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Position und Aufgabe kritischer Gesellschaftstheorie heute in Marburger Tagung vergegenwärtigt

Marburg 11.4.2011 Gastbeitrag von Johannes Otte, Franziska Vaessen, Katharina Kullmann
Am 21. März 2011 wäre Heinz Maus, Inhaber des ersten Lehrstuhls für Soziologie an der Philipps-Universität Marburg, 100 Jahre alt geworden. Maus, der in regem Briefwechsel mit Max Horkheimer stand, etablierte neben Wolfgang Abendroth Gesellschaftswissenschaft an der Universität Marburg. Die Auseinandersetzung mit dem Werk von Heinz Maus lieferte den Anstoß für eine Konferenz mit dem Titel Traditionalität und Aktualität. Zur Aufgabe kritischer Theorie. Diese Tagung hat am letzten Märzwochenende 2011 im großen Hörsaal der Philosophischen Fakultät stattgefunden. Die inhaltliche Konzeptionierung und organisatorische Umsetzung wurde von der Arbeitsgruppe Kritische Theorie des Graduiertenzentrums Geistes- und Sozialwissenschaften erbracht.

Begrüßung durch Oliver Römer und Christian Spiegelberg von der AG Kritische Theorie. Im Hintergrund der Soziologe Prof. Friedrich Fürstenberg. (Foto Friederike Völk)

Die Konferenz mit internationaler Beteiligung rückte die mit Maus verbundene interdisziplinäre Tradition einer kritischen Theorie der Gesellschaft in den Mittelpunkt. Unter dem oben genannten Titel konnten zahlreiche renommierte WissenschaftlerInnen als Referierende gewonnen werden. Sie sind aus verschiedenen Fachrichtungen und Perspektiven der Möglichkeit einer Aktualisierung dieses an Hegel, Marx und Freud geschulten Denkmodells nachgegangen.

Leben und Werk von Heinz Maus im ersten Konferenzteil

Der erste Konferenzteil zum Leben und Werk von Heinz Maus wurde am Freitag durch ein Grußwort des Soziologen Prof. Friedrich Fürstenberg eingeleitet. Dieser hatte zusammen mit Maus die in der westdeutschen Nachkriegssoziologie eminent wichtige Buchreihe Soziologische Texte im Luchterhand Verlag herausgegeben. Unter anderem sind in dieser Reihe Werke von Herbert Marcuse, Norbert Elias und Jürgen Habermas sowie die erste deutschsprachige Übersetzungen des französischen Soziologen Émile Durkheim erschienen.

Frank Benseler erinnerte an Maus' leidenschaftlichen Verpflichtung gegenüber den Zielen der Aufklärung. (Foto Jens Kraushaar)

Der Lektor dieser Buchreihe, Prof. Frank Benseler, verknüpfte in seinem Eröffnungsvortrag die persönlichen Erinnerungen an Heinz Maus mit einer Veranschaulichung des sozialwissenschaftlichen Betriebes der Nachkriegszeit. Diese undogmatisch-marxistische Gesellschaftswissenschaft sei wesentlich mit den Motiven und Zielen der Aufklärung im Sinne der Emanzipation des Menschen gegenüber seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit verbunden.

Durch die erinnernde Auseinandersetzung mit dem soziologischen Beitrag von Heinz Maus wurde ein Übergang zur Kritischen Theorie eröffnet. Im weiteren Konferenzverlauf wurde in zahlreichen Vorträgen nach dem Spannungsverhältnis der Kritischen Theorie zwischen traditionalisierten Elementen und aktuellen Ansätzen befragt. Im Mittelpunkt der Konferenz stand des weiteren die Frage wie sich Gesellschaftskritik und -reflexion im Sinne einer kritischen Theorie heute realisieren lässt.
Die Relevanz der Thematik kann durch eine Aussage von Maus veranschaulicht werden. Dieser betonte bereits im Jahr 1951 die Gefahr, dass Gesellschaftskritik vom eigentlichen Fortschritt und dem Gedanken der Aufklärung zur sinnentleerten Phrase werden kann.
„Auch der Fortschritt wird vom Gang der Geschichte, den er befördert, überholt, und die Aufklärung kann zu einer neuen Verdunkelung führen, wenn die Parolen, denen Fortschritt und Aufklärung zugehören, zur leeren Formel erstarren. Ihre Gehalte nämlich lassen sich nur vom sozialen Prozeß her begreifen, in dem sie entstanden sind und weitergetragen werden: von den Veränderungen, die sich gesellschaftlich vollziehen und an denen sie selber mitwirken, werden auch sie aufs ernstliche betroffen.“ Eine Einschätzung von Heinz Maus im Jahr 1951.

Interessierte ZuhörerInnen lauschen einem Vortrag im großen Hörsaal. (Foto Friederike Völk)

Das Spektrum der auf der Konferenz verhandelten Themen reichte von traditioneller Geistesphilosophie über sprachphilosophische Überlegungen von Theodor W. Adorno und Walter Benjamin bis hin zu aktuell diskutierten sozialphilosophischen Theorien. In regen Diskussionen wurden diese theoretischen Überlegungen mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Konflikten, wie zum Beispiel den Geschehnissen um Stuttgart 21 und der Revolte im Iran, verknüpft.

