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Veruntreuungsfall – Behinderung der Ausschussarbeit durch Veröffentlichung

Marburg 15.2.2011 (yb) Bad News are good News, schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten, gilt als geflügeltes Wort von Journalisten und soll zum Ausdruck bringen, dass Skandale, Verbrechen, Katastrophen und derlei Themen sich für Berichterstattung und Berichterstatter lohnen. Die Leser wollen demnach das Schlechte lesen. Im Umkehrschluss müsste demnach positive Berichterstattung, also good News, uninteressant für Leser sein. In dieser Betrachtung hätte Zeitung oder anderes Medium, welches gute Nachrichten verbreitet wenig(er) interessierte Leser und Publikumsbeachtung zu erwarten. Es lässt sich fragen, ob dies zutreffend ist? Und wohin würde es führen, wenn die Verbreitung schlechter Nachrichten das erste Gebot journalistischen Handelns wäre?

Der Veruntreuungsfall ist Belastung in Marburg

Die Stadt Marburg und deren Bürgerinnen und Bürger sind seit einigen Wochen mit schlechten Nachrichten konfrontiert. Der Veruntreuungsfall in der Stadtverwaltung mit erheblicher Schadensumme beschäftigt den Magistrat, Prüfbeauftragte der Verwaltung, Polizei und Staatsanwaltschaft, die gewählten Mandatsträger des Stadtparlamentes und eine beunruhigte und sensibilisierte Öffentlichkeit. Längst ist das Thema überregional öffentlich gemacht worden.
Die ganze Stadt Marburg hat also derzeit bad News satt.

In dieser Woche, am Mittwochabend, sollte ein Akteneinsichtsausschuss seine Arbeit aufnehmen. Stadtverordnete sollen und wollen selbst Einsicht in Akten und Unterlagen nehmen. Der Ausschuss ist gebildet worden, um gewählten Mandats- und Verantwortungsträgern zu ermöglichen sich unmittelbar selbst, kritisch und unbefangen ein Bild zu machen. Das war Absicht und Ausgangslage. Diese Absicht und der Auftrag sind vereitelt worden. In Zeitung konnten und mussten Leser am Tag vor der Ausschusssitzung, darunter dessen Mitglieder, wesentliche Fakten aus dem internen und vorläufigen Bericht lesen. Bevor überhaupt Gelegenheit war die Arbeit zu beginnen, mussten Ausschussmitglieder internes Wissen und Schlussfolgerungen also der Presse entnehmen.

Veruntreuung von Geld und jetzt Veruntreuung von Information

In mehreren Gesprächen am Dienstag hat die Redaktion dieses Online-Magazins bei Verantwortlichen im Rathaus nachgefragt. Die Auskünfte sind völlig eindeutig. An Journalisten und Medienvertreter sind keinerlei Informationen aus dem Bericht gegeben worden. Damit hat Marburg jetzt ein weiteres Problem. Die in Zeitung veröffentlichten Informationen können nämlich nur dem Bericht entnommen sein. Das wurde der Redaktion bestätigt. Den Bericht kennen seit Montag die ehrenamtlichen Mitglieder des Magistrats. Danach ist der Bericht den Ausschussmitgliedern zugestellt worden.

  • Wie kann dann eine Zeitung vom dem vorläufigen Bericht Kenntniss haben?
  • Gibt es da eine undichte Stelle?
  • Ist also in Marburg nach der Veruntreuung von Geldern jetzt ein Fall der Veruntreuung von vertraulichen Informationen zu beklagen?

Für diese Frage oder Vermutung gibt es jedenfalls Veranlassung – schwarz auf weiß gedruckt. Bad News are good News?

Mitglieder des Akteneinsichtsausschusses sind konsterniert und verärgert

In Gesprächen mit Mitgliedern des Akteneinsichtsausschusses am Dienstag hat sich die Redaktion einen Überblick zu deren Sichtweise verschafft. Es konnten Stadtverordnete aller Parteien erreicht werden. Nahezu übereinstimmend wurde Erstaunen, Verärgerung und Betroffenheit über diese Zeitungsveröffentlichung zur Unzeit artikuliert. So fragt ein Stadtverordneter*, wie ein Ausschuss arbeiten kann und soll, wenn vorab eine derartige Veröffentlichung stattgefunden hat. Das Befremden, die Verärgerung sogar Fassungslosigkeit sind parteiübergreifend Tenor in den Mitteilungen der Ausschussmitglieder. Sollen und müssen jetzt die Stadtverordneten sich fragen oder fragen lassen, ob eine(r) von Ihnen einschließlich des Magistrats Informant ist und Vertrauensbruch begangen hat?

