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Marathonsitzung mandatiert Ausschuss

Marburg 31.1.2010 (yb) Die vorzeitig letzte Sitzung der Marburger Stadtverordneten am 28. Januar zeichnete sich durch einige Besonderheiten aus. Es gab besonders viele Tagesordnungspunkte, die – in Ausschusssitzungen vorbereitet – abzuarbeiten waren. Es kamen besonders viele Bürgerinnen und Bürger als interessierte Zuhörerschaft. Das Stadtparlament hatte sich mit dem aktuellen und besonderen Fall von Veruntreuung in der Stadtverwaltung zu beschäftigen.
Die Sitzung dauerte rund sechs Stunden und hat das Pensum erledigt. Dabei wurde ein Ausschuss zur Akteneinsicht bezüglich der Veruntreuung konstituiert und es wurde das brisante Thema ausführlich diskutiert. In den Beiträgen der Redner gab es geradzu einmütige Bekundungen zum Interesse an Aufklärung der Hintergründe, wie daran die Strukturen zu betrachten. Die Mandatsträger interessiert sehr, wie ein Beamter es jahrelang verbergen konnte erhebliche Gelder, die Rede war von zuletzt 130.000 Euro jährlich, auf die Seite und eigene Konten zu schaffen. Zugleich fragen sie nach Strukturen und Kontrollmechanismen, die dies letztlich zum Schaden von Stadt und Ruf der Verwaltung möglich gemacht haben.

Erläuterungen des Oberbürgermeisters

Nach den Stellungnahmen aus den Reihen der Stadtverordneten mit unterschiedlichen Aktzentuierungen war es an Oberbürgermeister Egon Vaupel Stellung zu nehmen und den derzeitigen Sachstand zu erläutern. Warum er das Geschehene zum jetzigen Zeitpunkt veröffentlicht habe –  er sei doch schließlich Politker… Diese mehrfach von Bürgern an ihn gestellte Frage, mit der eindeutigen Zuweisung, dass mit Politik(ern) Verzögern, Verschleiern und Vertuschen oft genug einhergeht, referierte Vaupel eingangs seiner Ausführungen.

Der Oberbürgermeister stellte für Ende Februar / Anfang März einen Bericht in Aussicht. Darin sollen die verwaltungsinternen Abläufe geschildert und veröffentlicht werden. In einigen Wochen, damit noch vor der Kommunalwahl, wird demnach die Öffentlichkeit Hintergründe zum Geschehenen erfahren. Zu den Ermittlungen in der Stadtverwaltung ist unterstützend das Regierungspräsidium eingeschaltet worden.

Vaupel veranschaulichte die Bedeutung von Vetrauen im Handeln der Verwaltungsangehörigen miteinander, benannte die Unersetzbarkeit eines positives Betriebsklimas, warnte vor Vorverurteilungen und forderte differenzierte Betrachtungen ein. So sei es keinesfalls sachdienlich vorzeitige Konsequenzen zu fordern, wenn nicht bekannt, eindeutig aufgeklärt und damit unklar sei, welche Aufgaben gegenzeichnende Personen zu erfüllen hatten. Auch vom Oberbürgermeister wurde die Zahl von 1,5 Millionen Euro als vermutlicher Gesamtbetrag der Veruntreuung und damit Schadenhöhe benannt.

Widerspruch kam von OB zu vorherigen Behauptungen, dass die Veruntreuung mit durchgängigen jährlichen Überschreitungen des betreffenden Haushaltstitels (Budgetüberschreitungen) einhergegangen sei. Solche hat es 1994 bis 1998 gegeben, und auch danach, jedoch nicht durchgängig. Vaupel bekräftigte sein Bemühen einen möglichst großen Teil der Gelder für die Stadt Marburg zurück zu holen. Eine klare Zurückweisung vorzeitiger Zuweisung von Verantwortung an seine Person und Position kam aus seinem Mund mit Verweis darauf, dass die Veruntreuungen des Täters vier Hierarchiestufen unterhalb der des Kämmerers erfolgt seien.

Eine erste Chronologie der Aufklärung

Im August 2009 sind in einem Bericht erstmals Fragen zur Veränderungen von Verwaltungsabläufen samt Kontrollmechanismen allgemein artikuliert worden. Dies erreichte den Oberbürgermeister im Schlußbericht im Juni 2010. Erster konkreter Verdacht ist im November 2010 aufgekommen. Dies hat intensive Nachforschungen ausgelöst. Tätig geworden ist eine Mitarbeiterin der Stadtkasse. Diese hat auf dem Weg von unüblichen Datenabfragen Hinweise finden können. Es gab damit einen Verdacht. Danach musste auf eine nächste Liste mit Überweisungen gewartet werden. Diese Ermnittlungen und Überprüfungen seien nicht verwaltungsintern möglich gewesen. Auf anderem Weg konnte und musste ermittelt werden, um am 10. Januar 2011 Gewißheit zu erlangen.

