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Von den Verantwortlichen mehr Bürgersinn und mehr Phantasie

Marburg 27.6.2011 (red) In den vergangenen Jahren und im Zusammenhang vieler baulicher Eingriffe und Maßnahmen hat sich immer wieder ein Verein zu Wort gemeldet, der jetzt hier unmittelbar zu Wort kommen soll. Die Initiativgruppe Marburger Stadtbild und Stadtentwicklung, kurz IG MARSS, hat sich bei schwierigen und strittigen Fragen des Umgangs mit der gebauten Marburger Stadtgeschichte und neu zu erbauenden Stadtgestalt artikuliert. Dazu vergibt die IG MARSS einen einschlägigen Preis und tritt als Anbieter von öffentlichen Themenabenden in Erscheinung.

Gastbeitrag von Claus Schreiner. Als Vorstandssprecher der IG MARSS e.V. möchte ich mit einem Rückblick auf vergangenen Aktivitäten und mit Blick auf die aktuelle bauliche Entwicklung in Marburg  einige Anliegen und Aufgaben der IG MARSS  und Fragen und Probleme im Bereich Stadtbild und der Stadtentwicklung ansprechen.

Im Oktober 2008 hat die IG MARSS eine Themenreihe öffentlicher Veranstaltungen mit Vorträgen und  Diskussionsforen begonnen. Die Frage nach den Chancen und Grenzen des Gestaltungsbeirats hat uns zuerst beschäftigt. Wir freuen uns, dass damit wohl eine Neuordnung des Marburger Beirats für Stadtgestaltung angestoßen wurde, für die wir eine fachlich hochqualifizierte Besetzung unabhängiger externer Mitglieder und mehr Öffentlichkeit vorgeschlagen haben.  Eine neue Satzung für diesen in seiner Beratung und Kontrolle sehr wichtigen Gestaltungsbeirat wird hoffentlich bald den Weg durch parlamentarische Gremien finden.

Auch im Denkmalbeirat sitzen nicht nur fachkundige Bürger, sondern ebenso Delegierte aller im Parlament vertretenen Parteien. Daher fordern wir für den Denkmalbeirat ebenso wie im Fall des Gestaltungsbeirats, wirksamen Denkmalschutz sollen die Parteien in den parlamentarischen Gremien im politischen Alltag betreiben und seine beratende Kontrolle und fachliche Begleitung einem unabhängigen kompetenten Gremium überlassen.

Der zweite Themenabend Moderne Architektur im Historischen Marburg im Februar 2010 hat in den Vorträgen kompetenter Fachleute wie Ira Mazzoni (SZ, Die Zeit) und Dieter Bartetzko (FAZ) bestätigt, dass man im Kernstadtbereich um die Altstadt von Marburg herum städtebaulich kurzsichtig und phantasielos geplant und gebaut hat. Je nach Interesse und Wirtschaftlichkeit wurden Bauvorhaben von Investoren genehmigt. Investorenprojekte sind allzu unkritisch in Hinblick auf deren städtebauliche und  architektonische Qualität und Wirkung gefördert oder zugelassen worden. So sind vom Fuß der Altstadt bis zur Stadtautobahn in den vergangenen 30 Jahren, verstärkt sogar in den letzten 10 Jahren, großvolumige Gebäude entstanden, die überwiegend als gesichtslose Dutzendarchitektur bezeichnet werden. Mit den Vorträgen dieses Abends haben wir eine Dokumentation herausgegeben, die man auf unserer Internetseite herunterladen kann.

In unserer Stadt hoffen manche noch immer, einen Welterbe-Status für historische Altstadt und Elisabethkirche bekommen zu können – obwohl man zugelassen hat, dass das topografisch nahe Umfeld dieser denkmalgeschützten Bereiche und Substanzen mit  Bausünden umgeben wurde, die mal von diesem mal von jenem Beirat oder von  beiden befürwortet wurden.

Warum hat es eigentlich in den letzten 10 Jahren nicht einmal eine gemeinsame Sitzung von Denkmal- und Gestaltungsbeirat gegeben? Gab es da gar nichts zu besprechen?

Denk Mal Weiter! lautete das Thema und Motto unseres dritten Themenabends im Februar 2011. In zwei Vorträgen wurden Beispiele für Abbrüche und Veränderungen von Kulturdenkmälern und Beispiele für denkmalgerechte Erhaltung und Sanierung vorgestellt. Es müssen nicht alleine potente Investoren sein, denen Baudenkmäler mit Blick auf eigene bauliche Planungen im Wege stehen. Mancher Bürger hat erfahren müssen, dass selbst eine einfache Ausbaumaßnahme oder Reparatur mit Auflagen des Denkmalschutzamtes verbunden ist, die für ihn manchmal weder nachvollziehbar noch finanziell tragbar sind. Zugleich mag er mit ungläubigem Erstaunen davon gehört haben, dass, geschätzt, rund 160 Häuser in der Marburger Altstadt im Besitz eines – inzwischen verstorbenen – Zürcher Professors keineswegs immer denkmalgerecht in profitable Studentenbuden umgewandelt wurden.

