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Arbeiteraufruhr in China

Marburg 25.7.2011 (red) Gastbeitrag von Ulrike Eifler. Noch 1949 war China ein Agrarland. 65 Prozent des Produktionswertes stammten aus der Landwirtschaft. Gerade einmal vier Millionen der 400 Millionen Chinesen arbeiteten in der Industrie. Inzwischen ist China ein relevanter Industriestandort mit kräftigen Import- und Exportzuwächsen. Das jährliche Wirtschaftswachstum liegt bei neun Prozent. 2001 trat China der WTO bei. 2008 richtete es die Olympischen Spiele und 2010 die EXPO aus. Nach nur 60 Jahren scheint die Integration in Weltmarkt gelungen.

 

Doch der Prozess der beschleunigten Industrialisierung verlief nicht ohne Widersprüche. Privatisierung, Massenentlassungen und miserable Arbeitsbedingungen gehören ebenso zu China wie die Zahlen vom Wirtschaftswachstum. Die Angst, an Erschöpfung zu sterben, ist inzwischen weit verbreitet. Der Grund: Bei vielen beträgt die Arbeitszeit 16 und mehr Stunden am Tag. Eine besondere Bedeutung spielt die Lohnfrage. Der gesetzliche Mindestlohn sollte 40 Prozent des ortsüblichen Durchschnittslohnes betragen. In vielen Städten liegt er deutlich drunter.

Während die Gewinne steigen, sinken die Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zunehmend. So ist der Lohnanteil am Bruttoinlandsprodukt von 57 Prozent 1983 auf 37 Prozent 2005 gefallen. Mit anderen Worten: Die chinesische Wirtschaft explodiert, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aber bekommen immer weniger davon ab.

Die Chinesen kommen – inzwischen nicht alleine als Studierende oder als Touristen – ein chinesischer Ökonom findet Sitz und Gehör in der Weltbank.

Dagegen regt sich Widerstand. So gab es im letzten Jahrzehnt mehr als 820.000 betriebliche Schlichtungen und 450.000 arbeitsrechtliche Schlichtungsverfahren. Und hin und wieder erreichen die westlichen Medien Berichte von beeindruckenden Arbeitskämpfen. Jüngstes Beispiel: Die Streiks bei Honda im Mai letzten Jahres. Was zaghaft bei Honda begann, wuchs zu einer beeindruckenden Protestwelle, die bis Mitte Juli dauerte. Sie kostete den Honda-Konzern täglich 30 Millionen Euro, stoppte die gesamte Autoproduktion und führte zu Lohnerhöhungen von bis zu 70 Prozent.

Den Anfang machen einige Dutzend ArbeiterInnen im Getriebewerk in Foshan, Provinz Guangdong. Unzufrieden mit Löhnen und Zulagen treten sie am 17. Mai 2010 in den Streik. Über SMS macht die Nachricht schnell die Runde unter den knapp 2.000 Beschäftigten. Die zurückhaltenden Angebote für Lohnerhöhungen werden von den Streikenden zurückgewiesen.

„Es geht um unsere Würde. Was sie uns anbieten, reicht nicht zum Leben“, sagt einer der Beteiligten. Die ArbeiterInnen fordern 60 Prozent mehr Lohn und garantierte Lohnsteigerungen von 15 Prozent pro Jahr. Am 1. Juni kommt es zu ernsthaften Verhandlungen. Wenige Tage später wird das Ergebnis auf den Belegschaftsversammlungen angenommen. Die Streikenden hatten eine Lohnerhöhung von 33 Prozent und weitere Zulagen durchgesetzt.

Nur wenige Tage nach Ende des Streiks fällt ein Dominostein nach dem anderen. Am 7. Juni treten 20 ArbeiterInnen in einem Zuliefererbetrieb von Honda in den Streik. Inspiriert durch den Arbeitskampf  ihrer Kollegen fordern sie mehr Lohn und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Ihr Streik dauert drei Tage und stoppt die Produktion in zwei Montagewerken. Die Arbeiter erhalten eine Lohnerhöhung von 25 Prozent. Wenige Tage später bricht ein Streik bei  Honda Lock in Zhongshan, Provinz Guangdong, aus.

