Kontroversen um Sporthallen und Neuverschuldung belasten Verabschiedung des Marburger Haushalt 2012
Marburg 17./19.12.2011 (yb) Mitunter trägt oder befördert eine gute Zahlenlage alleine wenig. Für die Marburger Stadtpolitik gilt dies zum Jahresausklang 2011 in mindest doppelter Weise. Das Wählervotum im März hatte die bisherige Mehrheit deutlich gestärkt; seitdem verfügt die inzwischen 15 Jahre regierende Rot-Grüne Parlamentskoalition in Marburg nunmehr über 35 Mandate der insgesamt 59 Stadtverordneten. Auch bei den Zahlen für den Haushalt sieht es gut, vergleichsweise sogar sehr gut aus. So ist bei der Haupteinnahmeposition Gewerbesteuer der Betrag von mehr als 73 Millionen Euro für 2012 veranschlagt, nach einem ähnlich hohem Betrag in diesem Jahr. Wer jetzt erwarten würde, dass es rund läuft in Marburg, läge ziemlich daneben. Eine Lehrstunde, wie Kommunalpolitik besser nicht verstanden und inszeniert werden sollte, wurde die Dezembersitzung der Stadtverordneten. Zu sehr später Stunde kam man endlich zur Verabschiedung des Haushalts für 2012 samt Investitionsprogramm 2011 – 2015.
Zunächst musste Stadtverordentenvorsteher Heinrich Löwer aus der letzten Sitzung ‚ausbügeln‘. So konstatierte er gegenüber Henning Köster, Stadtverordneter der Fraktion Marburger Linke, falsch gehandelt zu haben, als er diesem im November das Wort entzog und mit Auschluss drohte. Wie das Abhören des Sitzungsprotokolls ergeben hatte und von Löwer eingestanden wurde, war der Protest von CDU-Stadtverordneten gegen eine Äußerung von Köster (politische Zustimmung zu Hitler seitens der ‚Rechten‘ im Reichtstag 1933) unbegründet, bedeutete keine Herabsetzung für Angehörige des Marburger Parlaments. Nach dieser Richtigstellung sah sich der Stadtverordnetenvorsteher mit einem Geschäftsordnungsantrag von Reinhold Becker (Marburger Bürgerliste, früher SPD) konfrontiert. Becker sah die Rechte des Stadtparlaments missachtet, indem für die Tagesordnung das Sporthallen-Thema nicht berücksichtigt worden war. Rede und Gegenrede. Abstimmung und Ablehnung. Die Sitzung nahm ihren unrunden Fortgang.
Die Oppositionsfraktionen kamen schon vergrätzt aus vorherigen Ausschusssitzungen. So lagen von ihnen gleich vier Dringlichkeitsanträge auf dem Tischen im Sitzungssaal. Damit war das Thema Sporthallenneubau auf die Tagesordnung gezwungen. Oberbürgermeister Vaupel sah sich als Sportdezernent veranlasst länger als eine halbe Stunde Stellung zu beziehen. Eine seit Wochen geführte Kontroverse um die Priorität der Sanierung der Sporthalle der Richtsberg-Gesamtschule, verbunden mit 18monatiger Nichtbenutzbarkeit und Engpässen, erfuhr weitere und wiederholte Debatte.
Wie nicht anders zu erwarten, ließ sich die Rot-Grüne Mehrheit nicht ein auf Forderungen zum Vorabneubau einer Sporthalle. So wirkten bereits die Ausführungen von OB und Sportdezernent mitunter weitschweifig, was sie wohl auch sollten. Vaupel ersparte es den Stadtverordneten nicht, auf die teilweise niedrige Auslastung für sportliche Nutzung tauglicher Bürgerhäuser zu verweisen und berichtete von erfolgreichem Hallenmanagement andernorts, welches dort signifikante vorher verborgene Ressourcen aufgedeckt habe. Zwischenrufe und Gegenrede und schließlich Abstimmung mit Ablehnung des Dringlichkeitsantrages. Mehrfach hintereinander. Das kostete Zeit.
„Dass sie mit der Wahl so klein geworden sind, hat schon seinen Grund“ war vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Steffen Rink an die bürgerlichen Parteien gerichtet zu vernehmen.
„Die Debatte wäre sehr viel kürzer gewesen, wenn sie sie von vorneherein zugelassen hätten“ hielt Roger Pfalz von der CDU dagegen.
Es ging um Prinzipielles, sowas ist hartlaibig und gerne verstockt. So konnte sich das Stadtparlament erst mit zeitlicher Versetzung dem in vorhergehenden Beratungen erörterten Haushalt 2012 zuwenden, um ihn zu später Stunde mit den Stimmen der Rot-Grünen Mehrheit zu verabschieden.
