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GRÜNE im Landkreis wollen bürgerliche Parteien

Marburg 16.5.2011 (yb) Die Plätze und Stühle in der Geschäftssstelle der Marburger GRÜNEN reichten nicht aus für die etwa 50 erschienenen Parteimitglieder. Das konnte dem zielorientierten Ablauf und am Ende mehrheitlich gefassten Beschluss für Verhandlungen mit den bisherigen Koalitionspartnern auf Landkreis-Ebene, CDU, FDP und Freien Wählern  – trotz deren klarer Verluste bei zugleich Gewinnen der SPD – keinen Abbruch machen.

Vom hauptamtlichen Kreispolitiker der GRÜNEN Karsten McGovern wurden die Empfehlungen der Sondierungsgruppe den Mitgliedern zur Information und Abstimmung vorgetragen und erläutert. (Fotos Hartwig Bambey)

Die ausführlichen Diskussionen der Parteiversammlung offenbarten kontroverse Sichtweisen in Positionierung zur SPD, taktisch-opportune Erwägungen im Willen zum Weiterregieren im Landkreis und widersprüchliche Begründungszusammenhänge. Am Ende ging die Beschlussempfehlung der Sondierungsgruppe durch: Nicht einmal auf die zur Kreistagsmehrheit überflüssigen zwei FDP-Mandate wollen die GRÜNEN für diese bürgerliche Koalition verzichten.

Mindestens so interessant wie diese bürgerliche Orientierung in der Zeit nach Fukushima waren und bleiben die vortragenen Motive und Betrachtungsweisen – in ihrer Vielfalt, wie in offenbarer Widersprüchlichkeit. Zuvor hatte Karsten McGovern die den Mitgliedern schriftlich vorliegende Empfehlung erläutert. Er konzedierte die mögliche machtstrategische Option einer Rot-Grünen Kreistagsmehrheit „die Kräfte bündelt“, räumte ein, dass es „mit der SPD vielleicht mehr Schwung“ geben könne, verwies auf die Zäsur der bevorstehenden Landratswahl in 2013 zum Ende der letzten Amtszeit von Landrat Robert Fischbach (CDU). Dann übergab er das Wort zur Diskussion. Davon wurde lebhaft Gebrauch gemacht und es offenbarten sich zwei lebendige Stunden in demokratisch offener und kontroverser Meinungsartikulation.
Tomas Schneider verwies gleich auf die starke Position des Landrats und meinte „der Landrat könnte blockieren.“ Er verlieh seinen Befürchtungen einer möglichen Obstruktionspolitik von Landrat Robert Fischbach gegen eine Rot-Grüne Kreistagsmehrheit deutlichen Ausdruck.
Ein Sprecher der Lahntaler GRÜNEN zeigte sich demgegenüber skeptisch und verwies auf eine zu unterstellende Konsistenz des Landrats im politischen Handeln, da dieser sich schließlich zum energetischen Umbau des Landkreises bekenne.
Michael Schmidt aus Weimar vergegenwärtigte die Unterschiede zur Zeit vor 10 und 5 Jahren, als andere Umstände und Mehrheiten Wahlergebnis gewesen seien. Seine Interpetation des Wahlergebnisses 2011 zu Gunsten von Rot-Grün war eindeutig. Er brachte dies in einer Frage auf den Punkt. „Wollen wir das Wahlergebnis mit deutlichen Gewinnen für die GRÜNEN dazu benutzen um halbe Leichen wieder zu beleben?“ war aus seinem Mund zu vernehmen und wurde mit zustimmenden Gelächter beantwortet. Er könne nicht nachvollziehen, dass bei gleichen inhaltlichen Aussichten in einer Koalition mit der SPD diese ausgeschlossen werden solle.
Angela Dorn bestätigte zunächst „eine schwierige Lage, in der wir uns befinden“, um dann Bedenken zu artikuliern „gegen den Landrat“ in Gestalt einer Rot-Grünen Kalition regieren zu wollen.
Anders bewertet wurde die Situation von Wolfram Schäfer. Der äußerte Bedenken gegen eine Vorabfestlegung zu Gunsten der bürgerlichen Parteien und erinnerte er an erfolgreiches Arbeiten einer Rot-Grünen Koalition in Marburg mit einem CDU-Oberbürgermeister.
Schäfer verwies auf eine reaktionäre Landespolitik in Hessen. Seine Infragestellung der Koalition mit den Wahlverlierern erhielt viel Beifall der Versammlten.

