Blick über den Horizont – wie andere Städte mit dem Problem Stadtautobahn umgehen
Marburg 26.5.2011 (red) Zur Stadtautobahn B3a kommt Gerhard Haberle zu Wort. Er ist Sprecher der Marburger Agenda 21-Gruppen. Mit Vorträgen zur Stadtautobahn im Jahr 2010 sind aus Aktivitäten der Agenda-Gruppen Anstösse zur Konstituierung der Bürgerinitiative Stadtautobahn entstanden. Bei einer Agendaveranstaltung im Mai haben mehrere Referenten Einbringungen geleistet. Als Einstieg hat Gerhard Haberle berichtet, was in anderen Städten längst passiert.
Gastbeitrag von Gerhard Haberle. Bei einer öffentlichen Agendaveranstaltung am 18. Mai zum Themenbereich Stadtautobahn mit etwa 80 Teilnehmern wurden von mir als Beispiele Ulm, Tuttlingen, Frankfurt und Hamburg vorgestellt. Dort sind Stadtautobahnen entweder bereits umgebaut oder entsprechende Planungen sind im Gang. Bei dieser Veranstaltung konnte aufgezeigt werden, dass mit Tunnelführung von Stadtautobahnen, wie in Hamburg oder Frankfurt, ein erheblicher Gewinn an Bauland entsteht.
Zudem hat in Marburg das Thema Stadtautobahn mit dem Lückenschluss der B3 A zwischen Roth und Gisselberg weitere Brisanz erhalten. Es ist damit zu rechnen, dass der Durchgangsverkehr zunimmt und wachsende Schadstoffbelastungen und erhöhte Lärmbelästigungen kommen werden. In mehreren Städten hat die Umsetzung der Baumassnahmen einen Gewinn an Bauland zur Folge. Es kommt damit nicht nur zur Verbesserung des Stadtbildes. Zur Gegenfinanzierung der erheblichen Kosten, die in der Regel der Bund zu tragen hat, können Baulandgewinne eingesetzt werden. Nach einer Studie von Albert Speer werden die Kosten der Untertunnelung eines Abschnittes der A 661 in Frankfurt auf 220 Millionen Euro geschätzt. Die zu erwartenden Einnahmen durch Grundstücksverkäufe beziffern Fachleute dort auf 120 Millionen Euro. Das sind mehr als die Hälfte der Baukosten. In Hamburg wird der Baulandgewinn ebenfalls zur Gegenfinanzierung einbezogen. Es lohnt sich also rundum zu blicken, wie in anderen Städten mit vergleichbaren Situationen und Problemen umgegangen wird. Nicht alleine in Marburg wird Stadtraum von einer Stadtautobahn zerschnitten.
Wie unterschiedlich Lösungen aussehen können, möchte ich mit zwei Beispielen zeigen. Es geht um Ulm und Tuttlingen. Es ist zu bedenken, dass jede Stadt und Ortschaft unterschiedliche Bedingungen hat. Beispiele sind nicht unmittelbar übertragbar, sie sollen vielmehr Anregungen für Marburg geben.
Unerträgliche Lärmbelästigung und Schadstoffbelastung der Luft durch hohes Verkehrsaufkommen sind gemeinsamer Antrieb für notwendige Veränderungen. Zugleich ist der städtebauliche Schaden, den Stadtautobahnen wegen der Trennung ganzer Stadtteile hinterlassen, Grund genug Veränderungen anzustreben. Das Beispiel Ulm zeigt, welch städtebaulicher Gewinn möglich ist, wenn eine sechsspurige Straße durch die Innenstadt zurückgebaut wird.
Ulm – Rückeroberung der Stadt als Ulms Neue Mitte
Ausgangspunkt war der Rückbau der Ulmer Spange die zum Teil mit 13 Spuren durchs Zentrum pflügte. Ulm als autogerechte Stadt zum Durchbrausen. Es war eine mehrspurige Magistrale, die allein zum Wohl der Autofahrer die Stadt durchschnitten hat. Mitte der 1990er Jahre stellt Ulm neue Verkehrsleitlinien auf. Mehr Stadt wagen und weniger Autos. Der neue Entwicklungsplan machte die Verkehrsschneise obsolet. Häuser sollten auf dem Asphalt blühen, dazu Plätze, Passagen, neue Urbanität. Das ist gelungen und die Ulmer Bürger sind zu beneiden.
