Neulich in Neukölln…
Berlin, Marburg 10.7.2011 Eine Geschichte aus Berlin von Nadine Beck.
Ahmad in Worte zu fassen, ist schwierig. Ist er Araber? Griechischer Derwisch? Oder ist er einfach Berliner? Eigentlich ist er ein Unikum, einer, den man am besten selber mal erlebt haben muss, um ihn fassen zu können. Ahmad mäandriert irgendwo zwischen 30 und 50, trägt das Haar oben offen, ist hünenhaft groß und ein Kneipenfritze, wie er im Buche steht. Das Ambrosius Aquila in der Sonnenallee 28 im Berliner Stadtteil Neukölln ist sein Laden, eine Eckkneipe, deren Charakter-Konzept von außen genauso schwer zu erahnen ist, wie das ihres Besitzers. Ein riesiges rotes Leuchtschild verkündet von weitem in verschnörkelter Schrift den eigentümlichen Namen des Lokals. Stühle und Tische vor dem Eingang lassen den geneigten Gastrophilen denken „Aha, Dönerbude!“. Was gerade in dieser Gegend mit ihren vielen Einwohnern türkischen Migrationshintergrundes nicht wundern dürfte.
Tritt man allerdings über die Schwelle ein in die Welt von Ahmad, ist so schnell eigentlich gar nichts mehr klar. Gutbürgerliche Tisch- und Stuhlsituationen mit rosa Decken, an den Wänden eine krude Mischung aus New York-Ansichten, Ölschinken und Nippes und mittendrin ein ausgestopftes Federvieh, dass wohl entfernt an den Adler erinnern soll, dem das Ambrosius Aquila einen Teil seines Namens zu verdanken hat. Und da, wo der holzvertäfelte Tresen auf das DJ-Pult im Strohhütten-Look stößt, steht unter der blinkenden Leuchtpalme Ahmad und begrüßt – einen Whisky-Cola in der Hand, an dem er eigentlich immer nur selten nippt – mit dem strahlendsten aller Lächeln seine Gäste.
Sprung zurück, ein paar Wochen zuvor. Samstagabend, wir sitzen zu dritt im urigen Schlawienchen im benachbarten Stadtteil Kreuzberg, keine zehn Gehminuten vom Ambrosius entfernt, und trinken Berliner Weiße, wie es sich für Zugezogene und Touristen gehört. Das Kickerspielen mit Gernot, dem Bauarbeiter – „Wollter ne Runde spieln? Is donnix so zu dritt!“ – macht hungrig. Auf den dritten Döner in zwei Tagen haben wir keine Lust, der Pöbel schreit nach was Deftigem.
Am besten so ein richtig schönes Eisbein, das wäre es jetzt. Gernot empfiehlt das Ambrosius, “Da wirste satt!”- also stiefelt man los und macht rüber in die Nähe des ehemaligen Ostens Berlins nach Neukölln. Vorbei am Hermannplatz, an unzähligen Dönerbuden, Handyshops und türkischen Klamottenläden fragwürdigen Geschmacks, immer die scheinbar endlose Sonnenallee hinab. Am Ambrosius Aquila angekommen, erblindet man erstmal fast vor Lokalkolorit.
Eine Menagerie an Menschen, die man gerne liebevoll Manni, Hotte, Gisela oder Uschi nennen möchte, Kette rauchend, Sektchen oder Bier trinkend und scheinbar schon seit 20 Jahren an den Tresen oder die Eiche-rustikal-Tische geklebt. Im Hintergrund läuft Howard Carpendale und auf der Tanzfläche im Nebenraum schwofen Mehmet und Gisela unter Plastikpalmen, während Uli, der schon unter Rommel gedient hat, sich flirttechnisch versucht bei einer jungen Polin zu positionieren. So geht gelebte Integration und Völkerverständigung!
Die Karte verspricht Pizzen und Pasta, jede Menge ausgefallene Schnapsereien und einen Bierpreis, der einem die Freudentränen in die Augen schießen lässt. Deutsches Kulinarium kommt auf einer handgeschriebenen Karte im Lederetui daher, fast wie im Edelrestaurant. Das großmäulig bestellte Eisbein mit Erbspüree, Kartoffeln und Kraut erweist sich als kindskopfgroß und Bianca, die Bedienung, als telepathisch, so scheint es. Wortlos steht nach dem arbeitsintensiven Mahl ein Amaretto auf dem Tisch.
