackermann vor einer Woche an dieser Stelle. Wir haben in den industrialisierten Gesellschaften ein Energie-Einsparpotenzial von 50 Prozent – bei den Haushalten, bei der Mobilität und in der Wirtschaft. Zum Schluß noch einige Vorschläge von mir

  • Die 80.000 hochqualifizierten Menschen in der deutschen Rüstungsindustrie sollten eingespannt werden für das Energie-Einsparen, für die Stärkung des ÖPNV, bei der Verkehrs-Reduzierung und –vermeidung. Dazu bei der Reduktion von Lärm und Dreck durch Verkehr und bei vielem mehr.
  • Die 160.000 weniger qualifizierten Menschen bei der Bundeswehr sollten nach der Auflösung der Bundeswehr – „Wir sind von Freunden umzingelt“ hat schon Kanzler Kohl 1991 gesagt – beginnen, sich mit der Entminung in Afghanistan zu beschäftigen. Weiterhin sind 70 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche des armen Landes vermint.
  • Danach kann die Bundesrepublik Deutschland von einem Netz von Fahrradwegen überspannt werden. Es gibt noch weitere sinnvolle Arbeiten für die bei der Bundeswehr Freizustellenden.

Dann brauchen wir weniger Öl und keine Kriege mehr ums Öl zu führen.

Dann brauchen wir weniger Strom und brauchen keinerlei Atomkraftwerke mehr.

Dafür lohnt es sich zu kämpfen.

Lasst uns unbedingt gemeinsam auf der Straße bleiben.

 

Fotografien von Hartwig Bambey

 

 

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