Denkmal Turnergarten – Bericht von beiden Seiten der Medaille
Marburg 17.1.2011 (yb) Von leichtem Nebel umgeben, präsentiert sich frisch renoviert und restauriert und für neue öffentliche Nutzungen ausgestattet der Turnergarten am Montagvormittag kurz vor Beginn der offiziellen Einweihung. Zahlreiche Beteiligte aus Politik, Bauverwaltung, Planung, dazu Fachleute, Bauleute und interessierte Gäste sind unterwegs zu dem Baudenkmal in eigenwilliger Hanglage direkt an der Spitzkehre zur Lutherstraße.
In dem äußerlich eher kompakt wirkenden Bauwerk, vor gut 100 Jahren erbaut, überrascht dann innen der Saal mit Empore, Bühnenaufbau und beinahe tonnenförmig sich hoch wölbender Decke und Innenausleuchtung durch drei runde großzügige Lampenträger die nach und nach eintreffenden Teilnehmer der Eröffnungsveranstaltung. Auf den ersten Blick ist sichtbar, dass hier ein besonderes Bauwerk mittels aufwändiger Bearbeitung neu gestaltet und ausformuliert wurde. Die Besucher ergeben sich dem beeindruckenden Saal mit gemessenen Blicken. Hier ist offensichtlich etwas Außerordentliches geworden, findet sich Rekonstruktion angedeutet, mit neuer Farb- und Materialgebung würdig gestaltet und für großzügige (Schul-)Nutzungen ausgelegt.
Bei dreiseitiger Beleuchtung durch die an Originalformen orientierten maßvoll gestalteten neuen Fenster mit bestem Isolierglas fällt auf den zweiten genaueren Blick die große Trennwand zwischen der raumbreiten Vorderbühne und deren hinterem Teil ins Auge. Dort ist eine alte Wandbemalung und -gestaltung freigelegt. Frühe Jugendstilornamente, Landes- und Stadtwappen und weitere Zeichen treten in sanfter Kontrastierung hervor. Lücken und Beschädigungen sind stehen geblieben, was das Betrachterauge ohne weiteres verzeiht.
Inzwischen ist das Eröffnungsgeschehen in Gang gekommen. Vom Oberbürgermeister gibt es Worte des Dankes an die zahlreich Beteiligten am Gelingen des Prozesses dieser Denkmalgestaltung. Der Bürgermeister verweist auf viele und langwierige Gespräche, Verhandlungen, berichtet von der Suche nach Lösungen und von notwendigen Kompromissen und dass man es sich nicht leicht gemacht habe. Und dass das Ergebnis alle Mühen gelohnt habe und für sich spreche. Die Schuldezernentin schließt an und erläutert die kommenden Nutzungen seitens der Emil-von-Behring-Schule vis à vis. Deren Schulleiter berichtet von der zukünftigen Mediathek im großen Saal, dem einen Klassenraum in der oberen Etage hinter der Empore, beinahe etwas zaghaft, dass die schulischen Nutzungen, zusätzlich auch kulturelle Schulveranstaltungen wie Lesungen, langsam, nach und nach entwickelt werden sollen.
Nach Archtitektin und Restaurateurin kommen drei Veteranen aus der sportlichen Vergangenheit des Bauwerks zu Worte. Auch sie zeigen sich beeindruckt und steuern Erlebnisse, Ereignisse und Geschichten aus dem Marburger Turnergarten bei.
So ist viel geredet und gewürdigt worden, Dank gesagt worden und natürlich blieben die 1,6 Millionen Kosten für innere Gestaltung und bauliche Sanierung samt energetischer Ertüchtigung nicht unerwähnt. Via Denkmalförderung und Konjunkturprogramm ist an der Finanzierung das Land Hessen beteiligt. Wenn schon nicht in der Größenordnung, wie das im Verhältnis zum Stadtwappen gleich repräsentabel wirkende Landeswappen an der bemalten Bühnenwand vermuten lassen könne, wird angemerkt.
Für aufmerksame Zuhörer gibt es bei dieser Eröffnungszeremonie in den Wortbeiträgen zahlreiche Zwischentöne und Hinweise. Zudem scheint der Raum zwischen den Zeilen recht ausgeprägt. Am Rande gesellen sich zum offiziell Gesprochenen allerhand Hinweise und Informationen über den schwierigen und langwierigen Weg, der an diesem Montag sein Ziel und Ende gefunden hat. Es ist offenbar überhaupt kein geradliniger Weg und Kurs gewesen, der dem Marburger Turnergarten zu dieser baulichen Renaissance mit weiterhin öffentlicher Nutzung verholfen hat.
Die Liegenschaft war bereits an privat verkauft, sollte für Wohnzwecke radikal umgebaut und nutzungsentfremdet werden. Dann wurde interveniert. Seitens hartnäckiger Marburger. Alte Leute, die hier als Sportler und Sporttrainer lange Zeit gewirkt haben, wurden angesprochen, sind mit aktiv geworden für den Erhalt des Turnergartens und dessen adäquate Umgestaltung und Sanierung. Ob aus Feuerwehr oder vom VfL Marburg, Denkmalbeirat und schließlich auch der Kommunalpolitik, es haben sich viele zu Wort gemeldet, haben protestiert und die weit vorangeschrittenen Pläne und Planungen von Privatseite vereiteln können.
So ist Jahr um Jahr vergangen bis zunächst in den Köpfen von Veranwortungsträgern das Einsehen reifte und ein Einlenken stattfinden konnte. Schließlich ist die Stadt Marburg Eigentümerin geworden und hat aus unterschiedlichen Nutzungsideen Möglichkeiten für die benachbarte Emil-von-Behring-Schule, in den Räumlichkeiten Mediathek und Medienerziehung anzubieten zu können, allen Vorrang eingeräumt. Dank Denkmalförderung und Konjunkturprogramm ist die Finanzierung gar nicht schlecht geraten. So haben Hartnäckigkeit, Unverdrossenheit und Festhalten am Bewährtem sich schließlich durchsetzen können. Dannach erst sind Fachleute, Ingenieure, Planer und Architekten, Bauhandwerker und Bauleitung angerückt, um ihre Arbeit zu machen. Diese ist wohl geraten.
So beschert einmal mehr das Wirken sehr vieler Marburger – Genannter und Ungenannter, Bekannter und Unbekannter, Bezahlter und Unbezahlter – der Stadt die Wiederkehr eines Bauwerks in zeitgemäßer Gestalt „für die edelste aller möglichen Nutzungen, nämlich die Erziehung unserer Kinder und Jugendlichen“, wie es Egon Vaupel trefflich zu formulieren wusste.
Übrigens ist der rekonstruierte Saal im Turnergarten mehr als 300 Quadratmeter groß und als die Gäste den Ort der Eröffnung verlassen haben, hatte sich der morgendliche Nebel um das Bauwerk verflüchtigt.