Irene Soltwedel sah die GRÜNEN in einem Dilemma gerade angesichts des „schwarz-grünen Erfolgsbündnisses“ im Landkreis.
Matthias Knoche sagte, dass er „glaube Fischbach würde blockieren“. Zur Veranschaulichung dieser Befürchtung verwies er auf kommende ausstehende Verhandlungen über die Gasnetze und deren Bedeutung für einen energetischen Umbau.
Franz Kahle sagte zunächst, dass es für ihn in der Stadt Marburg eindeutig nur um eine weitere Zusammenarbeit von Rot-Grün im Rathaus gehen könne. Doch sei die CDU in der Stadt Marburg eine andere. Für den Landkreis plädierte er für eine weitere Zusammenarbeit mit der CDU. Er warf die Frage auf, wie „sollen wir Windkraftthemen im Landkreis mit der SPD hinbekommen?“ Kahle verwies darauf, dass die Landratswahl die Karten neu mischen werde, bis dahin jedoch Grabenkämpfe mit Landrat Fischbach vermieden werden müssten. Es müsse versucht werden ein gutes Verhandlungsergebnis mit der CDU zu erreichen.

Eine diesbezüglich skeptische Stimme machte geltend, dass die GRÜNEN nicht dafür gewählt worden seien dem Landrat zu einem grünen Profil zu verhelfen, vielmehr sage „der Wählerauftrag eindeutig, es geht um einen Politikwechsel.“
Peter Heinze aus Lohra kritisierte, er vermisse in der Diskussion das Ansprechen von grünen Themen. „Welche Ziele sollen verwirklicht werden“ fragte er und beklagte dass er „keine grünen Inhalte in dem Papier“ finden könne.
Dietmar Göttling verwies auf die Verdoppelung des Ergebnisses der GRÜNEN im Landkreis zugleich als klare Bestätigung für deren Politik. „Die Dezernatskompetenz des Landrats könnte die GRÜNEN schwächen“ meinte der GRÜNEN-Fraktionsvorsitzende im Marburger Stadtparlament. Er sehe bei der SPD keine Potentiale für gemeinsame Poltik im Landkreis.

In einer zweiten Einbringung formulierte Tomas Schneider einen Änderungsantrag gegen eine schwarz-gelb-grüne Koalition. Auf sein Betreiben wurde abgestimmt, ob die GRÜNEN die FDP in die kommenden Gespräche und Verhandlungen einbeziehen wollen. Dem Antrag von Schneider nicht mit der FDP zu verhandeln – „wir bekommen ein Vermittlungsproblem mit vielen Wählern“ – folgte die Mehrheit nicht.

Das Abstimmungsergebnis ergab, wie von führenden Köpfen der GRÜNEN gewollt, eine deutliche Zwei-Drittel-Mehrheit für die bürgerliche Variante in gewollter Kaolition von CDU, FDP, Freien Wählern und GRÜNEN, also dem vielzitierten CDU-Landrat Fischbach an der Seite.

Dass Kommunalpolitk dezidiert von taktischen und machstrategischen Überlegungen getragen wird, hat nicht (erst) dieser Abend in der Frankfurter Straße offenbart. Dass die GRÜNEN in Marburg-Biedenkopf taktischem Kalkül und vermeintlich bewährtem und bequemen Weiterregieren den Vorzug geben, angesichts gegebener Mehrheit von SPD und GRÜNEN im Kreistag, wird viele überraschen.

Politische Ambitionen sind das Eine. Opportune Überlegungen sind ein Weiteres. Willkürliche und voluntaristische Argumente um, von und über Landrat Fischbach sind etwas ganz Anderes. Wie kann denn ein Landrat trefflicher Partner in einer Koalition sein, als deren Solar-Botschafter gerade in Berlin auftreten und im Falle des Vollzuges von demokratischen Wählerwillen nolens volens zum Gegner, Widerpart und Verhinderer mutieren?
Diese Frage hat – jedenfalls so zugespitzt – niemand in der Kreisgeschäftsstelle offen artikuliert. Doch schwebte sie über der Diskussion und wurde zugleich übergangen, jedenfalls qua Votum von 31 Mitgliedern und Befürwortern eines Weiterso im Landkreis.

Die Verhandlungen und die Verhandlungsergebnisse werden erneut einer Kreismitgliederversammlung zur Diskussion und Abstimmung vorzulegen sein. Die Mitglieder werden dann wissen wollen, was rausgeholt wurde und wieviel grüne Inhalte im gewollten Bündnis mit den zwei Parteien des Ausstiegs aus dem Ausstieg auf den Tisch gelegt werden. Marburg-Biedenkopf in der Monaten nach Fukushima und 25 Jahre nach Tschernobyl wird spannend.

 

 

 

 

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