Podiumsdiskussion Synthetische Biologie: Ingenieure des Lebens
Marburg 5.10.2010 (pm/rde)Die Ziele der Synthetischen Biologie und daraus resultierende ethische und politische Fragen – diese Themen standen im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion, zu der das Fachgebiet Sozialethik in die Aula der Universität geladen hatte. An die hundert Zuhörer verfolgten die Debatte, an der neben Vertretern des Marburger „LOEWE“-Zentrums für Synthetische Mikrobiologie auch Wolf-Michael Catenhusen teilnahm, ehemals Staatssekretär im Bundesforschungsministerium.
Die Synthetische Biologie vollziehe einen Perspektivenwechsel, indem sie organische Gebilde planmäßig umbaue wie ein Ingenieur, erläuterte der Biologe Professor Michael Boelker zu Beginn. „Die Synthetische Biologie ist ein Versuch, die Komplexität des Lebendigen auf eine Minimalzelle zu reduzieren“, umriss der Genetiker das Ziel der neuen Forschungsrichtung und verglich diesen „Top-down“-Ansatz mit dem Bau von Autos, bei denen die Grundkonstruktion gleich bleibt und sich nur die Ausstattung ändert.
Der Physiker Professor Bruno Eckhardt griff dies auf und hob hervor, wie komplex lebende Systeme seien. Daher sei es „mühsam, Zellen aus einfachsten Bausteinen zusammenzusetzen“, befand der Geschäftsführende Direktor des „LOEWE“-Zentrums und skizzierte die strategische Alternative: „Die Hoffnung ist es, durch den Umbau von Zellen neue Funktionalitäten zu erhalten, Aufgaben von einer Zelle auf eine andere zu übertragen und möglichst auch zu verbessern.“
Der Forschungspolitiker Wolf-Michael Catenhusen lenkte die Aufmerksamkeit auf Sicherheitsfragen, die sich aus der gezielten Beeinflussung von Zellen ergeben. Er erinnerte an die Entwicklung der Chemie, in der man unerwünschte Wirkungen neuartiger Stoffe erst nach Jahrzehnten erkannt habe. Da man die entstehenden Risiken nur im Labor beherrschen könne, bezeichnete er es als „nicht vorstellbar, außerhalb von Sicherheitssystemen zu arbeiten“. Die Politik müsse die wissenschaftlichen Fortschritte „begleiten, um gegebenenfalls die Notbremse ziehen zu können“.
Chancen und Risiken der Synthetischen Biologie standen im Zentrum der Überlegungen, die der evangelische Theologe und Sozialethiker Professor Peter Dabrock vortrug. Er mahnte an, auf die Erwartungen der Öffentlichkeit einzugehen: „Ich traue der Synthetischen Biologie vieles zu und möchte nicht, dass man die Hoffnungen so weit überdehnt, bis sie enttäuscht werden.“ Die Sozialethik habe daher Allmachtsphantasien der neuen Forschungsrichtung wie deren Skandalisierung zu hinterfragen. „Ich halte eine Entdramatisierung der Debatte für erforderlich.“
Die Statements der Podiumsteilnehmer regten das Publikum zu engagierten Wortmeldungen an, die dem Problem der Komplexität und Sicherheitsfragen galten. So entspann sich eine Debatte darüber, ob man künftig für den planvollen Umbau von Organismen eher „ingenieurmäßige oder evolutionäre Prozesse nutzen“ werde, wie Catenhausen formulierte. „Die Synthetische Biologie ist eine Wissenschaft der Visionen“, resümierte Dabrock, „dem muss man sich stellen.“