UKGM – erneut schwere Behandlungsfehler im Uniklinikum Marburg belasten neues Leitungsduo
Marburg 4.5.2011 (yb) An Blumensträußen mangelte es nicht am ersten Montag im Mai in der Marburger Teilklinik des UKGM. Eine beinahe fünfzigköpfige Gästeschar hatte sich gleichermaßen zur Verabschiedung und zur Begrüßung versammelt. Eine Ministeriale aus Wiesbaden, der Landrat und Universitätskanzler waren gekommen, Personalrat, Betriebsrat und zahlreiche medizinische Direktoren, kurzum sollte es ein festlicher Rahmen werden – mit Ansprachen, Danksagung, Rückschau und Worten zum Neubeginn in der Führungsmannschaft der Uniklinik Marburg.
Nach fünf Jahren wurde im (einen) privatisierten Teil, in Besitz und Regie der Rhön-Klinikum AG, des Universitätsklinikum Gießen Marburg erneut neue Führungsspitze vorgestellt. Doch irgendwie klemmte es bei der Ansprache, stapelten sich Blumensträuße in der Ecke. Und klare Worte zum Abschied und Neustart hören sich anders an. Kein Wunder, dass es klemmte. Nahezu zeitgleich ging in der Zeitungsrotation die Schlagzeile in den Druck „Schwere Vorwürfe gegen Ärzte am Uniklinikum“.
Im Gespräch mit der Redaktion von das Marburger. vor Beginn dieser denkwürdigen Veranstaltung hatte Betriebsratsvorsitzende Bettina Böttcher deutliche Worte gefunden. „Ich möchte gerne hoffen, dass hier am Klinikum endlich eine positive Arbeitskultur ihren gebührenden Platz erhält“ sagte die Betriebsratsvorsitzende.
„Dass so etwas wie betriebliche Kultur im Umgang miteinander überhaupt erst einmal entsteht“ fügte sie an. „Es kann doch nicht sein, dass stets erst durch Alarm in den Medien bei uns etwas in Gang gesetzt wird“ hatte Böttcher noch angefügt und dabei auf die Angelegenheit mit den 12 Fahrern verwiesen. Diese waren vom Geschäftsführer vor zwei Monaten auf kaltem Weg von ihren Tätigkeiten frei gestellt worden.
Wird die denkwürdige Veranstaltung am Ende noch fragwürdig?
Es könnte dahingestellt sein, ob eine oder einer der im großen Hörsaal des Neubaus versammelten Personen und Verantwortungsträger wusste, was am kommenden Tag der Öffentlichkeit auf Zeitungspapier gedruckt als neue Alarmmeldung und Hiobsbotschaft offenbart wurde. An diesem Vorabend war von der UKGM-Geschäftsführung als kaufmännischer Geschäftsführer Josef Rohrer zu verabschieden, dazu Prof. Rainer Moosdorf als ärztlicher Direktor am UKGM-Standort Marburg. Einige Blumensträuße, einen Golfschläger und in Kisten verpackte gute Tropfen später waren dann die bereits seit 14 Tagen diensttuende Irmgard Stippler als neue Vorsitzende der UKGM-Geschäftsführung und Prof. Jochen Werner als neuer ärztlichen Direktor und Geschäftsleiter zu begrüßen. Mit Blumensträußen, versteht sich. Zwischendurch gab es gestelzte Worte, bemüht, sichtlich angestrengt – vor allem gab es keinen passenden Repräsentanten. Der Vorstand der Rhön-Klinikum AG glänzte durch Abwesenheit und überlies es einem radebrechenden und an der Peinlichkeitsgrenze entlang schrammenden scheidendem Geschäftsführer durch diese Veranstaltung zu führen. Der Volksmund nennt so etwas Schwitzkasten. So wollte später am Buffet mit Kannapees keine rechte Laune aufkommen. Als erster verlies der Landrat diesen Schwitzkasten (von der Stadt Marburg war erst gar niemand erschienen).
Uniklinikum Marburg – kurz vor oder längst mitten drin in einer medizinischen Krise?
