Marburger Mehrheits-Verhältnisse
Marburg 18.4.2011 (yb) Es waren nicht wenige Zuschauer und Zuhörer, die am Freitag mit Interesse die konstituierende Stadtverordnetenversammlung mitverfolgt haben. Die Kürze der Sitzung, bei einer gut halbstündigen Unterbrechung zur Beratung wegen der Auschuss-Sitze mit Blick auf die zwei gewählten Stadtverordneten ohne Fraktionsstatus, war ein äußerliches Indiz veränderter Verhältnisse. Es hat stattgefunden eine signifikante Stärkung von Rot-Grün im Ganzen betrachtet, dabei besonders der GRÜNEN. Zugleich hat die SPD zugelegt. In entsprechender Anzahl fehlen Mandatsträger insbesondere bei der CDU, auch bei der Fraktion Marburger Linke (in der bekanntlich nicht alleine Parteimitglieder von Die LINKE vertreten sind) und bei der FDP. Was wird werden mit den Einzelkandidaten der Piratenpartei und Bürger für Marburg? In der Ausschussarbeit werden diese zukünftig lediglich und zumindest per Einladung und mit (nur) beratender Stimme vertreten sein – gleiches gilt für den Ältestenrat.
Bürgerliche Mandatsträger in geschwächter Aufstellung
So sieht es die Hessische Gemeindeordnung vor. Die gestärkten Mehrheitsfraktionen wollen den Kleinsten keinen Sonderstatus zubilligen. Es wäre diesbezüglich zu fragen, warum sie das im Blick auf den Wählerwillen machen sollten? Warum soll eine zusätzlich Stimm-Partikularisierung bei diesem Wahlergebnis stattfinden? Nettigkeit und Höflichkeit sind nicht Zielstellung im Politikbetrieb, auch nicht im kommunalen Bereich. Es wäre oder ist zudem die Frage die Frage zu stellen, ob sich die Neuen nicht selbst aufstellen, eine Fraktionsgemeinschaft, sei es per Anschluss, zu bilden. So gab es in der Fraktion Marburger Linke bisher bereits einen Stadtverordneten als Mitglied der Piratenpartei. Und wenn vor der Wahl kein Einvernehmen zwischen Marburger Bürgerliste (MBL) und Bürger für Marburg (BfM) herzustellen war, könnte dies nunmehr überdacht werden. Das Bürgerliche Lager könnte und sollte zugleich parteiübergrüfend einige dazu Gedanken anstellen, welches zukunftorientierte Marburger Themen sind und werden sollen. In die Wahl wurden von ihnen jedenfalls keine starken Themen eingebracht, ausweislich der Volksabstimmung Kommunalwahl.
Eindeutiges Wahlergebnis – Magistrat und Ausschüsse werden diesem Ergebnis folgen
Jetzt mit Blick auf Rot-Grün in Marburg Antworten und gar formale Korrekturen der Sitz-, Stimm- und Machtverhältnisse zu erwarten, wäre naiv und nicht einmal idealistisch zu begründen. So wird der neue ehrenamtliche Magistrat zukünftig 10 Sitze haben – mit Folgen ebenfalls für die Sitzverteilung zwischen den Parteien. So ist das. Weil es so beschlossen wurde, am Freitag.
Spannend wird sein zu verfolgen, wie es mit den (voraussichtlich) zwei zu wählenden Dezernenten zwischen SPD und GRÜNE werden soll und am Ende werden wird. Mit dem lange bekannten Ausscheiden von Kerstin Weinbach (SPD) ist eine Dezernentenposition sowieso neu zu besetzen.
Diese(r) Dezernent(in) wird sicherlich von der SPD beansprucht werden. Zugleich ist zu fragen, wie es um dem Zuschnitt der Dezernate bestellt sein soll? Fest gemeißelt ist dabei wohl alleine, dass der Oberbürgermeister auch Kämmerer ist und bleibt im Marburger Rathaus.
