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DVAG Congresszentrum setzt Akzente in Marburg

Eine städtebauliche Einordnung und Kritik        von Hartwig Bambey

Marburg 18.11.2012 Dass in Marburg sehr viel geplant und gebaut wird, ist seit Jahr und Tag zu erleben. Die Universitätsstadt erlebt einen nie da gewesenen Bauboom, vom dem das Bild der Stadt nachhaltig verändert und viele zentrale Bereiche grundlegend transformiert werden. Die größte Rolle dabei spielt nach wie vor die Universität mit ihrer Campusplanung auf den Lahnbergen und inmitten der Stadt. Dazu gesellen sich potente private Investoren – ob bei den Nachfolgern der Behringwerke, wo Investitionen mit dreistelligen Millionenbeträgen getätigt wurden, in investorengetragenem privaten Wohnungsbau oder in Gestalt des inzwischen nachhaltig vor Ort tätig gewordenen Marburger Unternehmers Dr. Reinfried Pohl mit der DVAG. das Marburger. hat der städtebaulichen Entwicklung und Veränderung viele Beiträge gewidmet. Dazu gehörte eine kontinuierliche Begleitung des Baugeschehens bei der DVAG zwischen Bahnhofstraße, Rosenstraße und der im Zug der Maßnahme überhaupt erst entstanden ‚Anneliese Pohl Allee‘. Dort wurde vor einem Jahr das Congresszentrum eingeweiht. Inzwischen sind die vielen Kräne und Maschinen, Poliere und Bauarbeiter längst abgezogen. Nunmehr ist es damit Zeit geworden für eine Gesamtbetrachtung.

Das Congresszentrum steht. In der daneben errichteten später fertig gestellten neuen Zentrale der DVAG-Holding haben rund 80 MitarbeiterInnen ihre Arbeitsplätze mit Blick auf die Lahn im Frühjahr bezogen. Funktional sind gleich mehrere neue Gastronomiebetriebe eingehaust. Dazu gibt es ein museales Informationszentrum zu den Bereichen Firmengeschichte, Geld und Geldanlagen im Rahmen des zweigliedrigen Ensembles. Rund 50 Millionen Euro wurden als Bausumme genannt.  Diese in Marburg gewaltige Investition alleine macht es wichtig das Ergebnis kritisch zu würdigen. In einem Satz vorab: Das Ensemble kann sich sehen lassen und muss in mehrerer Hinsicht als klarer Gewinn  für die Stadt klassifiziert werden.

Mit klaren und stimmigen Formen, Farben, Proportionen und Perspektive präsentieren sich das Congresszentrum und das Verwaltungsgebäude in der neuen ‚Anneliese Pohl Allee‘ direkt am Lahnufer in der Marburger Nordstadt.

Doch knapp und einfach geht es nicht. Auch ohne definitive Kenntnis der baulichen Investitionssumme, die wegen bautechnischen Problemen und Terminverschiebungen eher deutlich angestiegen sein dürfte, lässt sich das fertige Ergebnis inzwischen betrachten, belaufen und beurteilen. Das tun viele Menschen und werden insbesondere bei schönem Wetter zahlreich Gäste im Eis-Café oberhalb der Lahn. Vor allen Dingen ist das Congresszentrum zugleich als zentrale Schulungsstätte für die mehr als 30.000 Anlageberater der DVAG in Betrieb und erfährt damit eine Grundauslastung. Am Wochenende ist das Informationszentrum für Interessierte zugänglich.

Neue Wegebeziehungen und Umfeldgestaltung gelungen

Trotz der beiden wahrhaftig großvolumigen Baukörper, Congresszentrum und Verwaltungsgebäude, erweist sich das gepflasterte und mit vielen Elementen stimmig gestaltete Umfeld der Gebäude weder als kahl noch als eintönig. Mensch kann passieren, spazieren, sich aufhalten und betrachten oder mehr noch gastronomische Angebote nutzen. Fotografen von Hartwig Bambey

Mit den beiden in signifikanter Architektur gestalteten Hauptgebäuden DVAG-Holding und DVAG Congresszentrum ist das gesamt Umfeld gestaltet und neu gewidmet worden. Aus einem aufgelassen minderwertigen Gewerbequartier wurde eine Gesamtanlage mit mehreren neuen Wegeführungen geplant und umgesetzt. Ein neuer Radweg am stadtseitigen Lahnufer mündet ein und eröffnet bessere Verbindungen. Von der Bahnhofstraße zur Rosenstraße gibt es jetzt die Anneliese Pohl Allee. Diese neue fußläufig nutzbare Straße lässt sich als Promenade bezeichen. Ein großer Gewinn für die Stadt und das Quartier. Die umgebenden Flächen, allesamt in heller hochwertiger Pflasterung markant gestaltet, fassen das DVAG-Ensemble in angenehmer Weise, laden ein zum Flanieren. Das gibt es in Marburg ansonsten und ganz anders nur in der Oberstadt.

Architktur mit organischen Formen, viel Glas und angenehmen Proportionen

Das Verhältnis von bebauten Flächen und gestaltetem Umfeld mit Verkehrs- und Aufenthaltszonen lässt sich als sehr gelungen bezeichnen. Es gibt (fast) keinen störenden KFZ-Verkehr und nur wenige wahrnehmbare Bereiche zum Parken. Insbesondere das großvolumige und in seiner eigentlichen Gestalt lahnseitg als großes Oval wirkende Congresszentrum verbindet Kubatur mit beinahe spielerischer Akzentuierung und Gestaltgebung.

