Kulturdenkmäler in Marburg III: Der Alte Botanische Garten
140317 (yb) Lange Zeit war der Alte Botanische Garten in Marburg inmitten der Innenstadt so etwas wie ein ruhiger Stadtpark. Doch mit der Beschaulichkeit ist es vorbei. Gleich von zwei Seiten gerät der drittälteste Garten Deutschlands unter Druck. So werden derzeit gerade die Großbaustellen für den Neubau einer Universitätsbibliothek am Standort der vormaligen Frauenklinik und auf der anderen Seite am Pilgrimstein für einen Neubau für den Deutschen Sprachatlas eingerichtet. Welche Folgen von den Bauarbeiten und dem Aushub für die Fundamente ausgehen werden, bleibt abzuwarten. In jedem Fall liegt der Alte Botanische Garten zukünftig eingezwängt zwischen Gr0ßbauten der Philipps-Universität. Zu befürchten ist, dass insbesondere der fußläufige Publikumsverkehr zur neuen Universitätsbibliothek zukünftig sich gr0ßenteils durch den Garten bewegen wird. In der gerade vorgestellten Denkmaltopographie Marburg II wird der Alte Botanische Garten als Kulturdenkmal gewürdigt und ausführlich beschrieben.
Wir veröffentlichen hier den Text aus der Denkmaltopographie:
Alter Botanischer Garten
Der Alte Botanische Garten der Philipps-Universität wurde zwischen 1811 und 1814 unter der Leitung des Professors für Botanik Georg Wilhelm Franz Wenderoth (1774-1861) auf ca. 4 ha. angelegt. Als Terrain stand ihm ein Teil des ehemaligen Lustgartens der Deutschherren zur Verfügung, das der Universität Marburg 1811 nach der Auflösung des Ordens im Jahr 1809 zugewiesen worden war. Es handelte sich um ein Sumpfgebiet, das entwässert werden musste. Mit der Anlage des Wasserpflanzbassins 1811 mittig im Garten begann die pla- nerische Gestaltung des Botanischen Gartens. Den Gartenplan zeichnete der Marburger Architekt Rudolph. Er sah einen kleinen Landschaftsgarten unter Berücksichtigung einiger Elemente für den botanischen Zweck vor. Am geometrischen Stil der französischen Gartenkunst orientieren sich das mittige Rundbecken und die Streifenbeete zu Seiten des am nördlichen Rand vorgesehenen Gewächshauses.
Den in der Bepflanzung aufgelockerten Garten durchziehen geschlängelte Wege, sog. „Serpentines“. Zwei Haupträume heben sich kontrastreich voneinander ab. Im Süden ein dichter Baum- und Strauchbestand, im Norden einzelne Freiflächen zur Aufnahme weiterer Bepflanzungen. Entlang des Mühlgrabens zieht sich ein Wiesengürtel. Seiberts Plan von 1854 zeigt einige Abweichungen vom ursprünglichen Plan. Wenderoth sah von den streng gegliederten Beeten im Norden zugunsten einer landschaftsgärtnerischen Gestaltung ab. Des Weiteren kam das geplante neue Gewächshaus nicht zur Ausführung. Zwischen 1814 und 1850 bereiste Wenderoth verschiedene Gärten und Parks in Deutschland, um sich Anregungen für die Bepflanzung zu holen.
Den Grundstock der Bepflanzung bildeten schließlich Tannen, Fichten, Kiefern, Lärchen, Ulmen, Linden, Eichen, Buchen, Erlen, Ahorne, Eschen, Platanen, Pappeln und Weiden. Weiterhin konnte Wenderoth am Schlossberg einige ausländische Holzgewächse ausmachen, die in den Botanischen Garten umgepflanzt wurden. Ferner kamen von dem Gartendirektor Sennholz aus Wilhelmshöhe und von Joseph Lenné aus der königlichen Baumschule Potsdam-Sanssouci seltene Gehölze, wie auch aus Gießen, Frankfurt, Karlsruhe und dem Metzlerschen Garten in Offenbach. Reste dieser wertvollen Gehölzsammlung bilden noch heute den Grundstock der Anlage.
Zwischen 1862 bis 1867 wurde der Garten von Professor Albert Wigand (1821-1886), der die Nachfolge von Wenderoth antrat, im Sinne der Lenné-Meyerschen Schule weitgehend umgestaltet und bereichert. Er unternahm eine Neuordnung, die auf einer strengen Unterteilung in eine pflanzengeographische und eine systematische Abteilung basierte. Unverpflanzbare Gehölze bezog er in diese Gestaltung mit ein. Den Parkstreifen entlang der Mauer zum Pilgrimstein übernimmt Wigand nahezu unverändert.