Aber Ahmad hatte mit leuchtenden Augen aus der Küche verfolgt, wie wir uns an seinem feisten Schmaus erst gierig abgearbeitet hatten und dann stillschweigend kollabiert waren. Er kommt gut gelaunt an unseren Tisch und ordert Bianca an, noch eine Runde Hula-Hula – diesmal Averna – mitzubringen, die er launig mit uns teilt, bevor er die neuen Gäste begrüßt und wieder in die Küche entschwindet.
Selig und satt beobachten wir, wie die blondierte Tiger-Lily und die volumige Gisela, die wir heimlich MS Waltraud getauft haben, mit Leichtmatrose Uli und Smutje Ali das Trockendock verlassen, während der Rest des Narrenschiffes weitere 20 Jahre darauf wartet, doch noch zum Disco-Foxen aufgefordert zu werden.
Soviel Sozialromantik hält kein Mensch aus, am Wochenende drauf schleppte ich neues Fußvolk an, um Ahmad und sein Ambrosius mit der Welt zu teilen. Seitdem kommen immer mehr und neue Leute dazu, der akademische Alkoholfreund präferiert nun einmal trashige Etablissements, besonders in Berlin. Aber Ahmad und sein Laden sind mehr als das. Hier ist nichts aufgesetzt und pseudocool, sondern herzlich und ehrlich, so wie Neukölln eben.
Und immer ist etwas da, was das scheinbar sortenreine Konzept bricht. Der Türke, der mit der Tussi aus der Karl-Marx-Allee tanzt, das Eisbein unter all den Pizzen, die junge Punkerin mit der Igelfrisur, die zusammen mit Ingeborg Kette raucht. Alles an einem Samstagabend und alles nur bei Ahmad.
Ahmad selber ist ebenfalls kein kühl kalkulierender Mitte-Kneipier, sondern Wirtspersönlichkeit mit Charakter und vor allen Dingen Authentizität. Der Sohn einer Griechin und eines Arabers wuchs in der DDR auf, wohin die Mutter als Kommunistin geflüchtet war, der Vater bleibt zurück. Seinen griechischen Nachnamen könne er selber kaum aussprechen, lacht er. Eine Frau und fünf Kinder hat er auch.
Ahmad setzt sich gerne zu Menschen, die er mag, an den Tisch und erzählt Witze. Meistens wechseln ein oder mehrere Hula-Hulas höchst verschiedener Provenienz das Gefäß, bevor er aufspringt, um Gäste zu bedienen oder Essen zu kredenzen. Er hat seine Augen überall und immer alles im Griff, er ist ein wahres Energiebündel, das neben unterhaltsam auch umsorgend ist und seine Gäste bei Regen mit Schirm zum Taxi eskortiert.
Er tanzt freihändig ein Glas auf seiner Glatze balancierend, das Aquila ist sein Reich und seine Bühne. Dienstags ist Jungfernball, grinst er, da kommen immer die Stammgäste aus dem Altersheim um die Ecke zum Tanzen. Neulich am 1.Mai war Ahmad sogar in einem Clip auf Spiegel-Online zu sehen, wo er für einen Euro ein großes Bier und einen Stein in seinem Laden anbot – gegen die ziellosen Randalierer, wohlgemerkt.
Diese sollten lieber erst einmal arbeiten gehen. Als Gastwirt an der Einflugschneise zum Krawallmekka der Maidemonstrationen am Kottbusser Tor hat seine Kneipe schon so einigen Flurschaden erlitten, das prägt. Aber auch dieses disparate Element passt in das Gesamtbild. Ahmad ist einfach nicht in eine Schublade zu stecken, ihn muss man erleben.
Das ist Berlin – nicht Starbucks in der Friedrichstraße. Und deswegen sollte man dort auch nicht blindlings hin und wieder weg ziehen, sondern sich eher zurückziehen, damit das Pflänzchen Neukölln nicht kaputtgeht an Überdüngung.