Marburger Bahnhof als Tor zur Welt und in die Stadt
Marburg 24.12.2010 (yb) Ein Blick in die Stadtgeschichte vergegenwärtigt, dass auch die Marburger Stadtentwicklung nicht wenig von der Entwicklung der Eisenbahn geprägt wurde. Die Eisenbahn hat mit Bau der Main-Weser-Bahn 1850 die oberhessisch-provinzielle Abgeschiedenheit der Stadt Marburg beendet und maßgebliche Modernisierungsschübe ausgelöst. In den vergangenen Jahren haben Bahn und Bahnhof und dessen Entwicklung nicht alleine Folgewirkungen auf die Mobilität. Neben einer verschlechterten überregionaler Anbindung der Stadt Marburg gab es bis vor kurzem Stagnation und Regression in der baulichen Inszenierung von Eisenbahn in Gestalt des an sich ansehnlichen Bahnhofsgebäudes.
In krassem Kontrast zu Stuttgart hat(te) die Deutsche Bahn viel zu lange Zeit, überhaupt keine Pläne und Modernisierungsabsichten in Marburg. So sieht es in der Bahnhofshalle denn auch aus. Wie in einer Kaschemme; sogar Marburger Bier wird dort noch angepriesen, wo selbst das Brauereigebäude inzwischen längst abgebrochen ist.
Die Bahn hat in Marburg also Verspätung. Nicht um Minuten oder Stunden, es sind nachgerade schon Jahrzehnte, die die Bahnanlagen, deren Zuwege und eben das städtebaulich ansehnliche und Stadtbild prägende Bahnhofsgebäude mit asymetrischem Grundriss der Zeit, den Erfordernissen und Möglichkeiten hinterherhinken. Ärgernis und klarer Befund für jede Menge dringenden Handlungsbedarf!
Initiative von Stadt Marburg und der GeWoBau
Dieses Elend und die offenbare Stagnation haben die Stadt Marburg und deren kommunale Wohnungsbaugesellschaft GeWoBau auf den Plan gerufen. Es seien zähe und langwierige Verhandlungen ge-wesen, berichtet GeWoBau-Geschäftsführer Bernd Schulte, um das zu erreichen, was seit Sommer am Gebäude des Hauptbahnhofes in Gang gesetzt wurde. Dort wird umgebaut und ausgebaut.
Der Bahnhof hat inzwischen zwei Eigentümer: weiterhin die Deutsche Bahn, im Erdgeschoss, und neuerdings eben die GeWoBau Marburg in den oberen Etagen. Dabei handelt es sich um erhebliche Flächen und Raummeter. Die Ausbaupläne zeigen 1.800 Quadratmeter neuer Nutzflächen in den oberen Etagen bis unter das Dach.
Anfänglich waren Studentenwohnungen in Planung und Meinungsbildung. Doch wirtschaftliche Überlegungen und steigende Angebotspreise, ausgelöst durch einen spezifischen Marburger Bauboom, der sich nicht wenig aus Maßnahmen der Konjunkturprogramme gespeist hat, ließen die GeWoBau umschwenken in Richtung gewerbliche Nutzungen mit Büros und Praxisräumen.
Rückblick auf die Bahngeschichte in Marburg
Mit der Eisenbahn zog auch in Marburg Mitte des 19. Jahrhunderts Technik und Industrialisierung ein. Es kam mit der Main-Weser-Bahn Kassel – Frankfurt nicht alleine der Anschluss an die weite Welt in die oberhessische Provinz. Am kleinen Knotenpunkt Marburg entstanden auch Bahnbetriebswerke mit einer erheblichen Zahl von Arbeitsplätzen. Dazu wurde die Bahnhofstraße über die Lahn hinweg gebaut, im Norden der Stadt siedelten sich Gewerbebetriebe an, die Stadt begann mit der Bahn und durch die Bahn zu wachsen. Es gab sogar eine am Bahnhof beginnende Straßenbahn bis zum Wilhelmsplatz. Ein Nahverkehrsmittel, das womöglich eine Renaissance in Marburg erleben wird.
Waggonhallen als kommende Projekt Aufgaben
Heutige Relikte dieser Eisenbahn-Gründerzeiten sind das Waggonhallen-Areal, inzwischen städtischer Besitz, und andere Flächen entlang der den Stadtraum durchschneidenden Bahntrasse. Dies beschäftigt die Stadt Marburg mit aktuellen Plänen für neue Wegeführungen, Wohnbebauung und ein Kulturrevier in Industrie-bauzeugnissen – die Waggonhallen.