Anders betrachtet erscheint es geradezu denkunmöglich, dass eine der verantwortlichen Personen dieser inszenierten Verabschiedung und Begrüßung gewusst haben könnte, was in direkter Fortführung einer ganzen Serie von Vorkommnissen am nächsten Tag vieltausendfach gedruckt auf den Tischen in Marburg und im Landkreis liegen würde. So werden der neuen Geschäftsführerin Stippler und Prof. Werner als neuem ärztliche Direktor und Geschäftsleiter keine 100 Tage bleiben, ja kaum 100 Stunden. Dem UKGM brennt der Kittel.
Nicht alleine die Betriebsratsvorsitzende und ihr Kollege vom Personalrat dürften bei der Zeitungslektüre am nächsten Morgen geschluckt haben, wie sich viele Menschen in Marburg verwundert die Augen reiben.
Die neuesten Vorwürfe lauten, dass bei einer operativen Behandlung ein minderqualifizierter Arzt am OP-Tisch Verantwortung hatte, mit Billigung des gerade mit Blumenstrauß und Golfschläger verabschiedeten medizinischen Direktors Prof. Moosdorf.
Die Operation mißglückte, was für ein Wort, das Baby ringt mit dem Leben, fassungslose Eltern.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Zu viele Vorkommnisse und Unfälle bis hin zum Todesfall
Es würde hier geradezu weitschweifig werden die Serie von Pannen, Behandlungsfehlern, Todesfall und Fehlleistungen nur der letzten Monate – ob medizinisch und patientenbezogen, ob betrieblich und mitarbeiterbezogen – nachzeichnen zu wollen. Zielführend und hintergründiger mag der Verweis auf die soeben veröffentlichten Zahlen aus der Jahresbilanz 2010 der Aktiengesellschaft Rhön-Klinkum sein. Kurz gesagt, diese sind glänzend, mit Gewinnsteigerungen.
Die Klinikaufsicht wird gefordert – und damit das Land Hessen
So spricht viel dafür und überhaupt nichts dagegen, was in unmittelbarer Reaktion auf den neuen Behandlungsskandal im Uniklinikum Marburg der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Thomas Spies, zum Ausdruck bringt: „Die Überforderung des Personals in Krankenhäusern und in privatisierten Krankenhäusern speziell, ist ein dramatisch zunehmendes Problem. Letztlich kann diesem nur durch gesetzliche Maßnahmen Abhilfe geschaffen werden“, sagte Spies in Wiesbaden. Der Marburger Landtagsabgeordnete hat das Sozialministerium und Minister Grüttner aufgefordert, in der Sitzung des Sozialausschusses am Donnerstag dieser Woche zu den bekanntgewordenen Missständen am Uniklinikum Marburg Stellung zu beziehen.
Derzeit muss man Patienten oben auf den Lahnbergen bedauern und ihnen Langmut und ebenso Standhaftigkeit wünschen, wie den vielen Ärzten und Kollegen vom Pflegepersonal. Ob die beiden neuen Führungspersonen den Zugriff und das Zeug dazu haben werden, die andauernden Missstände aus der Welt zu schaffen und die in der blumenstraußreichen Veranstaltung im Hörsaal 3 artikulierten Vorsätze in eine durchschlagende und veränderte Wirklichkeit zu bringen, will nunmehr auch eine aufgestörte Öffentlichkeit sehr schnell wissen.
- Alle brauchen Qualität und Zuverlässigkeit, zuallererst die Menschen als Patienten.
- Das hat sehr viel mit Betriebskultur und Umgang mit allen Mitarbeitern zu tun.
- In einem Großkrankenhaus wird und ist dies essentieller Teil der Gesundheitsarbeit.
- Dass für Minderqualizierte – gar am OP-Tisch – kein Platz ist, kann sowieso niemand bestreiten.
- Ob es nunmehr annähernd qualifizierte und positionierte Führungspersonen gibt, wird sehr wachsam verfolgt werden.
- Deren Qualifikation wird am positiven Erfolg gemessen werden, medizinisch – nicht buchhalterisch und betriebswirtschaftlich.
High Noon ist durch, aller Vorschuss und alle Geduld sind verbraucht – am UKGM in Marburg. Das ist sehr zu bedauern.