Das Rundbecken wird in einen Teich mit gebuchteten Ufern umgewandelt und über einen kleinen Flussgraben mit dem Mühlgraben verbunden. Im nördlichen, pflanzengeographischen Bereich finden sich ausländische Gehölze nach Kontinenten sortiert. Im Süden und zu Seiten des Teichs die systematische Abteilung mit einheimischen Gehölzen und Kräutern. Beide Abteilungen sind integriert in einen Landschaftsgarten mit einer Wegeführung, deren harmonischer Schwung die Gartenräume fließend miteinander verbindet. Charakteristisch für Wigands Garten ist ein Dualismus, der zum einen in der Überformung des Wenderoth-Gartens nach den ästhetischen Gestaltungskriterien des Lenné-Meyerschen Landschaftsgartens zum Ausdruck kommt, zum anderen in dem wissenschaftlichen Zweck der Anlage als botanischen Garten.
Zwischen 1864 und 1866 entstand an der östlichen Seite ein Gewächshauskomplex, der aus drei Einzelhäusern in zeitgemäßer Glas-Eisenarchitektur bestand und 1945 abgerissen wurde. Daneben wurde 1865 das Verwaltungshaus (Deutschhausstraße 17c) errichtet, das neben Geschäftszimmern auch die Heizkammer für die Treibhäuser aufnahm. 1873 beschloss die Universität den Neubau des Botanisch-Pharmakognostischen Instituts, das nach den Vorstellungen Professor Wigands als „Botanisches Museum“ zwischen 1875 und 1877 errichtet wurde (Deutschhausstraße 17a). Nach dem Tod Wigands blieb seine Gartengestaltung im Großen und Ganzen zwar erhalten, doch nahmen alle späteren Nachfolger bis zur Verlegung des Botanischen Gartens auf die Lahnberge im Jahr 1977 ihrerseits Veränderungen vor.
Professor Karl Immanuel Eberhard Goebel (1855-1932) baute Wigands Spezialabteilung für morphologisch interessante Gewächse aus. Paul Arthur Meyer (1850-1922) verdichtete die geographischen Zonen. Mit der Verbreiterung des Pilgrimstein 1896 musste ein Teil der Randböschung zur Mauer hin aufgegeben werden. Die aus Sandstein gefertigte Stützmauer begrenzt den Garten im Westen. Stichbogige Blendarkaden, deren Bögen aus rotem Ziegel bestehen, gliedern die lang gestreckte Mauer zum Garten hin. Sie ist als Bestandteil des alten Botanischen Gartens aus geschichtlichen Gründen Kulturdenkmal.
Nachfolgend pflegte Professor Peter Heinrich Claussen (1877-1959) den Botanischen Garten, der während der zwei Weltkriege nicht verschont blieb. Die Inbetriebnahme des Gartens nach dem Zweiten Weltkrieg erforderte größere Pflanzflächen für Anschauungsmaterial in Lehre und Forschung. Dabei wurde das Wegenetz begradigt, die alten Gehölze blieben jedoch erhalten und Verluste wurden ersetzt. Die 1977 erfolgte Herausnahme der Systembeete im einstigen Wissenschaftsgarten beseitigte die kleinteiligen Parzellen und gab dem Baumgarten das ursprüngliche Erscheinungsbild einer dem Landschaftsgarten verpflichteten Anlage zurück.
Der Alte Botanische Garten ist aufgrund der gartenhistorischen Entwicklung und des alten Gehölzbestandes von kulturgeschichtlichem Wert mit überregionaler Bedeutung. Die 1811 gegründete Anlage ist nach dem Botanischen Garten der Universität Tübingen (1806-1809) und dem der Justus-Liebig Universität Gießen (um 1800) der drittälteste Garten Deutschlands der zweiten Gründungswelle zu Beginn des 19. Jhs. und somit von großer geschichtlicher und wissenschaftlicher Bedeutung.
Institut für Pharmazeutische Biologie, ehemaliges Sammlungshaus
Die Nordseite des Alten Botanischen Gartens prägt das im neugotischen Stil errichtete ehemalige Botanisch-Pharmakognostische Institut. Carl Schäfer erbaute das gleichzeitig als Botanisches Museum dienende Gebäude 1875-77 nach den Vorstellungen von Professor Albert Wigand (1821-1886), der ab 1862 den Botanischen Garten gestaltete. Heute ist das Gebäude Sitz des Instituts für Pharmazeutische Biologie.
—>Beitrag Der Alte Botanische Garten – eine grüne Oase in der Stadt
-–->Kulturdenkmäler in Marburg II: Ehemalige Pathologie und Anatomisches Institut