Erfolg in Klein-Venedig versus Plattenarchitektur in Marburg Mitte
Marburg 18. März (yb) Ein ereignisreiches Jahr bilanzierte die Initiativegruppe Marburger Stadtbild und Stadtentwicklung (IG MARSS) auf ihrer Jahreshauptversammlung im Februar. Dabei fällt die Bilanz recht gemischt aus. Es gab Erfolge und Niederlagen in Sachen Stadtentwicklung, Stadtbild und Denkmalschutz als Themen und Anliegen, die sich die Aktiven der Vereinigung auf ihre Fahnen geschrieben haben. So wurde Kritik an dem Bau der Appartementanlage nahe dem Feuerwehrstützpunkt in Marburg Mitte geäußert. So findet sich dies denn auch als „Marburgs hässlichste Baumeile“ in der Pressemitteilung beschrieben. Die Befürchtungen, dass dort einmal mehr „gesichtslose Plattenbau-Architektur“ entstehen könnten, sehen die Aktiven der IG MARSS nach weitgehender Fertigstellung der Wohnanlage inzwischen bestätigt.
Mit dem Marktdreieck beginnend über Erlenring-Center und Feuerwehr bis zur Autobahnüberführung sei in diesem Bereich eine „gleichwertige Ergänzung“ gebaut worden. Diese kritische Bewertung werden die bunt-gläsernen Balkonbalustraden eher noch unterstreichen, die Studierenden auf dem Weg von der Mensa zu den geisteswissenschaftlichen Instituten ins Auge springen wollen. Farbeffekte und bestenfalls kosmetische Aufhübschungen können keinen Ersatz für qualitätvolle Architektur bieten.
Zu den positiven Ergebnissen zählt die IG MARSS ihren Anteil an der Verhinderung einer Lückenbebauung mit einem Appartementhaus neben dem alten Volksbank-Gebäude. In diesem Zusammenhang wurde die Familie Kraft als Nachbarn und couragierte Gegner einer unpassenden Bebauung mit dem IG MARSS PREIS 2009 ausgezeichnet.
Für Marburgs ‚Klein Venedig‘ wünscht die IG MARSS ein städtisches Hilfsprogramm. Damit soll es Hausbesitzern ermöglicht werden, renovierungsbedürftige Fassaden zur Lahnseite herzurichten und dieses besondere und stadtbildprägende Ensemble aufzuwerten.
In 2009 hatte sich die IG MARSS für den Erhalt des denkmalgeschützten Gebäudes in der Rosenstraße 9 eingesetzt, das dann im Januar 2010 abgerissen wurde. Im Zweifelsfall, resümiert die Gruppe, seien Bekenntnisse wie sie in der Marburger Stadtschrift ‚Neues Bauen in alter Stadt‘ 1986 veröffentlicht wurden, heute ohne Bedeutung. Wo früher gefordert wurde „kümmert euch um eure Denkmäler“, habe im Falle Rosenstraße 9 ein Denkmalpfleger der Oberen Denkmalschutzbehörde selbst entschieden‚ dem großen Volumen des Projektes der Deutschen Vermögensberatung Vorrang zu geben. Damit sei dem Abriss der Weg geebnet worden.
Denkmalschutz soll daher ein Schwerpunktthema der IG MARSS in den kommenden Monaten werden. Es werde in Zukunft immer wieder zu Situationen kommen, in denen Entscheidungen aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen zu Lasten von Denkmälern fallen könnten. In einer Broschüre will die IG MARSS Abbrüche denkmalgeschützter Häuser und Ensembles in den letzten dreißig Jahren dokumentieren.
Kritik und Sorge wurde über mangelnde Bürgerbeteiligung geäußert, die vom Magistrat für Projekte mit stadtbildprägendem Charakter vor Jahren zugesagt worden war. So erwarte man bei der umfangreichen Bebauung der Deutschen Vermögensberatung eine Information und Beteiligung der Öffentlichkeit über die Architektur dieses Gebäudekomplexes. Man möchte anhand von Visualisierungen und Modellen sehen, wie sich die geplanten Bebauung und ihre Architektur in das Stadtbild eingliedert und ob sie gestalterisch hochwertige Akzente setzt.
Der Themenabend „Moderner Architektur im historischen Marburg“, der am 4.Februar im vollbesetzten Stadtverordnetensitzungssaal von der IG MARSS in Zusammenarbeit mit dem Magistrat veranstaltet wurde, war auch Gegenstand der Tagesordnung der Jahreshauptversammlung. Die Analysen und Aussagen der auswärtigen Architekturkritiker von Rang werden die IG MARSS weiter beschäftigen. In einem ersten Schritt sollen die Redebeiträge und Thesen publiziert werden. In einer Folgeveranstaltung sollen die Themen weiterdiskutiert werden. Der bisherige langjährige Vorstand wurde einstimmig wiedergewählt. Ihm gehören an Claus Schreiner als Vorstandssprecher, Prof. Bernhard vom Brocke, Kassenwart, Dr. Udo Becker, Schriftführer, sowie Dorothee de la Motte, Angus Fowler und Prof. Hartmut Lüdke.