“Im Maschinengewehrfeuer Marburger Reservejäger umgekommen“ – Neue Stadtschrift beleuchtet Geschichte der Marburger Jäger
Marburg 05.02.2015 (pm/red) Die Universitätsstadt Marburg hat mit dem Titel „Zur Geschichte der Marburger Jäger“ Band 101 ihrer Stadtschriftenreihe druckfrisch vorgelegt. Die Historie der Marburger Jäger wurde von der Geschichtswerkstatt Marburg gemeinsam mit der Zeitgeschichtlichen Dokumentationsstelle Marburg (ZDM) kritisch durchleuchtet. Oberbürgermeister Egon Vaupel stellte die Neuveröffentlichung zusammen mit Autoren, Verantwortlichen der Stadtschrift und Stadtverordnetenvorsteher Heinrich Löwer der Öffentlichkeit vor.
Es sei eine der wichtigen Aufgabenstellungen, Geschichte unterschiedlicher Bereiche in der Stadt Marburg aufzuarbeiten und im Rathaus-Verlag zu publizieren, hob Vaupel hervor. Die Geschichte des jetzt erschienenen Werkes beruhe auf einer langen Diskussion und Auseinandersetzung um die Marburger Jäger. Parlamentschef Löwer erinnerte daran, dass die Stadtverordnetenversammlung einstimmig beschlossen hatte, eine Studie der Geschichtswerkstatt zum Thema in Auftrag zu geben. Grundlage sei ein Antrag der Fraktion „Die Linke“ gewesen, dem SPD und Grüne beitraten. „Es sollte das Signal geben, dass es uns wichtig ist, die Geschichte der Jäger der Öffentlichkeit vorzustellen.“
Dr. Albrecht Kirchner und Dr. Klaus-Peter Friedrich von der Geschichtswerkstatt nahmen sich des Projekts an. Die Beschreibung der Zeit nach 1945, als neue Traditionsvereine aktiv wurden, haben Katharina Nickel und Corinna Lützoff von der ZDM übernommen.
2013 erschienen die Ergebnisse der intensiven Forschungen zunächst als erste Studie, welche die Autoren für das nun vorliegende 284 Seiten starke Buch noch einmal umfassend überarbeitet und ergänzt haben. Herangezogen wurden Quellen aus unterschiedlichen Archiven wie dem Hessischen Staatsarchiv oder dem Archiv der ZDM, eine breite Auswahl von Literatur und viele zeitgeschichtliche Dokumente.
Präsentiert wurde die Stadtschrift von Dr. Klaus-Peter Friedrich, Herausgeber, Autor und 2. Vorsitzender der Geschichtswerkstatt, von der Vorsitzenden der ZDM, Prof. Dr. Ursula Birsl, vom Schriftleiter der Stadtschrift, Dr. Ulrich Hussong, von der Fachdienstleiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Sabine Preisler, sowie von Thomas Werther, Geschichtswerkstatt. Durch die Stadtschrift solle die Forschung nun einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, betonten Preisler und Hussong. Anders als eine Studie sei das Buch nun weltweit zu lesen, unter anderem auch in Bibliotheken, wo es der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zur Verfügung stehen werde. Und das sei die Aufgabe der Stadtschriften.
In der Stadtschrift 101 geht es um die Aufarbeitung der Geschichte Marburgs im Ersten und Zweiten Weltkrieg, so Friedrich. Das neue Buch dokumentiert Aktionen und Einsätze der von 1866 bis 1919 in Marburg kasernierten Jägerbataillone. Die Anwesenheit zahlreicher Soldaten und neu errichtete große Kasernen hätten das Stadtbild maßgeblich geprägt, erläuterte er bei der Pressekonferenz im Rathaus.
Beleuchtet worden sei die Beteiligung der Marburger Jäger im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 sowie der Einsatz Freiwilliger unter anderem beim Boxeraufstand in China und 1904 bei der Niederschlagung des Aufstandes der Herero in Süd-West-Afrika.
Ebenso erforscht wurde ein Einsatz im Ersten Weltkrieg am 23. August 1914. „Das überraschende Ergebnis dieser Forschungsarbeit war es, dass Angehörige der Marburger Jäger unter sächsischem Kommando an einem Massaker in der belgischen Kleinstadt Dinant beteiligt waren. 674 Männer, Frauen und Kinder starben“, blickte Autor Friedrich zurück.
Andere Freiwillige der Jäger hätten sich später 1918/19 für Grenzschutzaufgaben in Oberschlesien gemeldet, berichtete er. Dort seien bei einer Arbeiterdemonstration am 3. Januar 1919 mindestens „16, wenn nicht 20 Menschen im Maschinengewehrfeuer Marburger Reservejäger umgekommen“.
Thema der Autoren ist aber auch die Traditionspflege nach 1919 in Vereinigungen wie Vereinen, SA-Abteilungen und Kameradschaften bis zum Verbot durch die Alliierten 1945. „In Marburg gab es bereits vor 1933 starke antidemokratische Kräfte“, machte Friedrich deutlich, welche mit anderen militärischen Organisationen das Klima für die nationalsozialistische Machtübernahme bereitet hätten.
Ebenso werde in der Stadtschrift die seit den 1950er Jahren und ab Ende der 1970er Jahre stark intensivierte Tätigkeit der Kameradschaft Marburger Jäger/2. Panzergrenadierdivision (KMJ) bis hin zu den in jüngster Zeit eingegangenen Verbindungen mit der Fördergemeinschaft für Soldatenverbände (FfS) behandelt, berichtete der Herausgeber.
„Wir haben hier Vergangenheit in der Gegenwart“, verdeutlichte Birsl die Besonderheit des vorgelegten Buches. Auf der einen Seite werde die Historie der Marburger Jäger untersucht -mit allen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auf der anderen Seite sei die „antidemokratische Kultur“ der Geschichte aber nicht aufgearbeitet worden, sodass bei der Kameradschaft bis heute eine Kontinuität erkennbar sei, machte Birsl ihre Position deutlich. Auf Grundlage der Forschungen müsse der Umgang mit der Kameradschaft Marburger Jäger heute in jedem Fall überdacht werden, forderte die ZDM-Vorsitzende.
In diesem Zusammenhang, so berichtete Löwer, habe die Stadt Marburg bereits Kontakt zu Dinant aufgenommen und im vergangenen Jahr sei erstmals eine Delegation entsandt worden, die sich im Namen der Stadt für die Mitwirkung der Marburger Jäger an den Massakern entschuldigte und einen Kranz niederlegte. „Wir haben ein Zeichen gesetzt.“
Die Stadtschrift „Zur Geschichte der Marburger Jäger“ hat 284 Seiten und enthält zahlreiche Abbildungen. Sie ist in einer Auflage von 500 Exemplaren erschienen und ab sofort für 14,40 Euro beim Fachdienst Presse- und Öffentlichkeitsarbeit & Bürger/innen-Kommunikation im Rathaus, Markt 8, (06421) 201-346, oeffentlichkeitsarbeit@marburg-stadt.de, und bei der Tourismus & Marketing GmbH, Pilgrimstein 26, erhältlich. ISBN 978-3-942487-02-3.