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Bestechliche Menschen suchen Ruhm und Ehre – was suchen Veruntreuende?

Marburg 11.3.2011 (yb) In Marburg suchen viele Zeitgenossen Antworten, auch solche persönlicher Art, auf eine Reihe von Fragen im Zusammenhang des Falles jahrelanger erheblicher Veruntreuung städtischer Gelder. Über 1,66 Millionen Euro Schadenssumme sind ein triftiger Grund für solches Nachdenken. Die Person des Täters, eines vormals angesehen Beamten in der Stadtverwaltung, gibt weitere Motive zum Nachdenken. War doch der mit einem hohen Maß an krimineller Energie zu Werke gehende Täter zugleich aktives Kirchenmitglied, Aktiver in einer Stadtteilgemeinde, Parteimitglied. Er gerierte sich zudem als großzügiger Spender, etwa zur Unterstützung des Kaufs einer Orgel. Wie geht das zusammen? Das Stichwort gespaltene Persönlichkeit greift womöglich zu kurz. Ist der Täter vielleicht in eine Entwicklung und Verstrickung fortlaufenden klandestinen Verhaltens hineingeraten, die sich mit Erscheinungen moderner Suchtphänomene vergleichen, gar erklären lassen?

Geht es um die Suche nach Bedeutung und Anerkennung?

Der Ökonom und Philosoph Birger P. Priddat legt jetzt ein neues Buch vor, welches sich mit einem gewissermaßen benachbarten Phänomen illegalen und missbräuchlichen Verhaltens beschäftigt. Thema dieses Buches sind Erscheinungen von Korruption. Vor allem versucht dessen Autor Erklärungen in der Person und Psyche von Tätern. So richtet Priddat sein Augenmerk auf Aspekte, dass „das Leben nicht die Anerkennung bietet, die die Bestochenen sich eigentlich wünschen“.
Die Neuerscheinung betrachtet ein anderes Thema, wohlgemerkt. Die Art der Untersuchung könnte auch in dem Marburger Fall weiterführen. Unabhängig von politischer Bewertung und kommenden strafrechtlichen Konsequenzen werden Antworten zu geben sein. Das beschäftigt nicht alleine zahlreiche Verwaltungsfachleute in vielen hessischen Kommunen. Auch menschlich psychologisch sucht das Phänomen des Täters nach Antwort(en) – zuallererst in Marburg.

Zum Buch Korruption als Ordnung zweiter Art

Prof. Birger P. Priddat fragt in dem Buch nach der passiven Seite der Bestechung. Nebenökonomie habe meist Statusfragen im Hintergrund. Warum wird einer bestechlich? Das war Ausgangsfrage für den Ökonomen und Philosophen Birger P. Priddat von der Universität Witten/Herdecke. „Alles, was wir bisher wissen, sagt ganz klar: Es geht um Ruhm und Ehre. Durch die Bestechung übernimmt der bisherige Looser in der Firma oder der Organisation die heimliche Leitung. Korruption dient psychisch der Aufwertung.“

Zu dieser Frage hat er zusammen mit Prof. Michael Schmid ein Buch mit Aufsätzen von acht Autoren herausgegeben. Es analysiert grundlegende Beziehungen illegaler oder korrupter Art als ordungsstiftende Instanzen. Politische Klientelstrukturen, Korruption, Mafia, Yakuza und keynianische Politik,  diese Stichworte sind in dem Buch vertreten. Wie stabilisieren sie sich, was leisten sie?

In dem neuen Buch lenkt er die Betrachtung und Beachtung auf den Bestochenen. „Das Geld ermöglicht ihm eine zweite Chance, etwas oder einer zu werden, der er bisher nicht ist. Das ist wie in dem alten Computerspiel ‚Second Life’, man erwirbt eine neue, parallele Existenz“, erklärt Priddat seinen Ansatz, der auch erklärt, warum die Bestochenen so oft scheitern: „Weil sie nämlich kein Publikum haben, ihr Geld nicht offen ausgeben dürfen, sich also keinen Porsche vor die Tür stellen können. Weil das Leben nicht die Anerkennung bietet, die die Bestochenen sich eigentlich wünschen, machen sie Fehler und verraten sich.“ Das sei auch der Grund, warum Journalisten so häufig mit Enthüllungsgeschichten Erfolg hätten – sie bräuchten den Bestochenen im wesentlichen nur versprechen, sie ganz groß raus zu bringen: „Das ist die Währung, in der die eigentlich bezahlt werden wollen und darum funktioniert das fast immer“, davon ist Priddat überzeugt.

Bibliografische Angaben
Korruption als Ordnung zweiter Art, Priddat/Schmid (Hrsg.), Springer, Wiesbaden, 2011, ISBN 978-3-531-17593-5

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