Für Klinik Sonnenblick kein Lichtblick – stattdessen viel Schlechtreden
Marburg 23.5.2011 (yb) In der Bauausschusssitzung am 19. Mai war die Zukunft der Klinik Sonnenblick wichtigster Tagesordnungspunkt. Die Planungen und Pläne des Betreibers Deutsche Rentenversicherung wurden von Chefarzt und Architekt, in Begleitung weiterer Repräsentanten, den Ausschussmitgliedern und der Öffentlichkeit vorgestellt. Dass die Akteure der Klinik davon ausgehen das lang gestreckte Klinikgebäude, erbaut Anfang der dreißiger Jahre, in markanter Struktur mit zwei Kopfbauten und mittigem Rundbau zur Südseite nicht als Baudenkmal klassifiziert wissen, war ihren Ausführungen allenthalben anzumerken. Chefarzt Ulf Seifart richtete in seinen Ausführungen Bemühungen darauf, das Gebäude als ungeeignet, teilweise marode, hinsichtlich des Brandschutzes fragwürdig, als Ganzes nicht sanierungswürdig, zu bewerten.
Dabei musste der Mediziner mit der eklatanten Diskrepanz eines guten, sogar sehr guten Abschneidens der Klinik Sonnenblick in einem Qualitätssicherungsverfahren und in der Patientenzufriedenheit hantieren. Darüber berichtete die Oberhessische Presse vor gut einem Jahr am 17. März 2010. „Der Bereich Onkologie der Marburger Rehabilitationsklinik auf den Lahnbergen erhielt im aktuellen Verfahren 87 von 100 möglichen Punkten und belegt somit Platz 5 unter 94 onkologischen Rehabilitationskliniken in Deutschland.“
Wer nun einen schlüssigen und stringenten Vortrag mit plausiblen Argumenten für einen Neubau erwartet hatte, wurde eines Anderen belehrt. Chefarzt Seifart will einen Neubau und so war sein Vortrag angelegt – er glaubte erst einmal gründlich Schwächen, Unzulänglichkeiten und Problematik des Klinikgebäudes präsentieren zu müssen, trotz guter Noten für das Ganze beim Kliniktest.
Der Chefarzt sprach von zu langen Wegen, die zurückgelegt werden müssten. Bei knappem Personalschlüssel sei dies schwer zu leisten. Dann hat er den dunklen Eingangsbereich als Problem geschildert, gleiches wurde von ihm für die Therapieräume beklagt. Er verstieg sich sogar zu der Aussage, das Klinikgebäude sei wenig geeignet den Patienten Licht und Sonne zuteil werden zu lassen.
Zur vermeintlichen Veranschaulichung präsentierte Seifart Fotos von Kernbohrungen, denen er irgendwelche Beweiskraft zusprechen wollte. Schließlich benannte er den Brandschutz wegen des nicht ummantelten Stahlskeletts des Klinikgebäudes als Problem, das heute weder genehmigungsfähig sei noch den konkreten Anforderungen entsprechen würde. Diesen Ausführungen schloss Seifart Aussagen zur heute gegebenen Wirtschaftlichkeit samt Prognose an. Die Zuhörer, ob Ausschussmitglieder, Bauamtsmitarbeiter samt Bürgermeister Kahle, oder interessierte Bürger konnten beinahe vorhersehen, was kommen würde.
Der Chefarzt präsentierte in seinem Power-Point-Vortrag Auswertungen von Berechnungen. Diese stellen die Klinik Sonnenblick keinesfalls in ein schlechtes Licht. Die Klinik arbeitet wirtschaftlich mit der sehr hohen Belegeungsquote von 98,3 Prozent. Also auch auf dieser Strecke keine bad news – schlechten Nachrichten. Doch alles ist interpretierbar und so mussten zunächst weitere betriebswirtschaftliche Hintergründe herbei, die Abschreibungen.
Schließlich kamen von dem Mediziner medizinische Argumente. Für die heutigen Patienten als onkologischer Klinik sei die Zeit des Aufenthalt von entscheidender Bedeutuung, womöglich für ihr Weiterleben. Früher sei Sonnenblick eine Lungenfachklinik gewesen, mit Aufenthaltsdauer vieler Wochen, gar Monate. Die Patienten verweilen nach Worten von Seifart nur zwei bis drei Wochen in der Klinik. daher sei für ihre Genesungs-
aussichten es umso wichtiger, dass sie in dieser Zeit optimal behandelt würden und sich uneingeschränkt wohl fühlen könnten, so der Chefarzt.
