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Niedriglöhne als Armutsfalle für 90 Prozent der Minijobs

Marburg 201.2012 (pm/red) Während über die Einführung eines Mindestlohns weiter gefeilscht wird, preisen aktuell manche gewachsene Beschäftigtenzahlen. Zugleich schreitet materielle Verarmung für Millionen Menschen in Deutschland voran und es wird weit über die ‚Aufstocker‘ hinaus, das sind bereits 1,4 Millionen Berufstätige, längst und oftmals sogar tarifvertraglich vereinbart massenhafte Altersarmut für die Zukunft erzeugt. Teilnehmer in systematischen und legalisierten prekären Arbeitsverhältnissen sind sehr oft geringfügig Beschäftigte. Zur Entlohnung von Minijobbern legt die Hans-Böckler-Stiftung in den WSI Mitteilungen jetzt mehrere Untersuchungen vor: Minijobs sind oftmals Armutsfalle, und das mit gesetzeswidrigen Lohnabschlägen. 

Minijobberinnen und Minijobber werden vielfach systematisch geringer bezahlt als andere Beschäftigte – obwohl das verboten ist, lautet ein Ergebnis der Untersuchungen. Dabei lässt sich nachweisen, dass fast 90 Prozent der geringfügig Beschäftigten zu Niedriglöhnen arbeiten. Minijobs, in denen überwiegend Frauen arbeiten, werden von Unternehmen offenbar gezielt genutzt, um Personalkosten zu drücken. Besonders eklatant wird solche ‚Lohnpolitik‘ bei Lohnrückstand unter geringfügig Beschäftigten, die gleichzeitig Arbeitslosengeld II (ALGII) beziehen, entsteht. Dies sei ein starkes Indiz dafür, dass Arbeitgeber die ‚Aufstockung‘ durch Sozialleistungen bereits einkalkulieren bei ihrer Lohnfestsetzung.

Die drei neuen Studien zeigen auch, dass Minijobs nur selten eine ‚Brücke‘ in ordentliche Beschäftigung hervorbringen. Zudem treffe das verbreitete Bild der Minijobberin, die ’nur hinzuverdient‘ und über Einkommen und Sozialansprüche ihres Partners indirekt abgesichert ist, längst nicht immer zu. Ursprünglich gedacht, um Hausfrauen einen unkomplizierten Nebenjob zu ermöglichen, haben sich Minijobs stark ausgebreitet. Im Frühjahr 2011, so die aktuellsten Daten, war jedes fünfte Beschäftigungsverhältnis in Deutschland ein Minijob – insgesamt rund 7,3 Millionen. Für rund 4,8 Millionen Menschen, darunter 3,2 Millionen Frauen, stellte der Minijob die einzige Erwerbstätigkeit dar. Minijobbeschäftigte müssen selber keine Steuern und Sozialabgaben abführen, erwerben keine oder nur sehr geringe eigenständige Ansprüche an die Kranken-, Renten- oder Arbeitslosenversicherung.

Steuer- und abgabenrechtliche Privilegierung setzt einen ökonomischen Anreiz für Ehepaare, die Erwerbstätigkeit der Ehefrau auf den Minijob zu beschränken. Dagegen stellt das neue Unterhaltsrecht, die Aktivierungspolitik am Arbeitsmarkt oder die Hinterbliebenenversorgung auf eine möglichst umfangreiche Erwerbstätigkeit und eine eigenständige Existenzsicherung von Frauen ab. Diese sei im Rahmen geringfügiger Beschäftigung ausgeschlossen. Zugleich verschärfe die massenhafte Nutzung von Minijobs Probleme auf dem Arbeitsmarkt, weil Löhne und reguläre Beschäftigung unter Druck geraten.

Angesichts der beobachteten Fehlentwicklungen halten die Forscher diese steuer- und abgabenrechtliche Privilegierung von Minijobs für höchst fragwürdig. Um Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt zu beenden und drohende Lücken in der sozialen Sicherung zu vermeiden, sei eine Abschaffung des Sonderstatus für Minijobs unvermeidlich. Zudem wird für verbindliche Lohnuntergrenzen plädiert, um extreme Niedriglöhne zu verhindern.

Minijobs als Niedriglohnfalle
Minijobbende haben Anspruch auf die gleichen Bruttostundenlöhne wie in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. In der Praxis verdienen sie aber brutto weitaus weniger. 2009 arbeiteten rund 88 Prozent der Menschen, für die der Minijob die Hauptbeschäftigung bildet, für einen Niedriglohn. Das sind weniger als 9,76 Euro in Westdeutschland oder weniger als 7,03 Euro in Ostdeutschland. 58 Prozent der 1,2 Millionen Beschäftigten, die in Deutschland weniger als 5 Euro pro Stunde verdienen, arbeiten im Minijob.

So stellt sich der Verdacht, dass Arbeitgeber den Steuer- und Abgabenvorteil der Minijobs bei der Lohnfestsetzung zu ihren Gunsten nutzen. Ein Bruttolohn von 13,50 Euro pro Stunde bedeuten bei verheiratet, kinderlos, eingruppiert in Lohnsteuerklasse V, netto rund 7 Euro. Ein/e Minijobber/in müsste bei gleicher Tätigkeit brutto ebenfalls 13,50 Euro bekommen – würde diesen Betrag dann auch netto erhalten. In der Praxis verfahren Arbeitgeber nach der Maxime ’netto gleich brutto‘, im Beispielfall also mit 7 Euro brutto. Selbst bei 30 Prozent Pauschalabgaben für den Arbeitgeber ist es lukrativ sozialversicherungspflichtige durch geringfügige Beschäftigung zu ersetzen.

Für die große Mehrheit der geringfügig Beschäftigten wird der Minijob zur Niedriglohnfalle. Je mehr Unternehmen sie als Schlupfloch zur Reduzierung der Personalkosten nutzen, desto weniger Chancen auf vollwertige Beschäftigung bleibt Arbeitnehmer/innen. Das gilt insbesondere im Handel, dem Gast- und dem Reinigungsgewerbe, wo Minijobs bereits 40 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse ausmachen, findet sich in der Studie belegt.

Minijobs als Teil eines prekären Erwerbsverlaufs
WSI-Forscherin Christina Klenner und ihre Co-Autorin Tanja Schmidt bestätigen: Lediglich neun Prozent der geringfügig Beschäftigten wechseln in ein Normalarbeitsverhältnis. Ein dringendes Interesse an einem Job mit längerer Arbeitszeit und höherem Verdienst dürften jedoch weitaus mehr Personen haben, zeigt die Untersuchung der Wissenschaftlerinnen. Sie haben die Lebensverhältnisse von erwerbstätigen Frauen von 2001 bis 2007 anhand von SOEP-Daten nachgezeichnet und konnten Erwerbsverlaufsmuster identifizieren.
Mehr als ein Viertel der untersuchten Gruppe leben ‚diskontinuierlich-prekäre‘ Erwerbsverläufe, bei denen Minijobs eine wichtige Rolle spielen.Viele von ihnen sind niedriger qualifiziert und leben in einem Haushalt mit sehr geringem Gesamteinkommen.

Originalpublikationen: Dorothea Voss, Claudia Weinkopf: Niedriglohnfalle Minijob; Irene Dingeldey, Peter Sopp, Alexandra Wagner: Governance des Einkommensmix: Geringfügige Beschäftigung im ALG II-Bezug; Christina Klenner, Tanja Schmidt: Minijobs – riskante Beschäftigungsform beim normativen Übergang zum ‚Adult-Worker-Model‘. In: WSI Mitteilungen, Heft 1/2012.

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