Heureka auf den Lahnbergen
Von der Bushaltestelle Botanischer Garten sind es noch ein paar Hundert Schritte. Fünf oder sechs Personen sind mit ausgestiegen, wollen auch zum Sommerfest und zum LiteraturPARKours im Neuen Botanischen Garten. Aus wolkengrauen Himmel fallen Tropfen. Am Kassenhäuschen eine kleine Schlange. Der Eintritt macht zwei Euro. Für jeden gibt es ein Infoblatt, wann und wo Lesungen stattfinden, verlegt unter Glasdach in Schaugewächshäusern. Mal schauen. Im Hof vor dem Eingangsgebäude samt Cafeteria stehen viele an einer Imbißbude. Es ist Mittag, die Eröffnung ist zwei Stunden her und Leib und Seele wollen zusammengehalten werden.
Das Leseprogramm hat längst begonnen. Grün-schwummeriges Licht hier drinnen. Gepflasterte Wege von Grünpflanzen umwachsen. Wer im Glashaus sucht, kann andere Fragen. Nach kurzem Abstecher ins Schmetterlingshaus, gelange ich ins Sukkulentenhaus. Viel Licht und Raum und recht viele Zuhörer. Die Fotokamera nach oben haltend, passiere ich die am Eingang gedrängt Stehenden. Inmitten von Zuhörern rezitiert stehend eine Frau. Sie hat Schriftliches in der Hand, spricht, referiert, gestikuliert, sucht die Menschen. Durch das Ozonloch bleibt hängen vom Rest des Vortrages von Ingeborg Guba.
Der nächste Vorleser im Stehen erläutert zunächst seine Geschichte. Die spielt in Griechenland, von dem so viel die Rede gewesen sei, sagt Gerd Kranke beinahe entschuldigend. Dann liest er los. Es ist eine Urlaubsgeschichte. Im Buch abgedruckt ist sie. Wer will, kann dieses nachher am Büchertisch erwerben. Die Geschichte aus Griechenland ist eingängig. Schade, schon vorbei, 10 Minuten Lesezeit. Doch an diesem Tag wollen noch Viele lesen. Parcours mit Stippvisiten. Worte, Sätze, Geschichten und Gedichte.
Die nächste Autorin nimmt den erhöht platzierten Stuhl und rückt das Mikrofon zurecht. Zu Recht, wie sich zeigt. Ihre Gedichte suchen Raum und Klang. Die Stimme aus dem Lautsprecher transportiert Poesie. Es ist noch Zeit. Zuhörer wollen das eine oder andere Gedicht von Angelica Seithe ein zweites Mal hören. Sie kommt aus Wettenberg bei Gießen, gehört zum Marburger Autorenkreis. Das erzählt sie später in der Cafeteria und hält weiter die fünf Gedichtbände mit den farbigen Lesezeichen in der Hand.
Rundgang durch die Gewächshäuser. Ab und zu stauen sich die Menschen. Familien mit kleinen Kindern sind unterwegs, betrachten großblättrige Pflanzen. Manche zeigen mit der Hand auf exotische Pflanzen. Statt Sommerfest mit Führungen im Freigelände, erklären und erläutern Botaniker im Australienhaus und im Nutzpflanzenhaus vor interessiertem Publikum. Viele, vielleicht die meisten, sind wegen der Pflanzen gekommen. Biodiversität ist als Thema angekündigt worden. So mischen sich auf den umwachsenen Wegen Literaten mit Botanikern, unterwegs zu verschiedenen Örtlichkeiten in den Gewächshäusern. Draußen, auf Wegen im Freilandbereich sind schirmbewehrte Besucher unterwegs. Es regnet sich ein.
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Abends lässt der Regen nach, der Himmel klart auf. Wird beinahe zu einem Sonnabend nach einem Regentag, der kein Sonntag war. Vom Botanischen Garten nicht viel gesehen, in dessen Gewächshäusern zugleich viel Botanisches erlebt und anregend Literarisches aufgenommen, kommt mir ein Gedanke. Unten in der Stadt Marburg, in der Bahnhofstraße, bauen sie neu ein Chemikum. Oben auf den Lahnbergen bauen sie für dreistellige Millionen die Naturwissenschaften aus. Doch für das dort seit Jahrzehnten aufgebaute, gepflegte und gehegte Botanikum soll kein Geld mehr da sein. Da kann etwas nicht stimmen bei den Prioritäten von Land Hessen und der Uni-Leitung. Das letzte Wort wird nicht gesprochen sein. Ob die Entscheidung bereits gefallen, der Rest sich selbst überlassen, kalt abgewickelt wird, wird vom Verhalten vieler Menschen abhängig werden, besonders von denen in Marburg.
Zunächst sollte man der Universitätspräsidentin ein Stilleben mit Pflanzen zukommen lassen. Dazu sollte Professorin Katharina Krause jede Woche einen Blumenstrauß erhalten – aus ihrem eigenen Botanischen Garten. Unterschriften für dessen Erhalt werden längst und weiter gesammelt.
Heureka, griechisch, war dereinst ein Ausruf. Dies kann erneut freudiger Ausruf werden, wenn der Erhalt des Botanikums auf den Lahnbergen gelingt.
Mathematikum (Gießen), Viseum (Wetzlar), Klinikum und Chemikum in Marburg. Warum nicht Botanikum, in München gibt es das bereits. Literaturschaffende aus Stadt und Land werden es unterstützen und zahlreiche Menschen gehen sogar an Regentagen dorthin.
Reportage von Hartwig Bambey (16. August 2010)