Zur Einführung einer Seilbahn als Teil des ÖPNV in Marburg – Ein Gespräch mit Bürgermeister Franz Kahle
Marburg 1.12.2014 (red) Das Thema Seilbahn bewegt in Marburg viele Gemüter. Manche verwechseln gar die Idee eines Schrägaufzuges zum Schloss mit einer Seilbahn. Letztere soll aus dem Lahntal eine schnelle und leistungsfähige Verbindung hinauf auf die Lahnberge schaffen. Damit könnten täglich, meint wochentäglich, bis zu 20.000 Personen (oder besser Personenbewegungen) transportiert werden. Inzwischen gibt es zwei von der Stadt Marburg beauftragte Studien. Wir haben Bürgermeister Dr. Franz Kahle (GRÜNE) einige Fragen gestellt, nicht zuletzt angesichts einer sich artikulierenden Ablehnung seitens Betroffener oder sich betroffen sehender Bürgerinnen und Bürger:
Redaktion: Warum, Herr Bürgermeister Kahle, hat es so lange gedauert, bis das Seilbahn-Thema von Ihnen wieder in die Öffentlichkeit gebracht wurde? Die Haushaltsmittel für eine Untersuchung / Projektstudie waren bereits im Jahr 2012 verfügbar.
Wir haben im Jahr 2012 nach einem für die Bearbeitung des Themas geeigneten Büro gesucht. Hierbei hat sich der Kontakt zu dem Planer ergeben, der unter anderem für Koblenz die Voruntersuchungen zum Thema Seilbahn durchgeführt hat. Im Rahmen der Erstellung unseres Klimaschutzkonzeptes wurde dann deutlich, dass die Fragestellung breiter gefasst werden muss, um die Frage der Verkehrsbeziehungen von der Innenstadt zu den Lahnbergen insgesamt zu betrachten. Daher wurde neben der Betrachtung der Realisierbarkeit einer Seilbahnverbindung ein umfassenderes Gutachten zur Organisation des gesamten Verkehrs von und zu den Lahnbergen in Auftrag gegeben. Beide Gutachten lagen dann in diesem Spätsommer vor und sind aufeinander abgestimmt. Daher (erst) jetzt die öffentliche Vorstellung.
Redaktion: Der Time-Lag, die zeitliche Verzögerung bis in den Spätherbst 2014, erscheint unvermittelt und macht Probleme. So gibt es inzwischen eine Bürgerinitiative bzw. Anliegerinitiative dagegen. Wurde das Thema zu früh begonnen? Im Online-Magazin das Marburger. finden sich mit dem Suchwort Seilbahn zahlreiche Beiträge, die bis in das Jahr 2010 zurückreichen.
Die Verbindung der Lahnberge und der Innenstadt mittels einer Seilbahn haben wir als Idee von seiten der Verwaltung 2008 aufgeworfen. Seitdem hat es viele Diskussionen Für und Wider gegeben. Es gibt auch seit längerem entsprechende Internet-Seiten mit Argumenten Pro und Contra. Gerade deshalb sind wir nun im Rahmen des Klimaschutzkonzeptes angetreten, eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu erarbeiten. Dazu sollen die beiden Gutachten dienen. Möglicherweise wird der Prozess jetzt fortgeführt, möglicherweise auf dieser Basis die Diskussion beendet.
Redaktion: Vor kurzem wurde in einer öffentlichen Veranstaltung auf den Lahnbergen eine Studie vorgestellt. Wer wurde damit beauftragt und lässt sich das Ergebnis ganz knapp zusammenfassen?
Die Studie zu der gegenwärtigen und künftigen verkehrlichen Anbindung der Lahnberge hat die Planungsgruppe Nord (PGN) erstellt, die über fundierte Erfahrungen in der Planung und Umsetzung von Verkehrskonzepten verfügt. Der Gutachter, Herr Nickel, sieht vor allem große Potentiale darin, die Erreichbarkeit der Lahnberge für den Radverkehr (insbesondere bei Einsatz von Pedelecs) zu verbessern. Ferner sieht er in der von ihm empfohlenen Planungsvariante einer Seilbahn die Möglichkeit, die CO-2 Bilanz des Verkehrs auf die Lahnberge deutlich zu verbessern und die Seilbahn zum wichtigsten Verkehrsmittel zwischen Innenstadt und Lahnberge auszubauen.
