Stadtwald – Verunsicherung und Ängste vorgetragen
Marburg 1.10.2010 (yb) Zahlreich nutzen Bewohnerinnen und Bewohner aus dem Stadtwald den Informationsabend am Freitag, um sich zu informieren und einzubringen. Höchst anschaulich wurden Angst um Sicherheit der eigenen Kinder von Müttern und Vätern artikuliert. Oberbürgermeister Vaupel, Ortsvorsteher Schneider, Landgerichts-präsident Ullrich und Kriminaloberrat Göbel wurde die Betroffenheit der Bewohner höchst anschaulich. Sie stellten sich den Fragen der Menschen und nahmen manch konkrete Anregung aus der Veranstaltung mit auf den Weg für ihr zukünftiges Handeln.
Lebensqualität im Stadtwald hat sich deutlich verschlechtert
Klare Worte hat am Anfang Ludwig Schneider als Ortsvorsteher formuliert. „Die Lebens-qualität in Marburgs jüngstem Stadtteil Stadtwald hat sich deutlich verschlechtert“ sagte er. Zuvor hat er auf die jahrelangen Bemühungen zum Aufbau eines Gemeinwesens verwiesen. Die drücken sich inzwischen darin aus, dass die Stadt dort ein großes Baugebiet ausgewiesen hat. Workshops und Veranstaltungen für Bauwillige wollten Modelle für neues Bauen und Wohnen populär machen und drohten jetzt im Schlagschatten des monatelangen Wohnaufenthalts ehemaliger Gewalttäter unter zu gehen. Der anwesende Stadtplaner Reinhold Kulle wird diesen Hinweis aufmerksam zur Kenntnis genommen haben.
Nach Vorträgen der vier Vertreter auf dem Podium, war es an den Menschen selbst ihrer Sichtweise, ihren Ängsten und Hoffungen Ausdruck zu verleihen. Zu Wort sind viele gekommen, Fragen wurden nach Kräften beantwortet und Massnahmen erläutert. Am Ende musste Ungewissheit bleiben. Und die wird fortbestehen, solange ein wegen Sexualdelikten an Kindern Vorbestrafter dort oben Einquartierung behält.
Integrationsressourcen erschöpft
Ein realistisches und von eigenen berufliches Erfahrungen getragenes Bild zeichnete eingangs der Aussprache eine Gemeinwesenarbeiterin. „Der Stadtwald hat keine Integrationsressourcen mehr“ lautet ihre Einschätzung. „An welcher Stellschraube kann denn jetzt noch gedreht werden?“
Eine ganze Reihe von Fragen hatten die Aussagen von Gerichtspräsident Ullrich ausgelöst, dass es aus verschiedenen Gründen nicht gelungen ist einen Umzug von Herrn K. nach Frankfurt zu organisieren. Dies gipfelte in der Frage, wie es denn überhaupt dazu kommen konnte und durfte, dass der Sozialdienst der JVA Schwalmstadt für zwei der Entlassenen eine Unterbringung in der Pension im Stadtwald herbeiführen konnte.
Verhindert werden müsse in jedem Fall, dass sich solches wiederhole und es ein weiteres Mal zu einer solchen hochgradig belastenden Einquartierung komme, lautete die unmißverständliche Forderung eines Stadtwaldbewohners. Dr. Christoph Ullrich horchte auf. „Ich werde dies weitergeben“ waren seine Worte, zugleich Bestätigung und Ankündigung des Juristen.
Das Alltagsleben hat sich verändert – mit vielen Einschränkungen
Viele Fragen und Einbringungen von Müttern beschäftigen sich mit der Frage, wie sie einerseits ihre Kinder informieren und aufklären können ohne zugleich Ängste in den Kindern zu wecken. Eine Mutter erzählt, dass ihr eben dieses genau nicht gelungen sei. Ihre Tochter sei verängstigt. Sie fragte nach Unterstützung. OB Vaupel horchte auf.
Aus dem Publikum kam der Hinweis, das es dazu bereits Angebote in Marburg gibt. Das „HEINI-Projekt“, in Ockershausen etwa, bietet Training und Unterstützung für Kinder an.
Das müsste doch zur Chefsache werden
Alle Einbringungen waren von großer Sachlichkeit und Auseinandersetzungsfähigkeit getragen. Die Menschen im Stadtwald suchen und setzen sich auseinander, wissen dabei, dass eine Lösung nicht in ihren Händen liegt und auch seitens der Stadt Marburg nur begleitende Massnahmen geleistet werden können.
In andere Richtung zielte daher der Beitrag eines Bewohners. Er will die Probleme – zugleich für Justiz, Sicherheitsmanagement, Polizei, Stadt Marburg, Bewohner und Schulen im Stadtteil eine außerordentliche Belastung – zur Chefsache gemacht wissen. Einer müsse Verantwortung übernehmen und zielführende Massnahmen einleiten. Gemeint ist damit Hessens Justizminister Jörg Uwe Hahn. „Ich bin auch mit einem Staatsekretär zufrieden“ sagte der Stadtwaldbewohner, „aber es muss nach all den Monaten des Stillstands zur Chefsache gemacht werden. Damit es hier endlich vorwärts gehen kann.“
Marburgs Oberbürgermeister konnte sich mit dieser Forderung ganz und gar bestätigt sehen. Eine seiner grundlegenden Aussagen an diesem Abend hatte gelautet, das Land Hessen müsse sich endlich seinen Aufgaben stellen.