Gutes Wohnen braucht ein soziales und lebenswertes Umfeld – Wohnungsfrage in Marburg in ganzheitliche Betrachtung nehmen
Marburg 29.9.2014 (yb) Besser hätte die Örtlichkeit für die Veranstaltung in der vergangenen Woche nicht gewählt sein können. Im gutgefüllten Gemeinschaftsraum der Bürgerinitiative für Soziale Fragen (BSF) im Damaschkeweg über die anstehenden Neubauvorhaben zu informieren und diskutieren, hat viel Sinn gemacht und anschaulich werden lassen, dass die Stadt als nun einmal maßgeblich Beteiligte ebenso wie die Bauherrschaft in Gestalt der GWH Wohnungsgesellschaft mbH Hessen sich sehr wohl und in dialogischer Absicht in das Quartier, gemeint der Richtsberg, begeben, um mit den dort lebenden Menschen als Betroffenen auf Augenhöhe zu sprechen.
So konnten die zahlreichen BewohnerInnen vom Richtsberg, unter ihnen ein Kindergartenleiter, Schulleiterin Herbold von der Astrid-Lindgren-Schule, Mitglieder und Vorsitzende des Ortsbeirats, mit Pia Gattinger und Doris Ackermann-Feulner von der BSF Bürgermeister Franz Kahle und Oberbürgermeister Egon Vaupel begrüßen. Reinhold Kulle für die Stadtplanung und Christian Wedler von der GWH zusammen Stefan Herbes, als deren neuer Abteilungsleiter in Marburg, vervollständigten die hochrangige Besetzung dieser Informationsveranstaltung am 24. September.
Getragen von knapp gehaltenen Vorträgen, schließlich gab es eine Reihe von vorhergehenden Veranstaltungen, in denen die GWH-Projekte zum Richtsberg bereits vorgestellt worden sind, kam ein intensiver Austausch mit zahlreichen Fragen und deren Beantwortung in Gang. Wenn Bürgerbeteiligung kein leeres Schlagwort sein soll und die Einbeziehung von Anwohnern ernst gemeint wird, an diesem Abend hat die BSF mit ihren Fachfrauen Gattinger und Ackermann-Feulner es hinbekommen und mit produktivem Leben erfüllt.
Dass dabei aus den Reihen der Bewohnerinnen, bis hin zur Ortsbeiratsvorsitzenden Erika Lotz-Halilovic, nicht mit Fragen, Hinterfragen und kritischen Anmerkungen zurückgehalten wurde, gehörte dazu und trug zur eigentlichen Qualität des Informationsabends bei. So etwa zum vorliegenden Architektenentwurf im Bereich der Neubebauung der Friedrich-Ebert-Straße, wo in Frage gestellt wurde, ob ein sieben- oder achtgeschossiges Wohngebäude dort angemessen sei. Als Antwort von Bürgermeister Kahle kam der Hinweis, dass mit den Plänen nicht zuletzt der Gestaltungsbeirat sich befasse. Oberbürgermeister Vaupel verwahrte sich gegen eine Gleichsetzung mit dem ‚Affenfelsen‘ als Bauwerk der späten sechziger Jahre.
Dass Kritik ernst genommen wird und nicht ohne Folgen bleibt, wurde anschaulich, als der Oberbürgermeister den Versammelten mitteilte, dass die ursprünglichen Pläne von Bauvorhaben im Karlsbader Weg nach deutlicher Kritik aus den Reihen der Richtsbergbewohner und auch seitens des Ortsbeirats „aktuell wegen fehlender Akzeptanz nicht weiter verfolgt werden sollen“, wie der OB formulierte.
Fragen zur zukünftigen Parkplatzsituation, etwa dort wo heutige mit Garagen bebaute Flächen zum Baugrund für neue Wohnungen werden, wurden gestellt und beantwortet. In diesem Zusammenhang soll, so Bürgermeister Kahle, der Damaschkeweg in seiner Auslegung und Gestaltung überplant werden, und soll dann als Anwohner- und Spielstraße umgestaltet werden.
Es gebe womöglich hier und dort Parkplatzprobleme, räumte der OB ein. „Aber im Moment ist mir eine neue Wohnung lieber als ein hier und dort wegfallender Parkplatz“, kommentierte dies Vaupel. Dieser Betrachtung wollte niemand widersprechen.
Bei allen Fragen und Überlegungen im Einzelnen wurde noch einmal betont, dass die Sondermittel des Landes Hessen aus dem vergangenen Jahr nicht ohne Bedingungen und Auflagen nach Marburg fließen werden.
Die 24 Millionen Euro, ergänzt um 5 Millionen Euro Komplementärmittel der Stadt Marburg, unterliegen einer Befristung und müssen binnen drei Jahren in Wohnungsbauvorhaben investiert werden. Dies war bereits bei den Gesprächen und Verhandlungen, die OB Vaupel zusammen mit GWH-Vertretern im Mai 2013 mit Vertretern des Landes führte, klare Vorgabe und Bedingung. Damit brauchte es eine Bauherrschaft, die über geeigneten Baugrund verfügt, wo selbstverständlich zugleich auch Baurecht (also Bebauungspläne) vorhanden sein muss, die eine solch relativ kurzfristige Umsetzung erst möglich machen. Dem konnte und will die GWH in Marburg entsprechen.