Aufklärung von Veruntreuung erfordert seriösen, vertraulichen Umgang

Die gesamte Öffentlichkeit in Marburg hat in seltener Einstimmigkeit mit den Stadtverordneten aller Parteien und Fraktionen der Aufklärungsarbeit entgegengeblickt. Dies soll(te) etwas wieder herstellen, dazu gehört an erster Stelle Vertrauen. Die Veruntreuung des Beamten war zuallererst ein gravierender Vertrauensbruch. Sie hat neben dem großen finanziellen Schaden heftigen Vertrauensschaden in die Stadt getragen.
Zur Aufklärung einschließlich der Fragen nach Verantwortlichkeiten gehört damit unabdingbar sachliches, faktenorientiertes Vorgehen. Kurzum ist Vertraulichkeit ein hohes, nicht zu sagen oberstes Gebot, soll diese Angelegenheit ordentlich aufgearbeitet werden. Dies gilt gerade angesichts unterschiedlicher Parteizughörigkeit und unbeschadet der bevorstehenden Kommunalwahl. Alleine, es müssen dafür die Verantwortlichen überhaupt erst Gelegenheit bekommen. Die Zeitungsveröffentlichung weitgehender Interna aus dem vorläufigen Untersuchungsbericht vereitelt vieles. Zugleich stellen sich Fragen, womöglich sogar neue und weitere Vertrauensfragen. Sind diese Konsequenzen bei der Veröffentlichung überhaupt bedacht worden. Bad News are good News?

Schlagschatten für Akteneinsichtausschuss

Aus Unterhaltungsfilmen kann jeder wissen, dass in den USA Jurymitglieder während ihrer Tätigkeit keinen Außenkontakt haben dürfen. Schon gar nicht ist Presselektüre oder Fernsehen zulässig. Dabei geht es um den Schutz der Unbefangenheit. In Marburg ist ohne Not diese Unbefangenheit zerstört worden. Alle Leser der beiden Zeitungsberichte vom Dienstag haben jetzt diese Informationen in Kopf. Zugleich sollen und wollen die Stadtverordneten im Auftrag der Wähler und der Parteien, die sie repräsentieren, ihre Arbeit aufnehmen. Sachorientiert, kritisch, unabhängig und unbefangen. Geht das noch?
Zuallermeist muss die Vorabveröffentlichung als Mißachtung der Arbeit dieses Ausschusses betrachtet werden. Der Ausschuss repräsentiert, vertritt die Stadtverordnetenversammlung. Es geht also um einen Kernbereich von Demokratie. Das ist alles andere als ein Pappenstil.

Auf demokratischen Grundrechten beruht auch die Arbeit von Journalisten und das Wirken von Medien. Dazu gehört Aufklärung, mitunter sogar die Veröffentlichung geheimer Unterlagen. Das ist aber keinesfalls in Marburg gegeben oder geboten. Es ging und geht genau nicht darum Wissen, Kenntnisse und Hintergründe zu verbergen. Genau das Gegenteil ist der Fall. So wie Rechtsprechung dem Verbot der Vorverurteilung unterliegt, braucht es für parlamentarisches Arbeiten einen geordneten Raum. Insofern lastet jetzt auf der Arbeit des Akteneinsichtauschusses erheblicher Druck. Dessen Mitglieder dürfen sich jetzt keinesfalls einer Befangenheit ergeben, sich gar von Aussagen, Behauptungen aus der Zeitung vom Vortag leiten lassen. Das wird nicht einfach.

Alle haben Anspruch auf Umgang ohne Vorverurteilung – auch die Leserschaft

Dem erneuten und zweiten Vertrauensbruch in Marburg kann und muss jetzt um so mehr seriöses Verhalten und Umgang miteinander entgegengesetzt werden. „Man muss sich fragen, wen das Gedruckte treffen und wem Schaden zugefügt werden sollte“ sagte ein Gesprächspartner* am Telefon. Er wollte damit ausdrücken, dass es sogar gezieltes Interesse geben kann, politisch oder verwaltungsbezogen verantwortlichen Personen zu schaden. Bestimmten Personen und womöglich vielen Personen. Denken und vermuten lässt sich hier viel. Alleine bringt es in der Sache nicht weiter, würde mit Unterstellungen hantieren und damit letztlich Unseriosität aufsitzen. Solche sogar noch bestätigen und bedienen. Das können sich kritische Leser ebenso fragen. Was denke ich selbst nunmehr? Interessieren mich überhaupt noch ernstgemeinte Anstrengungen zur Aufklärung?
Ich habe doch schon gelesen, dass…

Es wird kein Weg daran vorbeiführen die Kernaussagen des vorläufigen Berichts der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Dies wird auch im Rathaus so gesehen. Vorher sollte und muss aber erst der Ausschuss seine Arbeit aufnehmen und definieren.
In Marburg ist genug Porzellan zerschlagen. Alle Akteure sollten Interesse am korrekten Umgang miteinander behalten und diesen einfach (weiterhin) praktizieren. Das wären dann good News, hochinteressante zudem.

* Die Redaktion gibt hier bewusst Namen von zahlreichen Gesprächspartnern nicht wieder, weil damit kein Informationsgewinn verbunden wäre.

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