Neuer Ansatz sucht praxisnahe juristische Ausbildung
Marburg 12.2.2011 (pm/red) Das Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse der Marburger Uni startet einen neuen Ansatz in der juristischen Ausbildung. Studentische Beobachter, sogenannte Monitors, verfolgen das am 18. Januar 2011 begonnene Hauptverfahren gegen den Ruander O.R. vor dem Oberlandesgericht Frankfurt wegen Völkermord. „Die Philipps-Universität Marburg nimmt hierbei eine Vorreiterrolle unter den Universitäten Deutschlands ein, an denen praxisnahe Ausbildungsprogramme wie die Prozessbeobachtung oder auch sogenannte Law Clinics bislang nur äußerst selten anzutreffen sind“, sagt Christoph Safferling, Professor für Strafrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht. Dabei seien Monitoring Programme in internationalen Strafprozessen ebenso üblich, wie Law Clinics zum Angebot einer jeden Amerikanischen Law School gehören. „Die Auswirkungen auf die Motivation der Studierenden lässt sich bereits jetzt an dem enormen Interesse für dieses Projekt ablesen“ berichtet Safferling.
30 Studierende als Prozessbeobachter
Aus den mehr als 90 Bewerbern wurden insgesamt 30 Studierende aus unterschiedlichen Semestern der Rechtswissenschaft und der Friedens- und Konfliktforschung ausgewählt. Auf die Tätigkeit als Prozessbeobachter wurden die Teilnehmer unter der Leitung von Safferling, der stellvertretende Direktor des Zentrums ist, vorbereitet. Dazu gehörten mehrere Workshops zum Völkerstrafrecht und Strafverfahrensrecht ebenso wie zu den historischen Hintergründen Ruandas. Einführend kam ein erster praktischer Teil, bestehend aus dem Besuch eines Prozesses vor dem Schwurgericht am Landgericht Marburg. Davon hatten die Bewerber erste Berichte zu verfassen, die anschließend von den Projektkoordinatoren ausgewertet wurden.
Neuland: Strafprozesse wegen Völkerrechtsverstössen
Die Beobachtung des Prozesses gegen O.R. vor dem Frankfurter Oberlandesgericht (OLG) soll die Grundlage sein, die Belastbarkeit des deutschen Strafverfahrensrechts in solchen Verfahren, die Makroverbrechen außerhalb Deutschlands zum Gegenstand machen, zu analysieren. „Für das deutsche Strafprozessrecht sind solche Verfahren mit Auslandsermittlungen, Zeugen aus fremden Kulturkreisen und der Zusammenarbeit mit Regimen, deren Rechtsstaatlichkeit nicht selten bestritten wird, Neuland und bedürfen daher der genauen Beobachtung und wissenschaftlichen Auswertung“, sagt Safferling.
Darüber hinaus wird mit dem Monitoring-Projekt ein neues praxisbezogenes Ausbildungsmodell gestartet. Die regelmäßige Teilnahme an den Verhandlungstagen als Beobachter, eng begleitet von Safferling und Mitarbeiterinnen des Forschungs- und Dokumentationszentrums Kriegsverbrecherprozesse, macht Strafrecht und Strafprozessrecht für die Studierenden erlebbar. Dies kann anhand des praxisnahen Einblicks ein neues, konkretes Verständnis vermitteln.
Hintergrundinformation
Der Prozess in Frankfurt wird am 14. Februar fortgesetzt. Dem 53 Jahre alten ruandischen Staatsbürger O.R. wird vorgeworfen im April 1994 zu Pogromen gegen die Tutsi-Bevölkerung aufgerufen zu haben und deshalb für die Tötung von mehr als 3.700 Angehörige der Tutsi-Minderheit verantwortlich zu sein. Dies ist strafbar als Völkermord und Mord (§ 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. und § 211 StGB) sowie Anstiftung (§ 26 StGB) zum Völkermord und Mord. Da der Angeklagte nicht nach Ruanda ausgeliefert werden kann, wird ihm vor dem OLG Frankfurt der Prozess gemacht.