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Zum Osterspaziergang am 9. April nach Bortshausen gegen das Kriegsdenkmal

Mit Plakaten und Aufruf zum Osterspaziergang: Ulf Immelt, links, Franz-Josef Hanke, Ralf Schrader, Roland Grimm, Dieter Kloszowski, Karsten Engewald, Jan Schalauske, Thomas Werther, Pit Metz. (Foto Hartwig Bambey)

Marburg 4.4.2012 (yb) Für Ostermontag rufen zahlreiche Organisationen und Vereine in der Tradition der antimilitaristischen Ostermärsche in Marburg zu einem Osterspaziergang nach Bortshausen auf. Nahe zur Ortslage ist in dem beschaulichen Stadtteil im Mai 2011 von der ‚Kameradschaft Marburger Jäger‘ ein steinernes drei Meter hohes Kriegsdenkmal auf einem Privatgrundstück aufgestellt worden. Weder die Art und Weise, wie es dazu kommen konnte, noch die Tatsache selbst ist für die Bürgerinitiative ‚Kein Kriegerdenkmal in Bortshausen‘ und die mehr als 20 beteiligten Organisaitionen, darunter mehrere Gewerkschaften, die Geschichtswerkstatt, der AStA der Uni Marburg, Attac Marburg und das Bündnis gegen Rechts, akzeptabel. Am Stadtbüro beginnt der Osterspaziergang und geht zunächst nach Cappel zu einer Zwischenkundgebung gegen 11.45 Uhr an der Verwaltungsaußenstelle. Von dort geht es weiter nach Bortshausen, wo in unmittelbarer Nähe zum Kriegsdenkmal ab 13.30 Uhr eine Kundgebung stattfindet.

Als Magnet für einschlägigen „Tourismus“ nach Bortshausen wirke dieses Kriegsdenkmal, das früher einmal in Marburg aufgestellt war, berichtet Karsten Engewald von der Bürgerinitiative. Neben den Treffen der Jägerkameradschaft und Mitgliedern der ‚Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik‘  seien auch „schon 20, 30 Gestalten in militärischen Tarnanzügen gesichtet worden.“ So entpuppt sich das Kriegsdenkmal als fragwürdiges Symbol militärischer Traditionen, mit denen kriegerische und blutige Vergangenheit beschönigt werden. Der Aufruf zum Osterspaziergang bringt es auf den Punkt: „Das drei Meter hohe Kriegsdenkmal wird in einer Zeit aufgestellt, in der die Militarisierung unserer Gesellschaft deutlich zunimmt. Deutschland beteiligt sich an Kriegen und die „Heimatfront“ soll daran gewöhnt werden. Deshalb gehen wir am Ostermontag für Frieden und eine solidarische Gesellschaft von Marburg nach Bortshausen.“

Der Osterpaziergang soll in der Marburger Öffentlichkeit die Verwicklung und Beteiligung der Marburger Jäger in undemokratische und unrühmliche Gewalthandlungen vergegenwärtigen. Ende des vergangenen Jahres hat die Stadtverordnetenversammlung Marburg beschlossen zur Erforschung und Veröffentlichung 10.000 Euro zur Verfügung zu stellen. Damit ist jetzt die Geschichtswerkstatt befasst. Überblick dazu gibt bereits der Aufruf zum Osterspaziergang auf Grundlage der Auswertung von Kriegstagebüchern:

Marburger Jägereinheiten waren an Verbrechen des deutschen Militarismus beteiligt. Sie unterstützen 1871 die französische Armee bei der Zerschlagung der ersten Arbeiterrepublik der Pariser Kommune. Im Jahr 1900 waren die Marburger Jäger an der Niederschlagung des Boxeraufstandes in China beteiligt. 1904/05 rückten sie nach Namibia gegen rebellierende Einheimische aus. Nur knapp 20.000 von 80.000 Herero und 20.000 von 40.000 Nama überlebten den Völkermord, bei dem die Treffsicherheit des neuen Gewehres (98K) erprobt wurde.

Nach der Novemberrevolution 1918
Nachdem die Jäger 11 im November 1918 nach Marburg zurückkamen, holten sie zunächst die rote Fahne vom Kasernendach und setzten den Marburger Arbeiter- und Soldatenrat ab. Die Reserve-Jäger 11 waren vor ihrer endgültigen Rückkehr noch mit „Ordnungsaufgaben“ in Oberschlesien betreut, wie den amtlichen Kriegstagebüchern zu entnehmen ist: „… so standen die tobenden Massen [=Demonstranten] vor uns. (…) Jetzt richtete man das Maschinengewehr auf die Menge. 16 oder 17 Tote und 21 grässlich Verwundete ließ die Masse zurück. (…) Darauf sind wir 11. Reserve-Jäger stolz.“ Zwar wurden die Jägereinheiten aufgelöst, aber in der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte blieben die Jäger als Studenten oder als Soldaten in der Jägerkaserne präsent. Letztere bewaffneten das Marburger Studentenkorps, welches 1920 in Thüringen 15 Arbeiter auf einem Transport ermordete.

Weiter als SA-Standarte Jäger/11
1933 übernahm die Marburger SA offiziell die Tradition der Marburger Jägerbataillone: sie nannte sich ab nun SA-Standarte Jäger/11. Diese organisierte den Boykott jüdischer Geschäfte, die Verfolgung von Sozialdemokrat_innen, Kommunist_innen und Gewerkschafter_innen, Terrormaßnahmen gegen die jüdischen Bürger_innen und zerstörte im November 1938 die jüdische Synagoge Marburgs. 1945 wurden die Jäger/11 durch die Alliierten verboten.

Nach dem Jäger-SA-Verbot  durch Alliierten 1945 gründete sich 1979 eine ‚Kameradschaft Marburger Jäger‘ 60 Jahre nach Auflösung der Jägermilitärverbände. Als militärischer Traditionsverein pflegte man Verbindungen und Kontakte ins rechte und neonazistische Lager. Dazu gehört, dass auch SS-Mitglieder und Nazi-Richter wie Helmut Günther und Erich Schwinge in die Kameradschaft Marburger Jäger integriert wurden. Bei Veranstaltungen der Kameradschaft Marburger Jäger gab es Gastreferenten mit Rang und Namen aus der rechten Szene.

In Zeiten zunehmender Militarisierung der Gesellschaft mit Kriegseinsätzen der Bundeswehr, wie in Afghanistan in neuer Widmung als Interventionsarmee, will der Osterspaziergang aufzeigen, dass es an der Zeit ist, sich sich wieder für Frieden auf den Weg zu machen. Dies artikuliert sich in den Forderungen in dem gemeinsamen Aufruf:

  • Bortshausen ist kein Militärgelände und braucht auch im 21. Jahrhundert keinen rückwärtsgewandten Kriegsheldenkult aus dem vorvorigen Jahrhundert!
  • Gegen alten und neuen deutschen Militarismus, Geschichtsrevisionismus und Rechtspopulismus
  • Für Frieden und eine solidarische Gesellschaft

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