Bürgerarbeit als Lüge und Sozialbetrug
Marburg 19.1.2011 (yb) Der Landkreis Marburg-Biedenkopf beteiligt sich an dem bundesweiten Modellversuch Bürgerarbeit. Dies war Grund genug für den DBG in das Gewerkschaftshaus zu einer Informationsveranstaltung einzuladen. Gewerkschafter, Betriebs- und Personalratsmitglieder, Hartz IV-Bezieher und ein DGB-Vertreter aus dem Vogelsbergkreis folgten der Einladung und sahen sich mit erschreckenden Informationen und Einschätzungen zum Modell der sogenannten Bürgerarbeit als weiterer Eskalationsstufe staatlicher Repression und Entwürdigung von Menschen konfrontiert. DGB-Sekretär Ulf Immelt begrüsste als Referentin Brigitte Baki, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin des DGB Bezirkes Hessen-Thüringen aus Erfurt. Diese wusste aus Betroffenheit nach eigener mehrjähirger „ABM-Karriere“ wovon sie sprach und so geriet ihr Vortrag zu einem ebenso anschaulichen wie bestürzenden Report einer neuen und weiteren sozialpolitischen Grausamkeit in Deutschland.
Bürgerarbeit als Instrument eines Workfare-Systems
Ursprünge und Modell der sogenannten und irreführend bezeichneten Bürgerarbeit stammen aus den USA. Sie wurden von Hessens vormaligen Ministerpräsidenten Roland Koch ins Land geholt. Zuerst wurden die Bürgerarbeit in ein, zwei ostdeutschen Kleinstädten erprobt. Inzwischen wird sie als sozialstaatswidriges und rechtsstaatsfeindliches Modellprojekt, wesentlich aus Mitteln des Europäischen Sozialfond finanziert, auf breiter Front eingeführt. Optionskommuen, wie der Landreis Marburg-Biedenkopf, bewegt dabei zur Teilnahme, dass eigene Finanzmittel geschont und eingespart werden können. Dabei offenbare sich hier ein menschenfeindliches Arbeitsregime, das die beteiligten Menschen ihres Arbeitsnehmerstatus wie der Zugehörigkeit zum Sozialversicherungssystem beraube. Dies geschehe ohne eine gebotene Rechtsgrundlage in diffuser Anwendung disparater Vorschriften des Sozialgesetzbuches, Lohndumping und Verstoß gegen arbeitsrechtliche Regeln inbegriffen.
Bürgerarbeit als Folge der Sozialen Wende im Jahr 2005
Dieses schwerwiegende Fazit von Brigitte Baki war für die Teilnehmer aufrüttelnd und wurde Grundlage einer intensiven Diskussion, in der Teilnehmer aus eigener Betroffenheit Erfahrungen beisteuerten und das „Workfare-System“ bedrückend anschaulich werden ließen. Nachdem die Aktivierungsphase abgeschlossen ist, beginne beim Landkreis Marburg-Biedenkopf nunmehr die Anbahnung erster Beschäftigungsverhältnisse, wurde berichtet. Als Größenordnung wurden dazu 200 „Bürgerarbeitsverhältnisse“ benannt. Die Referentin und Beiträge von Teilnehmern machten dabei anschaulich, dass dieses Instrument in Verantwortung des Bundesverwaltungsamtes admininistrativ, undurchsichtig und nicht kontrollierber zur Anwendung kommt.
Würdelos und rechtelos in einem undurchschaubaren Verfahren
Für Teilnehmerinnen und Teilnehmer sei ein hohes Maß an Entwürdigung und Stigmatisierung damit verbunden. So werden Testergebnisse mitgeteilt, die Beteiligten jegliche Eignung für den Arbeitsmarkt absprechen. TeilnehmerInnen reagieren betroffen und werden mit Weinkrämpfen in Gesprächsrunden von ungeschultem Personal alleine gelassen. Folge davon kann sein, dass Menschen ein sozialpsychologischer Behindertenstatus angehängt wird. „Und raus bis du“ ist dann folgenreiche Konsequenz eines Ansatzes, der offenbar die wachsende Zahl von Langzeitarbeitslosen einer weiteren Durchprüfung und Disziplinierung unterwerfen wolle, um sie dann jenseits jeglicher Vermittlungsaussichten und -ansprüche als Bürgerarbeiter einem Billiglohnregime auszuliefern.
Einklagen von Arbeitnehmerrechten verunsichert Protagonisten und Kommunen
So abschreckend, intransparent und stigmatisierend die Umsetzungsmodalitäten der Bürgerarbeit angelegt sind, tuen sich zugleich Wege des Gegenhaltens und Widerstehens auf, informierte die Referentin. Wenn der Gegenstand der Tätigkeiten als Arbeit zu beschreiben sei, dann handele es sich auch um Arbeitsverhältnisse. Daraus entstehen Konseuquenzen, wie das auf tarifliche Bezahlung. Diese Position wird von der Gewerkschaft Ver.di für den öffentlichen Dienst vertreten. Damit sehen sich Kommunen mit Arbeitsgerichtsverfahren und Lohnnachzahlungen konfrontiert. Das wirkt verunsichernd und hält so manchen Bürgermeister davon ab sich an dem Modell Bürgerarbeit zu beteiligen.
Wenn der Weg zum Arbeitsgericht von zahlreichen Betroffenen gegangen werde, könnte die Durchsetzung und weitere Ausweitung des Modells Bürgerarbeit ins Stocken gebracht werden, lautete eine Einschätzung von Referentin Brigitte Baki. Am Ende könnte wegen Kollision mit dem Arbeitsrecht und Mindeslohnregelungen dieses menschenfeindliche und dem Sozialstaat zutiefst widersprechende System womöglich wieder aus der Welt geschaffen werden, kann als schwieriges nicht resignativens Resümee der DGB-Veranstaltung formuliert werden.
Weitere und grundständige Informatioen finden sich bei Wikipedia.