Signifikante, ja beeindruckende Außenwandbereiche wechseln und werden gebrochen von Fensterzonen. Als Höhepunkt und spiegelndes Portal bietet sich der Eingangsbereich des Congresszentrums in Gestalt eines riesigen zwei Etagen fassenden Glasfensters. Die wetterabhängig grau bis blaufarbige Spiegelung des Himmels wird umrahmt von der hellen Außenwandverkleidung in Sandstein. Als Rahmung für viel Glas, Transparenz und Spiegelung in gerundeter Formensprache bietet der Sandstein angenehmen Halt und notwendige Ruhe.

Verwaltungsbäude mit kritischer Geschosszahl und Höhe

Dies gilt weniger für das grenzwertig hoch ausgebildete langgestreckte Verwaltungsgebäude mit vier Etagen plus Staffelgeschoss. Dort ist der Glasanteil am allergrößten und konnotiert Großstadt ebenso wie Konzernnutzung. Zwar leistet das abschließende  Staffelgeschoss eine Brechung und Überleitung zur Nachbarbebauung. Doch es bleibt eine Dominanz. Diese kann man als gestalterisch ehrlich betrachten, sie ablehnen oder übersehen wollen. Gleichwohl ergibt sich auf der Hauptachse der Bahnhofstraße noch eine Torwirkung mit dem überkommenen gegenüberliegenden Gebäude als Ausläufer eines Seniorenwohnkomplexes.

Unvollendete Öffnung zur Lahn und Flussraum

Gelungen, jedoch unvollendet ist die Öffnung zum Fluss. Die von der gerade in Sanierung befindlichen Elisabethbrücke gequerte Lahn passiert und trennt zugleich das neue DVAG-Quartier vom Bahnhofsquartier. Jenseits der Lahn zum Bahnhof dominiert und zerschneidet die Hochbrücke der Stadtautobahn das Stadtbild. Zum Fluss, zu dem eine Hochwasserschutzmauer ausgebildet werden musste, führt eine kleine Terasse mit Abtreppung.

Doch leider hat man die Weidenbaumzone am Flussufer als Wildwuchsbereich stehen lassen. So bleibt das in Marburg (an der Lahn) ohnehin äußerst rare Erlebnis einer Stadt am Fluß und Wasser auch in diesem Quartier signifikant arm und spärlich. Womöglich haben überbordende städtische Vorgaben mehr Flusserlebnis hier zunächst verhindert.

Die Baumanßnahme war anfänglich umstritten, weil in der Rosenstraße ein ansehnliches denkmalgeschützes Haus abgebrochen wurde. An dessen Stelle wurde als Reminiszenz dafür eine Rekonstruktion in Form und Fassadengestaltung in historisierender Manier verwirklicht. Damit erfährt das Congresszentrum eine funktionale und gestalterische Weitung und Brechnung. Der zur Rosenstraße liegende Bereich wird kaum als Schönseite betrachtet und wahrgenommen werden können. Andererseits hätte eine vollständige Ausführung des Baukörpers zum Oval, ohne die Einfügung von Fassade und Giebelform des Vorgängerbaus, tendenziell Langeweile und monolithische Wirkung bedeuten können.

Das DVAG-Quartier setzt Akzente in Marburg

So gibt es am Lahnufer in Marburg – gleich jenseits der monströsen sechspurigen Autobahnhochbrücke – jetzt ein luzent-kraftvolles Quartier mit neuer Architektur und Gestaltungswillen zu erleben. Dorthin eingeladen mag sich jede/r fühlen. Marburgs Ehrenbürger Reinfried Pohl hat in diesem Quartier, wie zuvor schon anderorts in Marburg seine neuen unternehmerischen Aktivitäten als leistungsstarker Gastrononomiebetreiber mehrfach verwirklicht. Es lässt sich dort also nicht nur Schauen und Spazieren sondern auch bei Speis und Trank gut sitzen.
Die städtebauliche Integration und die verwirklichte Architektursprache sind ein Gewinn für Marburg und setzen klare positive Akzente. Ohne problematische Dominanz ist viel Neues entstanden. Die DVAG ist damit in Marburg markant präsent und setzt durchaus Maßstäbe. Marburg hat an Urbanität gewonnen.

Die gerade mal einen guten Kilometer lahnabwärts wenige Jahren zuvor enstandenen merkantil genutzten Baukörper am Erlenring sind jetzt noch mehr entlarvt und peinlich. Demnächst stellt sich um das neue Erwin Piscator-Haus zum Hörsaalgebäude eine vergleichbare gestalterische Aufgabe urbaner (Platz-)Gestaltung. Für das Gelingen dort mitten in Marburg hat die Stadt als Bauherrin das Begreifen und Reflektieren grundlegender Maßstäbe samt Zielsetzungen erst noch zu leisten, um solches verwirklichen zu können. Dafür müssen dann viele Bäume dort verschwinden. Die hat es im Alten Botanischen Garten.

Fotografien Hartwig Bambey © 2012. ->Die Fotos können per Klick auf ein Bild als Sequenz betrachtet werden.

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