Als Marburger Inszenierung: ‚Der Gute Mensch von Sezuan‘ eine runde Sache
Marburg 16.9.2011 – Der Dramatiker Bert Brecht scheint ein Revival zu erleben. Nach Wiesbaden legte nun auch das Hessische Landestheater Marburg eine Neuinszenierung von `Der Gute Mensch von Sezuan` vor. Auch die zweite Aufführung auf der 200 Plätze bietenden `Bühne` am Schwanhof war wieder ausverkauft.
Brechts Parabel aus dem Jahr 1941 schildert das Auf und Ab im Leben der gutmütigen Hure Shen Te. Erst als ihr die Probleme bis zum Hals stehen und sie zudem um die Zukunft ihres Kindes kämpft, verwandelt sie sich in einen hartherzigen Unternehmer. In der Maske ihres realistisch kalkulierenden Vetters Shui Ta hat sie ökonomisch Erfolg. Zuvor wurde die uneigennützig fühlende junge Frau von Allen nur ausgenutzt. Mit „Du musst ein Schwein sein in dieser Welt“ landeten die Prinzen 1995 nicht zufällig einen mittelgroßen Hit.
Hintergründig liefert Brecht mit der Sezuan-Tragikomödie eine Auseinandersetzung mit der traditionellen christlichen Moral. In der Parabel-Handlung zeigt er, dass die Ideale der Uneigennützigkeit, die die Religion fordert und hochhält, das Individuum ökonomisch in den Abgrund führen.
Die neue Inszenierung von Stephan Sulke zeigt das Dilemma und lässt dabei die moralische Lektion in der Schwebe. Denn hat die gutherzige Grundhaltung Shen Tes nicht auch ihre Notwendigkeit?
Es tut dem Stück gut, dass es von ursprünglich zweieinhalb auf nur mehr zwei Stunden (inklusive 15 Minuten Pause) gestrafft daherkommt. Auf einige Szenen, die Zwischenspiele und Lieder wurde ebenso verzichtet wie auf eine darstellerische Verkörperung der drei Götter. Die „Erleuchteten“ treten nur als Stimmen aus dem Off in Erscheinung.
Ausgesprochen witzig ist auch die inszenatorische Idee, die diebische achtköpfige Familie als Choros wie im altgriechischen Drama einzusetzen. Das durchbricht zwar Brechts „episches Theater“, funktioniert aber dank gut instruierter Statisten prächtig.
Schade ist es um den weggestrichenen Epilog. „Der Vorhang zu und alle Fragen offen“ ist dank Marcel Reich-Ranicki sicher das populärste „geflügelte Wort“ aus dem Drama.
Brechtstück vom ‚Guten Menschen‘ könnte Publikumserfolg werden
Das Bühnenbild von Momme Röhrbein bestand aus einem bespielbaren Gerüst, das den gesamten Bühnenvordergrund überspannte. Das war funktional ausgezeichnet, forderte vom Zuschauer allerdings, sich den Tabakladen selbst auszumalen.
Die Kostüme und aufwendigen Masken unterstrichen picobello die Fremdartigkeit der als Chinesen verfremdeten Rollen und den tragikomischen Charakter des Stücks. Wie gewohnt beim Hessischen Landestheater war die Auswahl der eingespielten Musik exzellent und trug viel zur Wohlfühl-Atmosphäre der Aufführung bei.
Die Schauspieler hinterließen überwiegend einen starken Eindruck. Überragend in der Doppel-Hauptrolle Shen Te/Shui Ta spielte die Nachwuchs-Mimin Anne Berg. Durch die Erkrankung des eigentlich vorgesehenen Ensemble-Mitglieds hatte sie kurzfristig einspringen müssen. Das Publikum lohnte es ihr mit geradezu frenetischem Extra-Applaus.
Ebenfalls hervorragend kamen die körpersprachlich stark stilisierten Rollen-Interpretationen von Stefan A. Piskorz als reicher Barbier Shu Fu und Claudia Fritsche als notgeile Hausbesitzerin Mi Tzü heraus.
Misslungen waren einzig Piskorz als grabschender, volltrunkener „Bonze“ sowie Oliver Schulz als etwas zu angeberisch-brachial geratener Wasserverkäufer Wang. Daniel Sempf als egozentrischer, verhinderter Flieger Yang Sun gefiel. Alle weiteren zeigten eine solide, runde Leistung, die das Publikum mit herzhaftem, anhaltendem Schlussbeifall belohnte. Text/Besprechung Jürgen Neitzel. Fotografien von Ramon Haindl (Theaterfotograf).