Das Bebauungsplanverfahren wurde mit reger Bürgerbeteiligung umgesetzt. Es gab ein Innenstadtforum mit Podiumsdiskussionen, Fachgesprächskreise mit Architekten. Dann kam ein Satzungsbeschluss, der Einwände der Bürger berücksichtigte. Der Umbau erfolgte in der Zeit von 2002 bis 2007.
Entstanden ist durch den Rückbau der überdimensionierten Straße eine riesige Verkehrsinsel, die jetzt als bebaubare Fläche nutzbar ist. Die Grundstücke wurden unter der Bedingung abgegeben, dass die Investoren auch kleine Wettbewerbe ausschreiben.
In Ulm wurde mit dem Bau des Stadthauses auf dem Ulmer Münsterplatz und der damit verbundenen Neuordnung des Platzes die Rückeroberung der Stadt eingeleitet. Die Neue Mitte wird heute von der Fachpresse bejubelt. Von gelungener Stadterneuerung ist die Rede und von Reue gegenüber den Verkehrssünden der Vergangenheit.
Tuttlingen – Verlegung der B 311 in einen Tunnel
Nach einer dreijährigen Bauzeit wurde der Kreuzstraßentunnel am 17. Februar 2011 im Beisein von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer mit einem Festakt eingeweiht. Die ein Kilometer lange Röhre bündelt den Verkehr zweier Bundesstraßen, die B 14 und B 311, und unterquert Tuttlingen. Die Tunnelführung befreit die Stadt vom Durchgangsverkehr und gibt ihr die Mitte zurück. Auf der Tunneldecke entstehen Anwohnerstraßen mit großzügigen urbanen Flächen. Der Bau erfolgte in offener Bauweise, im Tagebau, mit Lüfternischen und Pannenbuchten. Die Kosten für den Tunnel belaufen sich auf 31 Millionen Euro.
Bereits 1979 hatte der ehemalige SPD Stadtrat Prof. Michal Weber in einem Leserbrief die Idee des Tunnels ins Gespräch gebracht. Dies war „einer der folgenreichsten Leserbriefe, der je veröffentlicht wurde“ erklärte der heutige Oberbürgermeister Michael Beck. Ich erwähne dies, weil ich damit ermuntern will, Leserbriefe zu schreiben wenn Menschen etwas stinkt in Marburg, etwa Autoabgase. Vielleicht hat jemand eine zündende Idee zur Beseitigung eines Missstandes.
Frankfurt Einhausung A 661 Teilstück Seckbach und Bornheim
In Frankfurt setzen sich der Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung für die Einhausung eines 1,2 Kilometer langen Teilstückes der A 661 zwischen Seckbach und Bornheim ein. Das Frankfurter Planungsdezernat hatte an den Stadtplaner Albert Speer mit einer Machbarkeitsstudie beauftragt. Das Ergebnis liegt in drei Varianten vor.
Nach der favorisierten Variante können nach der Einhausung zwischen Friedberger und Seckbacher Landstraße 27 Hektar Bauland entstehen, auf dem 2.430 Wohneinheiten für etwa 5.150 Einwohner gebaut werden können.
Darüber hinaus zeigt die Studie verschiedene Städtebaulichen Entwicklungschancen auf
- Stärkung des Grüngürtelkonzepts durch Gestaltung des öffentlichen Raumes
- Stadträumliche Verflechtung der Stadtteile
- Nachverdichtete Entwicklungsflächen innerhalb des Stadtgefüges
- Behutsame Arrondierung – also Zusammenfügen – von Stadtteilen.
Die Kosten für die Tunnelführung mit Betondeckel werden auf 220 Millionen Euro geschätzt. Einnahmen durch Grundstücksverkäufe beziffern Fachleute auf 120 Millionen Euro.
Im September 2010 haben sich Oberbürgermeisterin Petra Roth und CDU-Fraktionsvorsitzender Helmut Heuser mit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer getroffen, um für das große Konzept zu kämpfen und zu werben.
Ramsauer will die Möglichkeiten einer Realisierung fachlich prüfen lassen, das von Stadtplaner Speer entwickelte Konzept enthalte eine spannende Vision.