Die Stadt Marburg mag eine Universität sein, wie im Ausspruch „Andere Städte haben eine Universität, Marburg ist eine Universität“ überliefert ist, doch heutzutage sind Bahnerschließung und die Erreichbarkeit der Stadt auf der Schiene für viele Tausend Studierende mit dem Semesterticket unabdingbar.
Die Tage des chronisch vernachlässigten Marburger Bahnhofes sind gezählt. Mit der Investition der GeWoBau von 5,3 Millionen Euro und deren zum Gewerblichen orientierten Nutzungskonzept ist Bewegung in die leidige Angelegenheit gekommen. Ende 2011 soll das Bahnhofsgebäude nicht einfach nur in neuem Glanz erstrahlen. Ein südlich angehängter Fahrstuhlstrakt wird auch Erschließung und Barrierefreiheit für die Nutzer bringen.
Offenbar ist es Wille der Bauherren, der Architektur des Bahnhofsgebäudes zu entsprechen. Für den Ausbau der Dachbereiche etwa sieht die Planung der GeWoBau eine gläserne Dachgaubengestaltung vor. Das klingt verheißungsvoll und lässt auf Entschädigung für jahrzehntelange Vernachlässigung hoffen.
Wie Geschäftsführer Bernd Schulte im Gespräch mit DAS MARBURGER berichtet, liegen derzeit zwei Mietanfragen von großen Gesellschaften vor, die jeweils das komplette Gebäude in den oberen Etagen mieten und nutzen wollen.
GeWoBau führt die Regie
Die Bahn als Eigentümerin und Nutzerin des Erdgeschosses mit Bahnhofshalle hat der GeWoBau immerhin die Bauaufsicht auch für deren bauliche Modernisierungen übertragen. Damit ist einer zügigen Abwicklung wenig im Wege. Einen Vorgeschmack auf kommende Zeiten sollen die große Zeichnung oben und das Raumfoto unten vermitteln.
Eine Bahnhofshalle, die den Namen verdient
In der Bahnhofshalle werden Fahrkartenverkauf, Kundenberatung, Gastronomie und, unverzichtbar, eine Bahnhofsbuchhandlung mit Zeitungen und Zeitschriften ihren Platz finden.
Bahnhofsvorplatz erhält neue Gestalt
Bahnhof, Bahnhofstraße, Bahnhofsviertel – nicht alleine in Marburg gingen und gehen von der Bahn ändernde und Stadtraum gestaltende Wirkungen aus. Bahnhofstraße und Bahnhofsviertel sind einst in Korrespondenz zur Mobilität von Menschen und Gütern entstanden. So ist es folgerichtig, dass die Stadt Marburg im Rahmen ihrer Sanierungsabwicklung für die Nordstadt jetzt den Bahnhofsvorplatz angeht, Autoverkehr verbannt und Raum für eine Neugestaltung und neue Nutzungen schafft.
Stadtraum und nicht Autopiste
In mehreren Bauabschnitten wird der Bereich vor dem Marburger Hauptbahnhof neu gestaltet. Zukünftig wird der Bahnhofsvorplatz vom normalen Kfz-Verkehr zu umfahren sein. Eine neue Verkehrsführung bezieht dafür die Ernst-Giller-Straße ein. Damit entsteht dort ein wirklicher Platzbereich, vielleicht sogar mit Aufenthaltsqualitäten.
Das Quartier wird entwickelt
Nach Jahrzehnten relativen städtebaulichen Stillstands erlebt die Stadt zwischen Elisabethkirche und den Schienensträngen eine Zahl paralleler Entwicklungsimpulse und großer Investitionen.
In Sichtweite des Bahnhofes, wenn man das unwirkliche Betonbrett der Stadtautobahn unterquert und die Lahn überquert hat, investiert die Deutsche Vermögensberatung AG mehr als 40 Millionen Euro in eine neue Konzernzentrale und ein Congress Centrum. Beitrag im Magazin
Nicht weit davon auf der Seiten des historischen Klinikviertels entsteht das Chemikum als naturwissenschaftliches Mitmach- und Lernlabor.
Damit ist und wird das Bahnhofsquartier zugleich ein Laboratorium für Innovation, Veränderung und endgültige Hebung der alten Lahnstadt in das 21. Jahrhundert.