Krisenmanagement anstelle von „Informationspolitik“

Dann musste Vieles sehr schnell geleistet werden. Einschaltung der Staatsanwaltschaft, Suspendierung vom Dienst, erwirken von Pfändungsbeschluß zur materiellen Absicherung der Stadt, Information von Personlarat und städtischen Bediensteten erforderten ein pausenloses Handeln des Oberbürgermeisters, erläuterte Vaupel das Geschehen in diesen Januartagen. „Und hinter mir im Tresor lag keine Dienst- und Handlungsanweisung für solche Fälle“ war aus seinem Mund zu vernehmen – Schweigen auf den Bänken der Stadtverordneten und den Plätzen der Zuhörer.
Angesichts der Einmaligkeit und mehrfachen Brisanz der Ereignisse im Kontext hochsensibler Daten (Beihilfeabrechnungen wurden gefälscht, betreffen zugleich Gesundheitsumstände und -daten vieler Betroffener) musste hier ein Begriff auffällig werden. Die diesbezügliche „Informationspolitik“ des Oberbürgermeisters hatte ein Fraktionssprecher zuvor in Frage gestellt. Es seien die Fraktionsvorsitzenden nicht vorab informiert worden.

Der Oberbürgermeister stellte klar, dass er es für geboten hielt, so schnell als möglich die Bürgerinnen und Bürger in Marburg zu informieren. Dazu hatte er zum frühestmöglichen Termin mit drei Stunden Vorlauf zu einer Pressekonferenz eingeladen. So wurde offenbar, dass überhaupt keine Zeit zum Nachdenken war über so etwas wie „Informationspolitik“. Handeln mit vielen juristischen Hintergründen und Folgewirkungen war gefragt. Dass Marburgs Stadtoberhaupt die Kraft und Kompetenz aufgebracht hat und gebotene Sorgfalt nicht aus dem Auge verloren hat, konnte Jede und Jeder im Saal nachvollziehen. Dass dies Egon Vaupel alle Kraft gekostet hat, war ihm im Vortrag anzumerken. Das Schweigen im Saal war vielsagend.
Gleichwohl bezeichnete es der Oberbürgermeister als Unterlassung seines Handelns die Fraktionsvorsitzenden nicht vorab oder zeitgleich informiert zu haben.

Nicht nur Presse war anwesend, ein Kollege vom Fernsehen filmte für die Hessenschau in der Stadtverordnetensitzung am 28. Januar. (Fotografien Hartwig Bambey)

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Zu Staatsanwalt, Verwaltung und Magistrat kommt ein Ausschuss

Bereits in den Tagen vor der Stadtverordnetenversammlung gab es Konsens einen Ausschuss zur Akteneinsichtnahme gemäß Hessischer Gemeindeordnung (HGO) in Arbeit zu setzen. Dieser wurde im Rahmen der Sitzung eingesetzt und findet Unterstützung bei allen Fraktionen. Zugleich wird es keine ordentliche Sitzung des Marburger Stadtparlamentes mehr geben. Damit gibt es auch keine Fraktionsvorsitzenden mehr, jedenfalls nicht am Ort der Fraktionen, in der Stadtverordnetenversammlung, und in Funktion dort. Im Ausschuss sollen 17 Stadtverordnete arbeiten, am 9. Februar wird konstituiert, ein Sprecher bestimmt, werden Termine für Sitzungen festgelegt. Danach kann die Arbeit beginnen. Die Arbeit des Akteneinsichtsausschusses ist vertraulich und sowieso nicht öffentlich. Sie muss überhaupt erst einmal gemacht werden, paralell zu der von Staatsanwaltschaft, paralell zur Aufklärung der verwaltungsinternen Abläufe und allen anderen Belangen. Das wird dauern und den Ausschussmitgliedern einiges an Zeit und Einlassung abverlangen. Zugleich werden diese zu besonderen Vertrauenspersonen.

Damit steht der sicherlich nach wie vor betroffenen und hochinteressierten Marburger Öffentlichkeit, den Menschen in der Stadt, eine diesbezüglich nachrichtenarme Zeit bevor.  Wer wollte denken, dass die nunmehr in die Aufklärung einbezogenen Parteien und Mandatsträger sich als gesetzwidrige Informanten hergeben könnten? Gerade wo die Kommunalwahl bevorsteht und im Stadtparlament unisono und einig das Interesse an sachlicher Aufklärung bekundet wurde. Aufklärer taugen nicht als Informanten. Alle müssen jetzt abwarten.
Marburg hat jedoch erfreulicherweise noch viele andere Themen – in dieser besonderen Sitzung der Stadtverordneten und darüber hinaus.

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