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Finanzmarkt mit Herdentrieb – Krisen und Crashs sind vorprogrammiert

Im Sog der Finanzmärkte (GesaD / pixelio.de)

Mainz, Marburg 7.4.2011 (wm/mm/red) Eine TOP-Meldung der gestrigen 20-Uhr-Tagesschau war die Nachricht, dass die krisenbedingt teilverstaatlichte Commerzbank vorzeitig Darlehn in Höhe von 14,3 der 16,2 Milliarden Euro an den Bankenrettungsfond, damit letztlich an den Steuerzahler, zurückzahlen will. Dies soll durch eine Kapitalerhöhung finanziert werden, wurde mitgeteilt. Die Finanzmarktkrise von 2008 scheint überwunden, ihre Folgen werden demnach abgearbeitet. Mit der großen Krise war einhergegangen die Blamage der Zunft der Volkswirtschaftler resp. der Natioalökonomie. Deren Repräsentanten wurden vom größten Zusammenbruch der letzten Jahrzehnte in überwältigender Mehrheit ebenso überrascht wie Anleger und Spekulanten. In diesem Kontext kann es jetzt nur eine bedingte Überraschung sein, dass jetzt ein Soziologe mit Anleihen aus der Physik relevante Erklärungen zum Zustandekommen von Finanzmarktzusammenbrüchen vorstellt.

Krisen an Finanzmärkten und kurzzeitige Trends nach gleichem Gesetz

Dass es an Finanzmärkten zu Krisen und selbst zu großen Crashs kommen kann, ist demnach kein Zufall und keine Überraschung. Als zwangsläufige Folge von sich auf- und abbauenden Trends an diesen Märkten wird es erklärt. Zu diesem Schluss kommt Dr. Tobias Preis in einer Untersuchung, die er am Institut für Physik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz durchgeführt hat. Für die Untersuchung dienten Preis eben keine finanzwissenschaftlichen Modelle. Er hat Methoden und Konzepte aus der Physik zur Analyse von Finanzmarktdaten herangezogen. Preis untersuchte dazu knapp drei Milliarden Transaktionen an den Börsenplätzen in Frankfurt und New York.

Sein Fazit ist eindeutig. Trends bauen sich auf allen Zeitebenen nach einer ganz bestimmten Gesetzmäßigkeit auf und ab. Während die ökonomische Herangehensweise meist davon geprägt ist, für Modelle des Finanzmarktes ein System im Gleichgewicht anzunehmen, liefert die Physik Werkzeuge, um derart komplexe Systeme wesentlich besser beschreiben zu können.
„Nach ökonomischer Theoriebildung hätte es gar nicht zur Finanzkrise kommen dürfen. In effizienten Märkten sollten wegen deren Selbstorganisation keine Blasen oder Zusammenbrüche entstehen. In der Realität sind Finanzmärkte allerdings wesentlich komplexer“, erklärt Tobias Preis. Er beobachtet seit Jahren die Finanzmärkte mit den Augen des Physikers und nutzt die physikalischen Methoden zur Untersuchung dieser nicht-stationären, dynamischen Prozessen, wie sie in der Physik, aber eben auch in komplexen sozialen und ökonomischen Systemen auftauchen.

Verhalten vor dem Crash mit Potenzgesetz erklärbar und messbar

Geldmünzen im Stapel – Finanzmarktströme und Transaktionsgeschwindigkeit (M. Großmann / pixelio.de)

Bei seiner Untersuchung von Aktienkursen, Transaktionsvolumina und Zeitintervallen zwischen einzelnen Handelsabschlüssen an den beiden Börsenplätzen in Frankfurt und New York hat Preis eine Gesetzmäßigkeit gefunden, die das Verhalten von Finanzmärkten im Zeitablauf beschreibt. Wenn sich ein Trend oder eine Blase aufbaut, kommt es kurz vor dem Trendwendepunkt – oder im extremen Fall vor dem Crash – zu einem sehr starken Anstieg des Transaktionsvolumens. Dieses Verhalten, das sich durch ein Potenzgesetz beschreiben lässt, findet sich auch bei den Zeitintervallen zwischen den einzelnen Kauf- oder Verkaufstransaktionen. „Wir können messen, dass die Zeitintervalle zwischen den Transaktionen immer kürzer werden, wenn der Trendwendepunkt näher rückt“, erklärt Preis. Immer mehr Anleger folgen dem Herdentrieb und springen auf den Boom auf.

Der Vorschlag: Physikalische Kenntnisse für Finanzmarktprozesse nutzen

Das Erstaunliche an den Befunden sei, dass diese Potenzgesetzabhängigkeit auf allen Zeitskalen gleichermaßen auftritt. Angefangen von Zeitintervallen im Millisekundenbereich – zur Anwendung kommend im Hochfrequenzhandel, bei dem Computer Kauf- und Verkaufsorders durch die Datenkabel jagen – bis zu den Schwankungen über Wochen und Monate. „In der Praxis verhalten sich große Blasen wie kleine Trends, so dass wir von den kleinen Trends etwas für die großen Krisen lernen können. Katastrophale Crashs sind keine Ausreißer, sondern einzelne dramatische Ereignisse, die durch das skalenfreie Verhalten der auf- und absteigenden Trends auf ganz großen bis ganz kleinen Zeitskalen entstehen.“ Preis plädiert dafür, die Kenntnisse aus der Physik zu nutzen, um ein besseres Verständnis von Finanzmarktprozessen zu erhalten.

Zur Person
Seit Anfang 2011 ist Tobias Preis an der Professur für Soziologie, insbesondere Modellierung und Simulation an der ETH Zürich tätig. Er wird in den nächsten Monaten seine Erkenntnisse auf mehreren internationalen Konferenzen in Asien, Nordamerika und Europa vorstellen. Darüber hinaus engagiert er sich im zugehörigen Fachverband Physik sozio-ökonomischer Systeme, dessen Mitglieder ihn im März 2011 zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt haben. Seinen jüngsten Forschungsresultaten wird eine gesamte Ausgabe des European Physical Journal Special Topics gewidmet, die am 7. April 2011 erscheint.

Veröffentlichungen
Tobias Preis „Econophysics – complex correlations and trend switchings in financial time series“, European Physical Journal Special Topics 194, 5–86 (2011) DOI: 10.1140/epjst/e2011-01397-y

Tobias Preis „GPU-computing in econophysics and statistical physics “, European Physical Journal Special Topics 194, 87–119 (2011) DOI: 10.1140/epjst/e2011-01398-x

Ein weiterer Beitrag zum Thema findet sich in der NZZ.

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