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60. Unabhängikeitsjubiläum in Ghana – Augenzeugenbericht von der Feier in Sunyani

Schüler bei der Unabhnängigkeitsfeier in der Stadt Sunyani , Ghana. Foto Morena Marquardt

Marburg 9.3.2017 Als Reaktion auf den Gastbeitrag „Das koloniale Erbe in unseren Köpfen“ hat die Reaktion ein Text von der Teilnahme an der Unabhängigkeitsfeier in Ghana erreicht. Dieser Bericht von der Studentin Morena Marquardt wird nachstehend veröffentlicht.  Gastbeitrag von Morena Marquardt. Heute, am 6. März 2017, wird im ganzen Land das  60. Jubiläum des Unabhängigkeitstages gefeiert. Ich bin mit meinem Vater in Sunyani. Die Stadt mit etwa 70.000 Einwohnern liegt im Zentrum von Ghana und besitzt eine ‚University of Energie and Natural Resources‘, die im Juli eine ‚International Conference on Climate Change and Sustainable Development‘ ausrichtet. Wir wollen uns die Parade im Jubilee Park anschauen. In ganz Ghana finden solche Feiern heute statt. Beginnend mit Armee und Polizei und gefolgt von auserwählten VertreterInnen der vielen verschiedenen Schulen der Umgebung.

Als wir das Haus verlassen, ist der Himmel bewölkt, das ist zwar schade, der Fotos wegen, aber für die Veranstaltung ist das somit milde Klima ideal. Wir nehmen den direkten Fußweg durch die Wohnsiedlung, viele Leute sind zu Hause, da heute natürlich ein offizieller Feiertag ist. Die Stimmung ist entspannt. Aus der Häusern tönt leise Musik und hier und da höre ich jemanden singen, während wir vorbei an Guava- und Mangobäumen, Bananenstauden und Palmen zum Park laufen.
Kurz vor dem Ziel treffen wir noch andere, Nachzügler, wie sich gleich herausstellen soll.

Denn am Eingang angekommen, stehen dort schon aufgereiht die unterschiedlichen Gruppen der „Armed Forces“, um ihren Abschiedsgruß zu geben. ZuschauerInnen verlassen bereits das Geschehen, ein Mann in einem schönen bunten Kente Cloth steigt in sein Auto, wahrscheinlich ein Chief aus der Umgebung. Die Marschkapelle spielt noch immer, da noch ein paar Schulen dran sind.

