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1. Mai 2020 – Hoch die Internationale Solidarität zum Tag der Arbeit

Kassel 28.04.2020 Gastbeitrag von Ursula Wöll | Der 1. Mai wird 2020 leider nicht auf Straßen und Plätzen stattfinden. Unter dem Titel Solidarisch ist man nicht alleine! organisiert der DGB eine Livestream-Sendung im Internet, in der viele Mitglieder als Akteure auftreten. Schon im Vorfeld haben sie zuhause Plakate beschrieben und sich mit ihnen fotografieren lassen. In der Livestream-Sendung ab 11 Uhr wird man sie mit ihren Forderungen sehen und hören können, auch Konstantin Wecker und andere KünstlerInnen werden auftreten. Am 24. April führte bereits ‚Fridays for Future‘ vor, wie gut das funktionieren kann. Das Wesentliche fehlt leider: Das schöne Gefühl des direkten Kontaktes mit gleichgesinnten Menschen.

Gemeinsam sind wir stark

Als ich klein war, hatte ich nur ein Anliegen: „Mama, darf ich zum spazierengehen schon Kniestrümpfe anziehen?“ Diese Strümpfe waren weiß und selbstgestrickt, mit einem schönen Lochmuster. Als ich groß war, ging es am 1. Mai nicht mehr in den Wald, sondern zur Mai-Demo. Ein inneres Muss alljährlich und eine innere Freude auf diese Tradition. Nun trug ich lange Hosen und ein Plakat umgehängt. Die Forderungen darauf richteten sich an Politiker auf nationaler und EU-Ebene oder an die internationalen Aktienkonzerne, personifiziert durch Manager. Wir wollten sie durch eine möglichst große Manifestation beeindrucken und Druck ausüben. Zugegeben, gemessen an der Zahl der Fans in den Fußballstadien relativiert sich das ein wenig.

Zumindest aber wir als DemonstrantInnen selbst waren beeindruckt und jede/r einzelne fühlte sich als einen aktiven Teil der Menschenmenge, zumal die Medien eine große Öffentlichkeit herstellten. Und zumal man wusste, weltweit sind Leute auf den Beinen. Unsere Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen, Schonung der Umwelt, weniger Atomkraft und weniger Geld für die Rüstung waren aktuell und sind es leider nach wie vor. In diesem Jahr ist das gewerkschaftliche Motto ‚Solidarisch ist man nicht alleine!‘ etwas allgemein.

Es appelliert eher an die eigenen Schäfchen, die wegen der Corona-Gefahr von der Straße ins Netz wechseln müssen. Die Gewerkschaften dürfen nicht noch mehr Mitglieder verlieren. Denn die Historie zeigt, dass ohne eine starke Organisation der Lohnabhängigen keine Verbesserungen erreicht werden. Einen Finger kann man brechen, fünf Finger sind eine Faust. Viel zu viele sind ab 1992 ausgetreten. Die im DGB vereinigten Einzelgewerkschaften hatten 2019 zusammen noch etwa 6 Millionen Mitglieder. Nun scheint die Zahl wieder zu wachsen, aber viel zu langsam.

Zur Geschichte der Arbeitszeitverkürzung

Vom Textilarbeiterstreik im Jahr 1904 in Crimmitschau ist die Postkarte überliefert. Sie zeigt solidarische Frauen.

Welche Probleme werden die Mitglieder auf ihren Plakaten und mit ihren Statements anmahnen? Warten wir den Livestream ab. Mit Sicherheit wird aber wiederum das Thema „Arbeitszeit“ darunter sein. Seit der 1. Mai ein Datum ist, nämlich seit 1886, wurden kürzere Arbeitszeiten gefordert. Am 1. Mai 1886 wurde in Chicago dafür gestreikt, die Arbeitszeit von 12 auf 8 Stunden zu reduzieren. In England gab bereits um 1840 der Sozialreformer Robert Owen das Stichwort für den Achtstundentag: 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Schlaf und 8 Stunden Freizeit, oder wie es später hieß: 8 Stunden fürs Leben. Eine krasse Utopie angesichts der damaligen realen Arbeitszeiten? Wurde doch am 1. Mai 1848 erst der Zehnstundentag verbindlich festgeschrieben, und zwar in England. Mühsam und endlos scheint der Weg bis zum Achtstundentag.