Die Initiativgruppe Marburger Stadtbild und Stadtentwicklung ist kein Meckerverein. Wir sind keine Parallelinstitution zum Denkmalbeirat oder dem Gestaltungsbeirat. Schon gar nicht sind wir eine Ersatz-Bauaufsicht. Und schließlich sind wir keine beruflichen Denkmalschützer. Zugleich haben wir das alles schon einmal gemacht. Wir haben zum Beispiel gemeckert und kritisiert

  • als der Turnergarten in Investorenhände zu fallen drohte
  • als an der Lahn inmitten von Klein Venedig ein Baulöwe ein unpassendes Appartementhaus errichten wollte
  • dass der Denkmalbeirat dem Abbruch der Rosenstraße 9 zugestimmt hat
  • dass der Gestaltungsbeirat bei großen Bauvorhaben fachlich völlig überfordert ist, weil zum Teil mit Laien besetzt

Wir haben immer wieder davor gewarnt, in Marburg noch mehr zusammenhanglose, beziehungslose Dutzendarchitektur zuzulassen. Vergebens. Entlang der B3a vom Marktdreieck bis zum Ortenbergsteg, jetzt auch im Nordviertel, ist Marburgs hässlichste Bau-Meile entstanden – direkt neben Marburgs hässlichen Autobahnkilometern.

Wir haben vergeblich vor der Plattenbauarchitektur der angeblichen Studentenappartements gewarnt, und haben nachgewiesen, dass vorhandene Bebauungspläne in Marburg  oft zu schnell den Investorwünschen angepasst werden.

In Marburg Nord, bei den neuen DVAG-Palästen, hat man offenbar nicht mal mehr gefragt, sondern das Viertel gleich stilgerecht inklusive der Abbruchgenehmigung eines Kulturdenkmals auf dem silbernen Tablett dargeboten. Mäzenatentum, Wohltäterschaft und Gewerbesteuerbeitrag in allen Ehren, wer viele Millionen Euro Gewinn im Jahr macht, darf seiner Heimatstadt ruhig mal etwas spendieren. Er darf aber seinen Mitbürgern nicht ohne Konsensherstellung selbstverliebte Paläste vor die Nase setzen, die sich nicht in das Stadtbild einfügen.

Wir werfen den Verantwortlichen der Stadt Marburg vor, mit Rücksicht auf den Investor Bürgerinformation und Bürgerbeteiligung auf sehr kleiner Flamme, auf gesetzlich vorgeschriebener Mindesthöhe, gekocht zu haben. Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel der Campus Planung. Dabei hatte allerdings die Universität die Federführung und nicht der Baudezernent.

Mit der Weidenhäuser Brücke kommt dem Rudolphsplatz zentrale Bedeutung für Marburg zu. Ein Ideenwettbewerb zur Neugestaltung ist ausgelobt. (Foto Archiv Stadt Marburg)

Den Marburgern wurde vom Oberbürgermeister versprochen, sie bei der Planung in der Universitätsstraße mitzunehmen. Wir verstehen darunter Bürgerinformation und Bürgerbeteiligung auch in Gestaltungsfragen und in den Fragen, die anliegende Ubbelohdeschule betreffen und den Rudolphsplatz. Wir erwarten, dass prämierte Entwürfe von Gestaltungswettbewerben immer konsequent umgesetzt werden und nicht Sachzwängen und Finanzierungsproblemen zum Opfer fallen. Im Fall der Umgestaltung der Stadthalle sind die Entwürfe so oft verändert werden, dass das Ergebnis keinesfalls mehr preiswürdig sein kann.

Wir verlangen von den Verantwortlichen nicht nur mehr Bürgersinn sondern auch mehr Phantasie. Wir wünschen uns Mitbürger im Bau- und Planungsamt, die Visionen haben, wie einst die Stadtbaumeister vom Range eines Frankfurter Miquel. Wir wünschen uns Kommunalpolitiker, die den Mut haben zu Investoren auch Nein zu sagen, und die Bebauungspläne nicht mehr verändern – andernfalls sie lieber gleich wegzulassen.

Wir wünschen uns in den Beiräten hohe fachliche Kompetenz und Optimierung von Projekten, völlige Unabhängigkeit und Mut zu unbequemen Entscheidungen. Wir wünschen uns Politiker, die Vorschläge aus der Bürgerschaft und deren Diskussion nicht gleich mit Unmachbarkeitsszenarien abwürgen. Wir wünschen uns natürlich auch, dass Herr Dr. Pohl Mittel bereitstellt, um die Autobahn-Hochbrücke vor seinen Neubauten zu beseitigen. Das könnte seinen vielen tausend Schulungsteilnehmern bei Ankunft in Marburg ganz neue Ausblicke ermöglichen. Und die Marburger erhielten ein Trostpflaster für die an der Bahnhofstrasse umgesetzte unpassende Architektur.

Die IG MARSS unterstützt die Aktivitäten der Lokalen Agenda, dies ist Teil ihrer satzungsgemäßen Aufgaben. Wir unterstützen auch die Bürgerinitiative Stadtautobahn aus ganzem Herzen. Und hier ist  schließlich noch ein Vorschlag, den wir von den letztjährigen Ruhr-Kultur Agendas abkupfern möchten.

Wie wär es mit einer einmaligen sonntäglichen Sperrung der B3a zwischen Anschluss Mitte und Zimmermannstraße und einem großen Fest auf den Fahrbahntrassen?  Marburg könnte einen Tag lang in Ruhe leben und bei einem fröhlichen Fest Spenden sammeln, um damit die Schilder zu finanzieren, die die Bürgerinitiative am Rand der Autobahn aufstellen will, um bis zu einer fernen neuen Trassenführung zumindest den Lärmpegel etwas auf freiwilliger Basis der Autofahrer zu senken, nachdem dem Regierungspräsidenten in Giessen nur ein Bruchteil Dezibel fehlte, um die Geschwindigkeit zu begrenzen.

Der nächste Themenabend der IG MARSS wird im Frühjahr 2012 mit dem Thema Stadtplanung 2030 stattfinden. Weitere Informationen finden sich auf unseren Webseiten im Internet.

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