Also sehen wir zu, dass wir einen guten Aussichtspunkt bekommen. Nach welcher Reihenfolge die Klassen auftreten, weiß ich nicht, die Aufstellung ist jedoch immer die gleiche. Eine Schülerin oder ein Schüler trägt die große Fahne Ghanas (bestehend aus den Farben rot- für das Blut, gold- für den Wohlstand und grün- für das Land, in der Mitte ist der Black Star), dann kommt die Lehrerin und hinter ihr zwei SchülerInnen, die das Banner der Schule tragen. Den Abschluss bildet die restliche Klasse. Alle marschieren im Gleichschritt und in manchen Gruppen tragen alle weiße Socken und Handschuhe zu der, für die Schule jeweils charakteristischen Uniform. Die Einheiten sind sehr vielfältig, viele Religionen sind vertreten: Sieben Tags Adventisten, Methodisten, Muslime, Prespetarianer und andere.
Um mich herum sitzen stolze Eltern,die filmen und kleine Geschwister mit einem Eis in der Hand. Die größeren machen Selfies mit ihren FreundInnen. Durch die Reihen laufen fliegende HändlerInnen, balancieren ihre Ware auf dem Kopf und verkaufen hier und da einen Pie, Dumplin, Spieß oder ähnliches.
Mein Vater und ich suchen uns nochmal einen anderen Platz gegenüber des Podiums, über dem ein großes Banner den heutigen Tag anpreist. Da ist das ganze Spektakel auch schon fast vorbei und die Kapelle dreht ihr letzte Runde. Ihr folgt eine Schar von Kindern, die den Musikern und allem voran dem Stabführer, der sein Instrument gekonnt durch die Luft wirbelt begeistert zuschaut und ich erwische mich dabei, wie ich es ihnen gleichtue.
Ein bisschen bedauere ich es, den Anfang verpasst zu haben aber die Poststimmung ist auch sehr schön. Die Zuschauer hat es auf einmal in alle Himmelsrichtungen gezogen, die Tribünen sind so gut, wie leer. Über den Platz fahren die Eisverkäufer nun wieder auf ihren Fahrrädern, unterhalten sich und machen noch ein gutes Geschäft mit den kleinen Grüppchen der Schulkinder in ihren bunten Uniformen. Ebenso kommen jetzt die Profifotografen in ihren Warnwesten zum Zug und vor dem Podium warten die fröhlichen, manchmal tanzenden und kleine Fahnen schwingenden Kinder, um sich auf rot, gelb, grünen Treppe mit dem Stern in der Mitte mit ihren MitschülerInnen und Lehrerinnen fotografieren zu lassen.
Mein Vater und ich amüsieren uns vor allem über die coolen Jungs in Markenklamotten und mit schicken Hüten, Bandana und anderen Accessoires, die ganz zum Schluss Posen einnehmen, um auch für sich diesen Tag festzuhalten. Zumindest ist das meine erste Erklärung, aber wenn ich genau darüber nachdenke, wollen die eitlen Hähne da vor mir wahrscheinlich eher die Fotos von sich und ihrer Gang, um sie später auf Facebook zu posten oder um sie an die Freundin oder den Freund zu senden. Und das Banner im Hintergrund mit der Aufschrift:“ 60th Independence anniversary celebration“ muss gar nicht unbedingt im Bild sein.

Wahrscheinlich denken sie gar nicht besonders über den Anlass des Tages nach, sondern sehen nur die Tatsache, dass sie heute keine Schule haben und ein bisschen herumziehen können. So wie bestimmt jeder andere Jugendliche auf der Welt das auch machen würde. Aber auch den Erwachsenen unterstelle ich jetzt, dass sie wohl eher darüber nachdenken, was es jetzt zum Mittag geben soll, dass die Wäsche noch gewaschen werden muss und Gänge zu den Ämtern, Banken und ÄrztInnen erst wieder morgen getätigt werden können.
Die deutsche Seite in mir macht bei dem Wort Unabhängigkeitstag ein riesiges Fass auf, in dem es nur so wimmelt von Geschichtsfakten und es dreht sich alles um die Kolonien in der Zeit vor der Unabhängigkeit. Hier in Ghana dagegen wird im Fernsehen über den Freiheitskampf, den ersten Präsidenten und die Geschichte von dort bis zur Gegenwart diskutiert und das ist, wo die Menschen leben, im Hier und Jetzt.
Ich stelle mir die Frage, wer hier eigentlich von wem abhängig ist und war. Was die Vergangenheit angeht, ist es wohl eher der Ausbeuter, der von der Unterdrückung lebt und abhängt.  Aber voraussichtlich werden die Länder noch immer von ihren alten Kolonien abhängig sein und auf ihrer Nebenrolle in der langen langen Geschichte Ghanas bestehen, wenn hier das 100 jährige Jubiläum stattfindet. Die Enkel der coolen Jungs hören dann wahrscheinlich zum ersten Mal das Wort Kolonie und es wird ihnen schwer fallen, sich etwas darunter vorzustellen, denn sie sind unabhängig, genauso wie ihre Großväter.
Ich für meinen Teil werde mit meinem alten Vater die erste auf der Tribüne sein und keine Sekunde verpassen und mit all den anderen um mich herum meinen Geburtstag feiern, der ebenfalls auf den 6. März fällt.

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