Universitäre Sammlungen als Last und Herausforderung
Marburg 18.4.2011 (yb) Während im Marburger Landgrafenschloß als Ort der Präsentation universitärer Sammlungen an diesem Abend zum Empfang des Bundespräsidenten mit Bankett Ehrengäste geladen waren, versammelten sich zahlreiche akademisch-historisch Interessierte im Kunstverein zu einer Vortragsveranstaltung. Cornelia Weber vom Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik in Berlin war als erste Referentin der Veranstaltungsreihe Faszination …die Wissen schafft nach Marburg gekommen und entwickelte das Thema Universitäre Sammlungen im 21. Jahrhundert.
Einleitend begrüßte für den Kunstverein Marburg als Gastgeber und Projektbeteiligter Gerhard Pätzold. Er vergegenwärtigte die Ausstellung von Extrakten aus inzwischen 16 Universitätssammlungen der Philipps-Unversität als Präsentationen im Foyerbereich der Kunsthalle. Für den Magistrat der Stadt Marburg beschrieb Marlis Sewering-Wollanek die umfänglichen Sammlungen der Philipps-Universität als zu würdigenden Teil der Wissenschaftsgeschichte. „Sie sind Teil unserer Identität und beachtenswertes kulturelles Erbe.“ Das habe ihr die Austellung Sehen und Verstehen im Landgrafenschloß im Jahr 2009 vor Augen geführt, „bis hin zum Erstaunen darüber, über welche Schätze die Universität Marburg verfügt“ sagte die ehrenamtliche Stadträtin. Danach war es an Uni-Vizepräsident Joachim Schachtner die Vortragsreihe in ihrem Kontext zu erläutern und die gewollten Perspektiven darzustellen.
Vorschlag zum ergebnisoffenen Diskurs in schwierigen Zeiten
Der Vizepräsident benannt gleich eingangs seiner Ausführungen das Land Hessen, die Universität, die Stadt Marburg und private Förderer als notwendige Partner, um zukünftigen Aufgabenstellungen gerecht werden zu können. „Ich sehe ein dringend gebotenenes Nachdenken über die Zukunft der universitären Sammlungen in Zeiten von Mittelkürzungen und Schuldenbremse“ stellte Schachtner fest und setzte damit zugleich eine Selbstverpflichtung und ein Postulat. Dabei sei über die Marburger Situation hinaus zu denken, solle und müsse bundesweit der Funke überspringen. Der Repräsentant der Hochschulleitung bedankte sich für das Engagement zahlreicher Sammlungsleiter in der Universität, bei der Stadt und insbesondere beim Kunstverein. In Zusammenarbeit sei es gelungen mit den Präsentationen im Kunstverein und der Sammelausstellung im Landgrafenschloß einen neuen Grundstein für eine Zuwendung zu den 30 Sammlungen der Philipps-Universität zu legen und zugleich bereits die Öffentlichkeit mit ein zu beziehen, vergegenwärtigte Schachtner. Am Beispiel von zwischenzeitlicher Schließung der Religionskundlichen Sammlung nach Diebstahlvorkommnissen, veranschaulichte er Aufgabenstellungen und Probleme, die mit Öffnung und Präsentation für Publikum vernknüpft sind. In einer Tour d´Horizon legte Schachtner summarisch eine Reihe von Gegebenheiten und Leitgedanken dar:
- Die Sammlungen sind geplagt von knappen Ressourcen
- Etliche Marburger Sammlungen sind heute gänzlich unbekannt
- Sammlungen verschwinden langsam von der Bildfläche
- 5 von 30 Sammlungen sind öffentlich bekannt, in der Sonderausstellung Sehen und Verstehen waren 16 Sammlungen beteiligt
- Seit knapp 500 Jahren tragen Marburger Gelehrte Schätze zusammen
- Für deren Zukunft sollen Diskussionen angezettelt werden
- Als Kulturgut sollten Sammlungsbestände der Öffentlichkeit zugänglich werden
- Trotz aller Digitalisierung sind reale Sammlungen nicht nutzlos und bedeutungslos
- Es mangelt dabei nicht an wissenschaftlicher Aufarbeitung vieler Bestände
- Die aktuelle Veranstaltungsreihe markiert einen Auftakt und Aufbruch
- Es fehlt an einem institutsübergreifendem didaktischem Ansatz, der alle Sammlungen einbezieht
- An die Stelle des Einzelkämpfertums des Gelehrten hat modernes Networking zu treten
- Es geht in einem langfristigen Projekt bei der Suche eines Konzeptes darum, wie die Sammlungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können
Konkrete Vorschläge und Zielstellungen