In der Universitätsstadt an der Lahn stehen, bei geordneten Finanzen in recht stabiler Einnahmesituation – in 2010 wurde rund 7 Millionen Euro, das entspricht beinahe 10 Prozent, an Gewerbesteuern mehr vereinnahmt als veranschlagt – nicht wenige und zugleich weitreichende Entscheidungen und strukturelle Maßnahmen an. Es wird so viel gebaut wie niemals zuvor. Unten im Lahntal, oben auf den Lahnbergen, im Bahnhofsquartier, im Firmaneibereich, in der Universitätsstraße und andernorts im Stadtgebiet. Zugleich fehlen Wohnungen, der Nahverkehr muss vordringlich weiter entwickelt und ausgebaut werden. Dabei wird der Vorschulbereich weiter und besser auszustatten sein, Schulbauten, Turnhalle(n) und Stadthalle sind nur einige Schwergewichte. Die Liste könnte fortgeführt werden.
Projektmanagement wird für kommendes Marburg nicht hinreichend sein
Wer denkt und plant, projektiert und baut das denn alles, zudem im notwendiger Allianz mit der Universität?
Man kann und konnte den klaren Eindruck gewinnen, dass die Kategorie des Planens, als vorweggehendes Denken, Beschreiben und mit Blick auf das Ganze In-Gestalt-Setzen – kurz Stadtplanung genannt, inklusive Kulturentwicklungs-, Nahverkehrs- und Sozialplanung – in Marburg signifikant unter die Räder gekommen ist. Als Ausdruck dafür können herangezogen werden vereitelte und umgerubelte größere Bauprojekte. Beispiel verunglücktes sogenanntes Marktdreieck, der für privat verhinderte und dann schulbezogen gestaltete Turnergarten und das verhinderte Appartementhaus am Grün.
SPD und GRÜNE haben vorzulegen
Wer jetzt denkt, in dem Geschriebenen wäre viel angesprochen worden, irrt. Zum Energetischen Umbau könnte nachgetragen werden, dass dort mit dem für Marburg erstellten Solarkataster positiv mehr als kompensiert ist, was Kritiker meinten bei der Solarsatzung geißeln zu müssen.
Die regionale Ausrichtung der Stadtwerke Marburg dürfte sich, spätestens nach Fukushima auch in den Augen vorheriger Skeptiker, als ausgesprochen zukunftsträchtig erweisen.
Im Stadt-Land(kreis)-Verhältnis wird abzuwarten sein, ob es mit Rot-Grün im Landkreis werden wird.
Mithin liegt für alle kommunalpolitisch Mandatierten viel, sehr viel an. Dies erfordert die Entwicklung und Formulierung inhaltlicher Kompetenzen und deren Einbringung. Doch müssen SPD und GRÜNE erst einmal zu Potte kommen. Dabei werden sie aufmerksam beobachtet. Zunächst erscheint das Kommende, ähnlich wie das lediglich den Namen tragende Ortsschild, offen und raumgebend.
Wenn Kommunalpolitik in Marburg diesbezüglich tatsächlich gestaltend und formend wirken will, sind jedoch klare Weichenstellungen vonnöten. Dafür haben jetzt SPD und GRÜNE verantwortlich zu diskutieren und zu disponieren. Das Wählervotum wird jedenfalls nicht zitiert werden können.
Es walten Marburger Verhältnisse – keine, wie es sie in Hessen für Monate einmal gegeben hat. Und es liegen Erwartungen vieler Wähler auf dem, was diese Marburger Verhältnisse in den nächsten Jahren hervorbringen werden. Inclusive der Einbringungen derjenigen ohne Mehrheit im Stadtparlament.
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Vertiefende Daten zu den Kommunalwahlergebnissen, bezogen auf Parteien, Stimmbezirke und Stadtteile oder Ortsbeiräte, finden sich im Portal der Stadt Marburg.