Dort werden Spiegel, Schlösser und andere Autoteile für Honda-Montagewerke auf der ganzen Welt hergestellt. Die ArbeiterInnen hatten im Internet von dem Streik im Getriebewerk gelesen. Nach harten Verhandlungen und schweren Zusammenstößen mit der Polizei erkämpfen auch sie eine Lohnerhöhung von 20 Prozent und einen Zuschuss für die Unterkunft.

Chinesisches Kapital will angelegt sein, wie etwa beim Kauf der Automarke Volvo, hier ein Bericht dazu in der Financial Times Deutschland vom 21. Juli 2011.

Weitere Streiks bei Honda-Töchtern und Zuliefererbetrieben folgen und ziehen sich bis Juli hin. Dabei werden Lohnerhöhungen von bis zu 70 Prozent erkämpft. Aber auch in anderen Sektoren kommt es zu Arbeitskämpfen, darunter Elektronikunternehmen, Gummi- und auch Nähmaschinenfabriken. Bemerkenswert dabei: Die Streiks finden in ausländischen und inländischen, in privaten und staatlichen Unternehmen, in den Küstenregionen, aber auch im Landesinneren statt.

Der Streik in Foshan war der Funke, der einen Steppenbrand entfachte. Das war möglich, weil es unter den ArbeiterInnen eine tiefer liegende Unzufriedenheit mit den konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen gibt. Insbesondere die zweite Generation von WanderarbeiterInnen sieht sich nicht mehr mit der Rolle als Billigarbeiter einverstanden. Während ihre Eltern vom Land in die Städte zogen, um nach ein paar Jahren mit etwas Geld wieder aufs Land zurückzukehren, wollen sie bleiben.

Sie sind in der Zeit des Aufschwungs aufgewachsen. Und sie weigern sich zunehmend, schlechte Löhne und überlange Arbeitszeiten widerspruchslos hinzunehmen.

Sie vergleichen ihr Leben nicht mehr mit dem der Leute auf dem Land, sondern sie richten sich nach dem Lebensstandard in den Städten. „Wir sind nicht mehr wie unsere Eltern. Ihre Wünsche waren einfach – etwas Geld verdienen und ins Heimatdorf zurückkehren. Wir wollen in der Stadt leben und das Leben genießen“, fasst ein Streikaktivist bei Honda das neue Selbstbewusstsein seiner Generation zusammen.

Dieses drückt sich in einer neuen Entschlossenheit bei Arbeitskämpfen aus. Dabei geht es nicht mehr nur um Lohn, Arbeitszeit und Arbeitsschutz. Die Streikenden merken recht schnell, dass sie ihre Streiks wirksam organisieren müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen. Die Gründung von unabhängigen Gewerkschaften spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Vernetzung mit anderen Betrieben.

Chinas wachsende Bedeutung in Weltökonomie findet Niederschlag im Einzug chinesischer Repräsentanten in bedeutenden Institutionen, wie dem IWF.

Als die Regierung merkte, dass die Streiks bei Honda auf Toyota übergriffen, untersagte sie jegliche Berichterstattung. Die Streikenden reagierten mit Streikaufrufen per SMS, Berichten auf Internetforen und Diskussionen in eigenen Chat-Rooms. Bei Foxconn beschrieben die ArbeiterInnen ihre Arbeitsbedingungen online und posteten ihre Lohnabrechnungen. Auch selbstgedrehte Videos, die zeigten, wie der Wachschutz die ArbeiterInnen herumschubst, erleichterten trotz Medienzensur Information, Vernetzung und Erfahrungsaustausch.

Der Industrialisierungsprozess in China hat nicht nur stabile Wachstumsraten hervorgebracht, sondern zugleich auch die Arbeiterbewegung anwachsen lassen. Der ökonomische Druck einerseits und die enormen sozialen Widersprüche andererseits haben die Entschlossenheit einer neuen Generation begünstigt. Sie wollen die Profiteure des Wirtschaftswachstums mit allen Mitteln zum Teilen zu zwingen.

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