Die Sondermittel des Landes beinhalten mithin einen deutlichen Handlungsdruck – zugleich korrespondiert dies mit dem Wunsch nach Maßnahmen gegen die nun einmal in Marburg vorhandene Wohnungsnot. Werden die Fördermittel, die immerhin einen Zuschuss von 90.000 Euro je zu errichtender Wohneinheit bedeuten, nicht innerhalb der Dreijahresfrist investiert, verfallen anteilig die Beträge, für die von der GWH kein entsprechender Verwendungsnachweis vorgelegt werden kann.
Zugleich ist die Zielstellung der Schaffung von 280 oder 300 neuen Wohnungen durch die GWH daran geknüpft, dass nicht erst noch Baugrund (teuer) erworben werden muss. Das ist der eigentliche Grund, weshalb am Richtsberg und im Waldtal, wo die GWH über solche Liegenschaften verfügt, das soziale Wohnungsbauprogramm verwirklicht werden soll. Die Planungen, Abstimmungen und Diskussionen können also nicht im unverbindlichen Raum mit offenen Zeithorizonten stattfinden.
Im Gruppenraum der BSF wurden viele Fragen, Kriterien und Anliegen thematisiert, in denen anschaulich wurde, dass Wohnraum nicht alleine und isoliert Kategorien wie Verfügbarkeit, Bezahlbarkeit und Größe entsprechen muss. Das soziale Umfeld und die Nahversorgung muss stimmen, ob in Gestalt von Hort- und Kindergartenplätzen, Spielplatzangeboten, Schulangebot oder Nahversorgung, die Bernd Hannemann gerne auch in Gestalt einer Eckkneipe verwirklicht sehen würde.
Christian Wedler von der GWH erläuterte dazu, dass die Neubauten, oftmals in Gestalt von Anbauten an bestehende Gebäude, die vorhandenen Geschosshöhen übernehmen (Ausnahme das ‚Torhaus‘ in der Friedrich-Ebert-Straße) werden. Alle Wohnungen würden über Fahrstühle erreichbar sein, seien rollstuhlgeeignet, weil barrierefrei nach DIN-Norm. Damit würden sie besonders auch für ältere Richtsbergbewohner attraktiv, deren heutige Wohnungen im Stadtteil inzwischen zu groß, überaltert und ohne Fahrstuhl nicht mehr für diese geeignet wären.
„Wir werden die Fehler der sechziger Jahre nicht wiederholen“, sagte OB Vaupel am Ende der Veranstaltung, in der unübersehbar geworden war, dass viele Bewohner des Richtsberg, der nun einmal Marburgs größter Stadtteil ist, mit Aufmerksamkeit und Wachsamkeit begleiten, was in ihrem Wohnumfeld stattfinden soll. Alle Fotografien Hartwig Bambey
- Für Teilnehmer des am 1. Oktober erneut tageneden ‚Runder Tisch bezahlbarer Wohnraum‘ hatte diese Veranstaltung eine Menge positiver und nach vorne weisender Implikationen und war ein gelungenes Beispiel für dialogischen Umgang und umsetzungsorientiertes Herangehen in Sachen Sozialer Wohnungsbau für die Menschen.
- Damit sind Diskussionen zur Feststellung und Beschreibung von Wohnungsnot und diesbezüglichem Handlungsdruck ein Stück weit Geschichte.
- Die Stadt Marburg stellt sich den Problemlagen und ist durchgreifend tätig geworden.
- Seit einiger Zeit geht es darum Verständigung darüber zu erzielen, wo, von wem, wie viel und mit welcher Ausstattung unter ganzheitlicher Betrachtung neue bezahlbare Wohnungen geschaffen werden.
- Einem solchen zukunftsorientierten Ansatz, der zugleich eine Nachhaltigkeit in sich trägt, ist die GWH verpflichtet und will sich dem stellen.
- Insofern gilt es für manchen Protagonisten zu erkennen, dass die Wohnungs(not)-Debatte in Marburg in anderer Weise fortzuführen ist.
- Es sollte darum gehen, Maßstäbe und Kriterien zu benennen, deren Verwirklichung mit 100-Millionen-Neubauprogramm gute, bezahlbare und attraktive Wohnungen entstehen lässt.
- Was dazu gehört, ob hinsichtlich der Miethöhe, energetischer Auslegung, Erreichbarkeit und Barrierefreiheit samt des gesamten Umfeldes (Infrastruktur) kann getrost diskutiert werden. Zugleich muss mit dem Bauen bald begonnen werden.
- Es braucht konstruktive Prozesse der Bürgerbeteiligung, denn es werden sehr viele Wohnungen in Marburg – auch von privaten Investoren finanziert im Stadtwald, in der neuen Kasseler Straße und andernorts – entstehen. Dass dies möglich ist, wurde am Richtsberg im Damaschkeweg 95 anschaulich.