Großes Interesse beim Abendvortrag von Alex Demirovic am ersten Konferenztag im Hörsaal der Philosophischen Fakultät. (Foto Jens Kraushaar)

Der erste Konferenztag wurde abgeschlossen durch einen Abendvortrag des Politikwissenschaftlers Prof. Alex Demirović, Berlin, in dem die Genealogie der Kritischen Theorie problematisiert wurde. Demirović wies darin die Rede von aufeinander folgenden Generationen der kritischen Theorie zurück, weil die Errichtung solcher Denkstrukturen selbst zu sonst kritisierten hegemonialen Deutungshoheiten führe.

Christoph Menke regte in seinem Vortrag eine Revision des Begriffs der Zweiten Natur an. (Foto Friederike Völk)

Am Samstag sprach unter anderem der Philosoph und Germanist Prof. Christoph Menke, Frankfurt, über den für die Kritische Theorie zentralen Begriff der Zweiten Natur. Dieser Begriff wird oft für die Beschreibung verhärteter und indifferenter Wahrnehmungen von gesellschaftlichen Verhältnissen herangezogen. Menke schlug im Rückgriff auf Hegel eine Revision dieses philosophischen Begriffs vor und wies darin eine kritische und eine affirmative Seite aus.

Philip Hogh, links, Cornelia Klinger und Alexander García Düttmann während der Podiumsdiskussion am Samstagabend. (Foto Friederike Völk)

Die im Verlauf der Tagung aufgeworfenen Fragen und eröffneten Diskussionsstränge wurden am Samstagabend von einer abschließenden Podiumsdiskussion aufgegriffen, die der Marburger Philosoph Prof. Christoph Demmerling moderierte. Kerngegenstand dieser Diskussion mit dem Titel Zur Praxis kritischer Theorie war die Frage nach möglichen Formen einer zeitgenössischen Gesellschaftskritik. Am Podiumsgespräch nahmen unter anderem die Philosophin Prof. Cornelia Klinger aus Wien und der in London Philosophie und Ästhetik lehrende Prof. Alexander García Düttmann teil. Dabei rückten gerade die Aufgabe kritischer Theorie und das Verhältnis zur politischen Praxis in den Vordergrund. Insbesondere wurden die gängigen Mechanismen und Funktionsweisen des heutigen Wissenschaftsbetriebs kritisiert.

Frühstück, Workshops und Ausklang einer Tagung mit über 200 Teilnehmern

Um abschließenden Diskussionen Raum zu bieten fanden am Sonntag mehrere Workshops und ein gemütliches Frühstück zum gemeinsamen Ausklang statt. Erwähnenswert ist auch das große Interesse von Studierenden an der Thematik, welches sich in reger Beteiligung während des gesamten Konferenzwochenendes ausdrückte. Abgerundet wurde das Kongresswochenende durch den Auftritt von Jet Set Comedy in der Baari Bar. Dem Münchner Trio gelang es, einem höchst amüsierten Publikum unter dem Titel Negativ denken. Positiv fühlen. zentrale Aspekte kritischer Theorie auf kreative Art und Weise zu präsentieren.

Erfolgreiche Bilanz und überregionales Interesse

Der Erfolg der Tagung lässt sich aus Sicht der OrganisatorInnen auch an der mit über 200 Personen hohen TeilnehmerInnenzahl ablesen. Die teilweise weiten Anreisewege vieler BesucherInnen aus Wien, Berlin, Maastricht und Gent sprechen für das überregionale Interesse am Gegenstand der Konferenz.
Die Konferenz wurde von den NachwuchswissenschaftlerInnen der AG Kritische Theorie unter ehrenamtlicher Beteiligung zahlreicher Studierender eigenverantwortlich durchgeführt. Finanzielle Unterstützung wurde neben dem Graduiertenzentrum auch von der Rosa Luxemburg Stiftung, dem Asta der Philipps-Universität, dem FemArchiv, der Buchhandlung Roter Stern, dem Kulturamt der Stadt Marburg sowie dem Ursula Kuhlmann-Fonds geleistet.

Lebensstationen Prof. Heinz Maus (1911 – 1978)

Heinz Maus, erster Professor für Soziologie an der Philipps-Universität Marburg

21. März 1911 geboren in Krefeld, Lehre als Buchhändler in Mülheim (Ruhr)
ab 1932 Studium der Soziologie, Philosophie und Nationalökonomie in Frankfurt bei Max Horkheimer und Karl Mannheim
nach 1933 Fortsetzung des Studiums bei Hans Freyer in Leipzig
1939 Assistent und Bibliothekar am Institut für Gesellschaftsforschung und Arbeitslehre bei Ewald Bosse in Oslo
15. Juli 1941 Promotion in Kiel bei Baron Cay von Brockdorff
1943 Festnahme und Anklage wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz
1949/51 Assistent bei Ernst Niekisch an der Humbold-Universität Berlin
1951/53 Assistent bei Max Horkheimer am Institut für Sozialforschung in Frankfurt und Leiter des Mainzer Verlags der Aufklärung
1955/59 Diätendozent später Professor für Soziologie Pädagogischen Hochschule in Weilburg
seit 1959 Zusammen mit Friedrich Fürstenberg, später Frank Benseler, Herausgabe der Soziologischen Texte
seit 1960 erster Professor für Soziologie an der Philipps-Universität Marburg
1966 Initiierung des Professorenappells, der sich gegen die Notstandsgesetzgebung der Bundesregierung richtet
Am 8. September 1978  stirbt Heinz Maus in Bürgeln bei Marburg.

 

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