Redaktion: Am 2. Dezember 2014 wird eine 2. Studie öffentlich präsentiert. Wer ist damit beauftragt, kamen dafür verschiedene Fachleute/Beratungsfirmen in Frage?
Die 2. Studie ist vom Ingenierbüro Schweiger aus Sonthofen erstellt. Das Büro hat sowohl die Studie zur Seilbahn auf die Lahnberge als auch die Studie zum Schrägaufzug zum Schloß erarbeitet. DAs Büro (‚Der Seilbahnprofi‘) verfügt über umfangreiche Erfahrungen im Bereich der Planung und Umsetzung von Seil- und Schienenbahnen, vor allem im alpinen Bereich.
Redaktion: Liegt ihnen das Ergebnis der Studie bereits vor und was ist das Thema am 2. Dezember?
Das Ergebnis der Studie liegt mir noch nicht in Endfassung vor; die planerische Machbarkeit einer Seilbahnverbindung wird von diesem Büro am 2.12. vorgestellt werden.
Redaktion: In Marburg würde mit einer Seilbahn Neuland betreten, weil diese Bestandteil des ÖPNV werden soll. Bis zu 50 Millionen Euro (Gesamt-)Kosten für den Bau sind im Gespräch. Wie kann das finanziert werden?
Eine Seilbahn in Marburg würde nur Sinn machen im Rahmen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Daher müsste die Finanzierung auch über die Regeln des ÖPNV kombiniert aus kommunalen und öffentlichen Mitteln erfolgen.
Redaktion: Sehen Sie unüberwindbare oder unkalkulierbare rechtliche Hindernisse für ein Seilbahnprojekt?
Das lässt sich jetzt noch nicht abschätzen. Zunächst sind wir alle gespannt, ob es technisch geht und Sinn macht. Dann müssen wir klären, ob wir das Ziel weiter verfolgen wollen. Erst wenn das geklärt ist, kämen wir zu den weiteren rechtlichen und planerischen Fragen.
Redaktion: Halten Sie die derzeitigen Akzeptanzprobleme für lösbar und welche Wege sollen dafür gegangen werden, Stichwort Bürgerdialog ?
Dass vor allem Personen, durch deren Wohngebiet eventuell eine Infrastruktureinrichtung geführt werden soll, Fragen haben, ist doch klar. Das wäre bei keinem von uns anders. Deshalb müssen wir Fragen aufgreifen und diskutieren. Natürlich ist es schön, wenn man am Ende einer Diskussion einhellig ein Ergebnis findet – ob für oder gegen ein Projekt. Ich denke, dass man viele kritische Fragen beantworten und viele Sorgen und Vorbehalte ausräumen kann. Am Ende muss die Frage stehen, ob die Argumente für oder gegen überzeugend sind.
Redaktion: Lässt sich die Einführung einer Seilbahn als Teil des ÖPNV in Marburg als Systementscheidung betrachten, vergleichbar mit dem Bau der Stadtautobahn vor rund 50 Jahren, wobei allerdings die gravierende Fehlentscheidung getroffen wurde eine Hochbrücke statt einer Tunnelführung zu wählen?
Ich glaube, dass eine deutliche Verbesserung der Anbindung der Lahnberge die logische Konsequenz der Ansiedlung von Universität und Kliniken auf die Lahnberge wäre. Zumindest die Option Fahrrad/Pedelec sollte – hoffentlich im breiten Konsens – bald angegangen werden. Für die weitere Entwicklung von Innenstadt und Lahnbergen wird es darauf ankommen, dass beide Gebiete sehr eng verzahnt werden. Der ÖPNV ist bei der Schaffung der Lahnberge als Standort nur am Rande mitgedacht worden – er müsste aber heute für die Verbindung der Standorte die zentrale Rolle einnehmen.
Redaktion: Welche Zeitachse ist für Sie denkbar, Herr Kahle? Was ist (noch) in der gegenwärtigen Wahlperiode zu leisten?
Wir werden die Gutachten nach der öffentlichen Erstvorstellung sicherlich noch hier und dort präsentieren – vor allem dort, wo die Menschen uns einladen. Parallel werden wir die Gutachten den städtischen Gremien zuleiten. Das dürfte alles sein, was bis Ende nächsten Jahres laufen wird. Anfang 2016 werden Kommunalwahlen sein. Ich denke, dass sich das nächste Stadtparlament mit den Aussagen der Gutachten und den Folgerungen befassen wird.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bürgermeister.