Nach einer Vorschau auf die Bauvorstellungen des Architekten, die nach Errichtung eines Neubaus den kompletten Abbruch des heutigen Kliniktraktes beeinhalten, war die Zeit für Fragen gekommen. Vieles auf den Punkt brachte die Stadtverordnete Sonja Sell mit ihren Fragen. Sie könne nicht nachvollziehen, wie es zu einer positiven Bewertung der Klinik ganz vorne gekommen sei, wenn es um die Baulichkeit so schlecht bestellt sei, wurde von
Sell vorgetragen. Auch sei für sie nicht nachvollziehbar, wie bei nur zwei- bis dreiwöchiger Aufenthaltszeit der Patienten Umfeldkonflikte entstehen könnten, wenn das alte Klinikgebäude erhalten bliebe und für studentisches Wohnen genutzt würde. In diesen Fragen war Entscheidendes den Punkt gebracht.
Zwar blieb der Chefarzt die Antwort nicht schuldig. Doch die Ungereimtheiten und Widersprüche in seinen eigenen Ausführungen konnte er nicht aus der Welt schaffen. Die Frage, ob denn das alte Klinikgebäude, oder zumindest wesentliche Teile davon, möglicherweise an die Stadt Marburg veräußert
würden, um darin etwa studentisches Wohnen möglich zu machen, wurde mit einem klaren Nein beantwortet.
Dass die Ausführungen des Architekten mit verschiedenen Zeichnungen, Skizzen und Szenarien von dessen Willen und Interesse an einer Neubaulösung getragen waren, hat niemanden überrascht. Dies jedoch brachte keine wesentlichen Aspekte in die Fragen und Zusammenhänge. Die waren zwar wortreich vom Chefarzt vorgetragen worden. Es fehlte ihnen jedoch Klarheit und Überzeugungskraft. Das viele Gesagte und Gezeigte wollte nicht recht fruchten und funktionieren im Sitzungssaal des Baumtes. Es löste weitere Fragen aus, bis danach, ob es eine Möglichkeit für einen Ortstermines für den Bau- und Planungsausschuss geben könne. Chefarzt Dr. Ulf Seifart zeigt sich aufgeschlossen und beflissen und will die Führung persönlich übernehmen. Nur allzu lange dauern möge es nicht, bis die Stadtverordneten zur Visite kommen, lautete sein Wunsch.
Viele Ungereimtheiten im Vortrag und den Sichtweisen der Klinikleitung, eine letztlich nicht plausible Ablehnung von Erhaltungs- und Weiternutzungsüberlegungen der bisherigen Klinikgebäude und eine eklatant widersprüchliche Argumentation mit viel vermeintlichen Wirtschaftslichkeitserwägungen aus Medizinermund haben eine unklare und wenig transparente Situation sichtbar werden lassen.
Dabei geht es um momentan 180 Betten und um gut 120 Arbeitsplätze. Von den Sprechern und Verantwortlichen für einen Klinikneubau samt Abbruch kann und muss man mehr erwarten.
- Für die Stadt Marburg zeigt sich einmal mehr, wie hilflos und zusammenhanglos städtisches Abwägen, Entscheiden und späteres Handeln werden muss, wenn keine ordentliche Stadtentwicklungsplanung zu Grund liegt.
- Erneut liegt ein Zig-Millionen-Projekt auf dem Tisch. Doch es gibt keine Rahmenplanung für die Gesamtstadt – und bisher keinen politischen Willen dazu.
- Unten ein Campus, oben ein Campus, unten ein Kongresszentrum mit Verwaltungssitz, oben ein gewollter Klinikneubau, Gutenberg-Center, Umgestaltung Rudolphsplatz, Nahverkehr – die Liste der Aufgaben mit eminenter Zukunftswirkung ist noch viel länger.
- Es sind viele Brocken, die anliegen und mit Perspektive umgesetzt werden müssen. Die Marburger müssen daher erwarten, dass Rot-Grün in der Universitätsstadt nicht länger die Augen vor gewaltigen Umbrüchen und den Chancen verschliesst und sich dem endlich auch als Ganzes stellt.
- Die personellen Veränderungen im hauptamtlichen Magistrat geben Handhabe dafür. Es braucht eine(n) Stadtplaner(in) in Dezernentenposition, der/die fachlich und perspektivisch in der Lage ist und ein Denken schafft, welches der ja positiven Entwicklungsituation der Stadt Marburg gerecht wird – dies alles aber auch beherrschbar macht.
- Mit Klein-Klein, Projektmanagement und (schlechten) Powerpoint-Präsentationen kann man keine Stadtentwicklung gestalten. Eine solche braucht Marburg – und zwar dringend.