Die Autobahn verschwinden zu lassen mit ihrem Lärm und Abgasen, wird verwirklichbar, wenn das Land Hessen und die Stadt sich angemessen beteiligen, sagt der Bundesverkehrsminister dazu. Im Februar 2011 hat er sich vor Ort ein Bild gemacht. Alle Chancen sind weiterhin gegeben, meint die Oberbürgermeisterin.
Die Kommunalpolitik rechnet damit, dass es einige Jahre dauern wird mit der Einhausung. Für die Zwischenzeit fordern sie als schnell wirkenden Lärmschutz ein Tempolimit, als billig und einfach umzusetzende Maßnahme.
Der CDU-Fraktionschef Heuser bezeichnete die Entscheidung des Hessisschen Verkehrsminister Posch (FDP) auf einigen Stadtautobahnen Tempobeschränkungen aufzuheben, als falsch. Er plädiert für Tempo 80 um Anwohner an Autobahnen vor Lärm zu schützen.
Das Aktionsbündnis unmenschliche Autobahn (AUA) in Frankfurt hält es für das Recht betroffener Menschen vom Bund Investitionen für Lärm- und Schallschutz zu verlangen. Die SPD hat in der Stadtverordnetenversammlung einen Antrag eingebracht, der den Magistrat auffordert, im Rahmen eines Wettbewerbs Studierende des Fachbereichs Architektur zu gewinnen. Diese sollen Modelle für die Einhausung der A 661 /A 66 entwickeln. Studierende seien in ihrer Kreativität unverbraucht und Neuem gegenüber aufgeschlossen, heißt es in der Begründung.
Hamburg Autobahndeckel BAB 7 in Bahrenfeld, Stellingen und Schnelsen
Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt hatte in Hamburg einen Realisierungswettbewerb ausgeschrieben. Aufgabe war es, Tunnelbauwerke zu planen in den Bereichen Bahrenfeld, Stellingen und Schnelsen zur Überdeckelung von Teilabschnitten. Umzusetzen auf einer Länge von mehr als 3.5 Kilometern der Bundesautobahn 7. Die Bauzeit wird von 2011 bis 2017 geschätzt. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 430 Millionen Euro. Gegenstand des vorhergehenden Wettbewerbs waren die Gestaltung öffentlicher Grünflächen, Promenaden und Kleingartenflächen. Das Wettbewerbsgebiet umfasst etwa 12 Hektar Flächen.
Durch diese Stadtreparatur sollen neben der Lärmschutzwirkung (zur Zeit fahren 140.000 Autos pro Tag) neue Möglichkeiten für angrenzende Stadtteile entstehen. Diese sind bisher durch die Autobahn zerschnittenen. Die trennende Wirkung soll aufgehoben werden, die Stadtteile können zusammenwachsen und werden deutlich aufgewertet. Grünflächen und bestehende Kleingartenanlagen werden auf die Deckelfläche verlegt und dadurch frei werdenden Verwertungsflächen können zur Finanzierung der Deckelabschnitte – wie in Frankfurt – für Wohnungsbau genutzt werden.
Inzwischen ist der Wettbewerb abgeschlossen. Die ersten vier Preisträger sind Büros von Berliner Landschaftsarchitekten. Ein Ankauf ging an ein Büro in Barcelona, Spanien, denn der Wettbewerb war europaweit ausgeschrieben.
Andere Städte sind weiter – Marburg erwache
Es gibt zahlreiche weitere Beispiele in Bremen – Bochum – Düsseldorf – Duisburg – Halle – Hannover – Heidelberg – Mühlheim – München – Nürnberg – Saarbrücken – Stuttgart.
All dies sind Städte, in denen der Umbau entweder schon gelungen oder geplant ist. Es ist schlichtweg so, wie Prof. Stephan Herkt von der Uni Bochum bei seinem Vortrag im vergangenen Jahr hier gesagt hat. „Wenn sich etwas verändern soll, muss die Stadt Marburg aktiv werden.“
Einen städtebaulichen Ansatz für eine Verlegung der B3a in Marburg beschreibt eine bereits im Jahr 2005 entstandene Arbeit an der Universität Darmstadt. Sie ist von den damaligen Archikturstudenten Fabian Luttropp und Ole Metzger jetzt öffentlich vorgestellt worden und zeigt interessante Möglichkeiten für Gewinne an Bauland in attraktiver Lage in Marburg.
Packen wir es in Marburg mit Nachdruck an – andere werden es nicht für uns richten.