Die Stadt Marburg geht mit einem verabschiedeten Haushalt in das Jahr 2012. Insoweit gibt es klare Verhältnisse von Anfang an, kann der Rot-Grünen Mehrheit kein Verzug vorhalten werden. 180 Millionen Euro lautet die Zahl im Ergebnishaushalt als Summe der sogenannten konsumptiven Ausgaben. Etwa 40 Millionen Euro will Marburg für Investitionen verausgaben. Trotz Veranschlagung von über 73 Millionen Euro Vereinnahmung von Gewerbesteuern ist der Haushalt für 2012 nicht ausgeglichen. Rund 20 Millionen Euro Kreditaufnahme, mithin zusätzliche Verschuldung, sind mit dem Haushalt 2012 beschlossene Sache geworden.
Neben inhaltlich unterschiedlichen Bewertungen der Parteien zu den Ausgaben, vor allem bei Nahverkehr, Energieerzeugung und Sporthallenbau, gab es Streit um die Neuverschuldung. In der Tat sind zuletzt bereits ‚teure‘ Haushaltsjahre bewältigt worden. Dazu gehörten sehr hohe Investitionen kofinanziert als Teile nunmehr abgeschlossener Konjunkturpakete. Die Mehrheit aus SPD und GRÜNE will die weiterhin Investitionen hoch halten und hat dafür eine stattliche Zahl von Projekten in Arbeit und in der Pipeline. Das summiert sich ebenso, wie die hohen laufende Ausgaben.
Im Haushaltsplan auf hunderten Seiten akribisch auflistet, summiert sich ein hohes Niveau städtischer Leistungen. Jährlicher Sockelbetrag dabei sind rund 44 Millionen Euro Personalkosten (mit Vorsorgeaufwendungen), bei denen sich Marburg jedoch im Vergleich zu anderen Sonderstatusstädten zurückhaltend und sparsam zeigt. Anders verhält es sich bei den sogenannten ‚freiwilligen Leistungen‘. Projektträger und Initiativen im Sozialbereich und im Kulturbereich sind kontinuierlich Empfänger von städtischen Leistungen in Höhe von mehreren Millionen Euro. Das kostet und erbringt den Menschen viele soziale und pädagogische Angebote und Leistungen, oftmals zum Ausgleich gekürzter Leistungen von Bund und Land. Im Kulturbereich erbringt die Förderung lebendige Angebote in vielen Spielstätten.
Zusammenfassend betrachtet wird mit dem Haushalt 2012 – vom Kämmerer wohlweislich mit ‚Unruhige Zeiten‘ überschrieben – in Marburg eine offenbare Grenzlage in den Finanzen erreicht. Die Situation ist unübersichtlich und widersprüchlich, was sich in der der Haushaltsdebatte gespiegelt hat. In der Mitte gewissermassen hantiert Rot-Grün mit satter Parlamentsmehrheit, guter Ertragslage und macht doch heftig neue Schulden. Die Marburger LINKE schlägt die Anhebung des Gewerbesteuerhebensatzes (zuletzt in 2008 von 400 auf 380 Prozent abgesenkt) vor und kann damit Millionen Euro Mehreinnahmen vorrechnen. Die bürgerlichen Parteien und Stadtverordneten wollen kürzen, machen dafür Vorschläge und kritisieren einen Marburger Schuldenhaushalt im noch ertragsstarken Haushaltsjahr 2012.
Der Haushalt für 2012 will eine hohe Investitionsquote aufrechterhalten, ohne diese aus Eigenmitteln der Stadt finanzieren zu können. Marburg erstmals wieder macht neue Schulden. Dabei werden Investitionsentscheidungen angegangen, ohne dass eine abgesicherte mittelfristige Finanzplanung dahinter steht. Aufkommende gesamtwirtschaftliche Risiken und und prognostizierter Abschwung kann 2012 und in Folgejahren auch Marburg erreichen.
Kritik am Schuldenmachen im Haushalt 2012 ist weder Ritual noch leeres Geschwätz. Wie sollen die zahlreichen und ambitionierten Entwicklungsprojekte in Marburg gestemmt sprich finanziert werden? Sanierung Stadthalle, Entwicklung Waggonhallengelände, Rudolphsplatzgestaltung mit Büchereineubau, Schaffung leistungsfähiger Nahverkehr, sind hier Stichworte. Der Haushalt 2012 setzt dafür keinen Massstab, gibt vielmehr Anlass zur kritischen Betrachtung. Insoweit ist die Diskussion um die Prioritätensetzung im Sportbereich – ob zuerst Neubau einer Sporthalle, wie von den Oppostionsparteien gefordert, oder zunächst Sanierung der Sporthalle am Richtsberg – eine offenbar notwendige Stellvertreterdebatte.