Zwangssatzung versus Wertsicherungssatzung
Marburg 20.10.2010 (yb) Alle Beteiligten waren ein wenig gespannt auf den Abend. Die erste öffentliche Diskussion über ein in Marburg vertrautes Thema. Solarsatzung. Stichwort genügt. Die üblichen Verdächtigen. Oder sind es die üblichen Verdächtigungen? Beides nicht, jedenfalls nicht so wie dunnemals.Das liegt nur zwei Jahre zurück.
Ein Teil der Verdächtigen, korrekt der Akteure, hatte sich im Rahmen der Sitzung des Umweltausschusses zusammen gefunden. Gleich zwei Tagesordnungspunkte, die Nummer 3 und die Nummer 12, beschäftigten sich mit Solarem. Solarsatzung und Solarförderung. Sie wurden zusammen abgehandelt. Sind erwartungsgemäß, mehrheitlich, durchgegangen. Rot-Grün und Rot (Fraktion Marburger Linke) dafür. Die Bürgerlichen, CDU, FDP und Marburger Bürgerliste, dagegen. Nichts Neues aus Marburg. Solarsatzung, die Zweite jetzt also. Die üblichen Verdächtigen und die üblichen Verdächtigungen und gegenseitigen Vorwürfe, ideologisch zu handeln, gab es nicht. Jedenfalls nicht hitzig oder gar leidenschaftlich. Gewisse Spannung materialisierte sich in sachorientierter Debatte(nbeiträgen). Anschaulich, argumentativ und überzeugen wollend.
Urteilsbegründung liefert Handlungsanleitung
Grün eröffnete. Logo. Anstelle des krankheitsbedingt nicht anwesenden Bürgermeisters Franz Kahle kam das dem Fraktionssprecher von Bündnis 90/Die Grünen Dietmar Göttling zu. Der zeigte sich gut aufgestellt. Blickte auf den langen Weg zurück, forderte anstelle von Worten kommunale Taten ein, erläuterte den politischen Prozeß und den juristischen Prozeß. Die Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichtes Gießen – dessen Urteil hatte die erste Solarsatzung für nichtig erklärt – weise den Weg und begründe geradezu juristisch Möglichkeit und Hoheit für die Kommune Marburg eine Solarsatzung verabschieden zu können.
Nur eben nicht für Neubauten. Daran war die erste Solarsatzung aus 2008 juristisch gescheitert. Doch Paragraph 81, 2 der Hessischen Bauordnung eröffne Kommune juristisch den Weg, den Marburg jetzt weiter beschreiten will. Die Hessische Bauordnung mit Paragraph 81,2 sei nun einmal geltendes Recht. Zur Satzung gebe es begleitende Förderung. Die wolle man erhöhen, den Förderbetrag verdoppeln.
Bund und Baden-Württemberg exerzieren es vor
In ein gleiches Horn stieß OB Vaupel (SPD), der wegen Gesprächen zum selben Thema an anderem Ort mit Baudirektor Rausch später zur Sitzung kam. „Redaktionelle Änderungen“ lautete eine Formulierung des Oberbürgermeisters zur Kennzeichnung des überarbeiten Satzungsentwurfes. Die Hessischen Kommunen könnten genau eine solche Satzung erlassen.
Politisch verwies Vaupel auf das EEG, Erneuerbare Energien Gesetz des Bundes, worin entsprechende Regelungen, dort eben für Neubauten, getroffen würden. Auf Länderebene habe zudem Baden-Württemberg als Bundesland ebensolche Bestimmungen getroffen. Und die Landesregierung im Südwesten sei rot-grüner Orientierung nun wahrlich nicht verdächtig, unterlies Vaupel nicht den politischen Kontrahenden vorzuhalten.
Vorbehalte gegen Vorschriften und bilanzielle Abwägungen
Hermann Uchtmann von der Marburger Bürgerliste schüttelte vorab den Kopf. Er blieb bei dem bekannten Vorwurf, den Bürgern würde eine Zwangssatzung vorgesetzt, das Eigentumsrecht und Eigentumsverfügungsrecht werde verletzt. Ähnlich die Argumentation der CDU, vorgetragen von Karin Schaffner. Also zweimal klares Njet. Etwas diffiziler und differenzierter argumentierte Heinrich Dingeldein von der FDP. Er fragte nach dem Inhalt der Satzung, bezweifelte die Effizienz einer Pflicht solarer Energieerzeugung etwa als Wärmegewinnung für Wasser, das jahreszeitlich gar nicht benötigt würde. Andere Massnahmen, etwa der energetischen Isolierung von Altbauten, könnten sich als wirkungsvoller und effizienter erweisen.
Dazu musste er sich vorhalten lassen, dass die vorliegende Satzung dies genau vorsehe, berücksichtige und mit dem Paragraphen 9, „Ersatzweise Erfüllung“ eröffne und Hauseigentümern anheim stelle. Das machte den Liberalen nachdenklich.
Er berichtete von Aussagen eines Immobilienmaklers, der inzwischen Häuser aus den 70iger Jahren deswegen nicht mehr verkaufen kann, weil energetische Sanierungslasten den Preis gewaltig drücken würden.
Häuser aus den 70iger Jahren nahezu unverkäuflich inzwischen
Dieses Beispiel kam OB Vaupel gerade recht. „Dann schaffen wir also eine Wertsicherungssatzung und keine Zwangssatzung“ war aus seinem Mund zu hören und konnte eine hohe Plausibilität erheischen. Stellvertretender Auschussvorsitzender Mustek verwies auf die enormen Potentiale regionaler Wertschöpfung mit regenerativen Energieträgern etwa in Kreisen installierender Handwerker.
Georg Fülberth, vorab bereits Zustimmung signalisierend, artikulierte Bedenken zur politisch-rechtlichen Durchsetzung gegen eine „feindlich eingestellte Landesregierung in Wiesbaden.“ Es sei zu befürchten und erwarten, dass § 81,2 außer Kraft gesetzt werde, von dieser Landesregierung, so Fülberth´s Prognose.
Erwartungsgemäss fiel schließlich die Abstimmung aus. Für den Satzungsentwurf stimmten Rot-Grün und die Marburger Linke. Mehrheitlich angenommen. Die Bürgerlichen hielten dagegen. Minoritär.
Der Aufgalopp hat stattgefunden. Am Donnerstag im Bauauschuss kommt die zweite Vorrunde. Erneut kleine Besetzung. Same Procedure. Who knows it? We ´ll see.
Symptomatische für die Auseiandersetzung und Suche nach Lösungen in dieser Ausschusssitzung war, dass andere Tagesordnungspunkte verabschiedet wurden – einstimmig. Ideologische Grabenkämpfe und Obstruktion gehen anders. Doch dem Bauauschuss folgt der dann große Aufgalopp. Die Stadtverordnetenversammlung am 29. Oktober. Dann kommen sie alle. Die üblichen Verdächtigen. Volle Besetzung, großes Streitorchester.
Mensch wird erleben und hören, was sich die Strategen zu Recht gelegt haben werden.
We ´ll see und hear. May be, it will become interesting. Or may be not.