In seinen Ausführungen bezog sich der Vizepräsident auf die dazu inzwischen vorliegenden Empfehlungen des Wissenschaftsrates. Das könne die Bemühungen in Marburg als Universität und Stadt stärken, in der es 10 Sammlungen mit dem je größten Fundus in Deutschland gebe. Schachtner hat dann alle Beteiligten und zu Beteiligenden zu einem Runden Tisch eingeladen, dem er einen langen Atem und Geduld wünschte. Abschließend benannt er als in seinen Augen gebotene Prioritäten und Abfolge
- Entwicklung eines grundlegenden Konzeptes
- Akquise von Geldmitteln
- Schaffung über das Engagement Einzelner hinausreichender Strukturen
- Anlage eine Sammlungsfonds
- Gestaltung eines Webauftrittes, der sämtliche Sammlungen repräsentiert
Revue d´Histoire zu Universitären Sammlungen in Deutschland
In ihrem profunden Vortrag gab Dr. Cornelia Weber als auch international ausgewiesene Expertin zunächst einen historischen Abriß zum Entstehen und Selbstverständnis von frühen wissenschaftsbezogenen Sammlungen, anfangs in Besitz und Eigentum einzelner Gelehrter. Am Beispiel des Mediziners Philipp Friedrich Theodor Meckel in Halle (1756 – 1803) veranschaulichte sie die Entstehung früher Gelehrtensammlungen, die durch spätere Ankäufe dann in öffentliches Universitätseigentum überführt wurden. Dem frühen akademischen Lehrfach Anatomie ist dabei besondere Bedeutung, wie in Marburg anzutreffen, bei der Enstehung anatomischer Kabinette zugekommen. In anderen naturwissenschaftliche Disziplinen benannte sie die Schaffunge früher Pflanzensammlungen in Gestalt von Herbarien. Als Marburger Beispiel existiert hier das Herbarium Marburgensis. Neben der allmählichen Entwicklung hin zu Sammlungen mit universitätseigenem und öffentlichem Charakter als Lehrmaterialien für Studierende verdeutlichte die Referentin die heutige Bedeutung historischer Exponate. Diesen würden etwa durch die zeitgemäße Möglickeiten einen veränderten Stellenwert erhalten, gab Weber zu bedenken. „Historische Sammlungen können durch moderne Forschungsmethoden, etwa durch DNA-Untersuchungen unersetzliche Bedeutungen bekommen“ sagte die stellvertretende Leiterin der Abteilung Wissenschaftliche Sammlungen und Wissenschaftskommunikation. Zugleich vergegenwärtigte sie zahlreichen Verlust von Sammlungen durch Brände und Kriege.
Zur aktuellen Lage und Aufgabenstellung verwies sie auf bereits geleistete umfangreiche Digitaliserung von Beständen und deren Zugänglichkeit in einschlägigen öffentlichen Datenbanken. Sie plädierte dabei für eine Lösung vom rein disziplinären Ansätz hin zu fächerübergreifender Arbeit.
Dies mündete ein in ihre Grundthese, dass alleine die Arbeit mit materiellen Kulturzeugnissen Möglichkeiten eröffne, etwa bei der Schaffung und Gestaltung von Ausstellungen, die ebenso unverzichtbar seien, wie sie heute interdiszilinär verwirklicht werden könnten.
Nach Informationen über das bereits existierende digitale und internetbasierte Portal mit hinterlegter Datenbank zu Universitätsmuseen und -sammlungen in Deutschland, artikulierte die Helmholtz-Wissenschaftlerin einige Gedanken zum zukunftsorientierten Umgang mit Universitären Sammlungen. Dabei sprach sie sich gegen eine räumliche Zentralisierung von Beständen aus. Sie plädierte dafür die Sammlungen bei den Instituten zu belassen.
Zu Denken konnte eine abschließende Aussage von Weber geben. „Der Bologna-Prozess bringt Absolventen hervor, die niemals Einblick in Tiefe und Breite universitärer Ausstattung und Arbeitsweisen gewonnen haben“ sagte sie. Zugleich versuchte Weber dazu aufzufordern heutige Studierende an praxisvermittelnde und -relevante Ausstellungsarbeit mit Sammlungen heranzuführen.
Über die Sammlungen der Marburger Uni informiert ein anderer Beitrag in das Marburger. Der nächste Vortrag in der Reihe Faszination …die Wissen schafft findet am 12. Mai in Konzertsaal des Ernst-von-Hülsen-Haus statt. Daniel Graepler von der Archäologischen und Numismatischen Sammlung der Uni Göttingen wird Vom Nutzen der Vernetzung: Neue Perspektiven für die Göttinger Universitätssammlungen berichten.