Und doch blieb die Forderung nach ihm durchgängig ein Ziel der Sehnsucht. Die Verkürzung der körperlich schweren Arbeit in Staub und Lärm auf acht Stunden war etwa einziges Thema der Festschrift zum 1. Mai 1890, die in einer Auflage von 90000 verteilt wurde. Noch 1903/04 kämpften die Textilarbeiterinnen von Crimmitschau mit ihrem berühmten Streik 22 Wochen lang für einen Zehnstundentag. Vergeblich. Erst 1919 wurde der Achtstundentag Vorschrift, aber bald wieder Makulatur. Bis er dann 1946 Standard wurde.

Das allerdings bei einer Sechstagewoche, so dass der DGB 1956 mit seinen Kampagnen für die Fünftagewoche begann. ‚Samstags gehört Vati mir!‘ Eine griffige Parole, die erfolgreich war und ab 1965 zum freien Samstag, also der 40-

Stundenwoche führte. Doch die Arbeitsintensität stieg weiter. Die Betriebe müssen im Kapitalismus bei Strafe ihres Untergangs miteinander konkurrieren und die Produktivität der Arbeit durch neue Maschinen steigern. Ab 1980 forderte die IG Metall die 35-Stundenwoche, die ab 1990 teilweise eingeführt wurde. Fast sieben Wochen streikten im Jahr 1984 die westdeutschen Beschäftigten der Metallindustrie dafür. Sie wollten nicht nur mehr „Zeit zum Leben, Lieben, Lachen“, sondern auch Platz schaffen für die damals 2,5 Millionen Erwerbslosen.

Wie weiter?

Durch eine Verkürzung der Arbeitszeit wird die Arbeit gleichmäßiger verteilt, so dass die einen nicht unter Stress zusammenbrechen, während die anderen arbeitslos sind. So gesehen, steht die Forderung nach einer weiteren Arbeitszeitverkürzung an. Zumal durch Überstunden, HomeOffice, Sonntagsarbeit, Personalmangel oft die realen Zeiten höher sind. Jede Pflegekraft im Seniorenheim kann darüber Auskunft geben. Doch warum engagieren sich die Gewerkschaften nicht hörbarer? Warum kritisieren sie nicht die ständige Erhöhung der Militärhaushalte, wie sie gerade das Institut SIPRI auf den letzten Stand gebracht hat? Gelder für Rüstung könnten in den sozialen Bereich fließen. Auf das Vorhaben unserer Verteidigungsministerin, neben dutzenden neuer Jets auch 45 neue atomwaffenfähige Kampfjets bei Boeing zu kaufen, kam bislang kein Aufschrei.

Die Gewerkschaften sitzen in der Zwickmühle. Viele Produkte sollten eigentlich nicht mehr hergestellt werden, Waffenfabriken und Braunkohleabbau etwa müssten heruntergefahren werden. Doch auch diesen Beschäftigten sind die Gewerkschaften verpflichtet. Sie müssten zumindest die eingeschlafene Diskussion über die Konversion von schädlichen in gesellschaftlich wünschbare Produkte neu beleben.

Nach dem Ende der Coronazeit ist ein Wachstumsschub angepeilt. Ruhige Straßen und Airports werden ein vergangener Zustand sein. Seitdem der Club of Rome 1972 die „Grenzen des Wachstums“ veröffentlichte, wird jedes Jahr deutlicher, dass Wachstum die Umwelt kaputt macht. Der Begriff „Nachhaltiges Wachstum“, mit dem die Gewerkschaften operieren, ist Schönfärberei. Denn auch das zerstört unseren Planeten, vielleicht etwas langsamer. Hier müsste offener diskutiert werden.

Was uns völlig aus dem Blick ist: Die Gewerkschaften sind auch international vernetzt. Sie sind Mitglied im Internationalen Gewerkschaftsbund IGB in Brüssel, dem 2017 331 Gewerkschaften aus 163 Ländern mit über 200 Millionen Mitgliedern angehörten. Das sollte in unseren globalen Zeiten wieder erinnert werden. Welche Strukturen sind geeignet, diesen IGB arbeitsfähiger zu machen?

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