Einstimmige Stellungnahme zur Situation am Universitätsklinikum Gießen-Marburg vom Senat – Dramatische Folgen der Privatisierung des Uni-Klinikums beklagt
Marburg 20.3.2012 (pm/rd) In seiner Sitzung am 19. März hat der Senat der Philipps-Universität Marburg zur aktuellen Situation am Universitätsklinikum Gießen-Marburg (UKGM) einstimmig eine umfangreiche Resolution beschlossen. Diese wird unterstützt wird vom Personalrat, der Zentralen Frauenbeauftragten, dem Vorstand des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) und der Fachschaftenkonferenz (FSK). Nach der Großdemonstration am 17. März kommen damit von der Philipps-Universität Aussagen zur kritischen und der zugespitzenden Lage, die es an Deutlichkeit nicht fehlen lassen. Die Resolution wird hier wörtlich veröffentlicht:
„Der Senat der Philipps-Universität Marburg verfolgt und begleitet die Fusionierung mit dem Uni-Klinikum Gießen und die anschließende Privatisierung durch einen börsennotierten Konzern von Anbeginn mit großer Aufmerksamkeit. Der Senat stellt mit Bedauern fest, dass viele seiner Befürchtungen bestätigt und die negativen Auswirkungen auf das Klinikum und die Universität immer deutlicher werden.
Kostensenkungen von bis zu 10 Mio. € im laufenden Jahr gefährden die Universitätsmedizin in Mittelhessen in ihrer Substanz. Es kann nicht beruhigen, dass die Rhön Klinikum AG vom Stellenabbau aktuell teilweise abrückt.
Bereits in der primären Entscheidung, die Gemeinnützigkeit aufzugeben, die Krankenversorgung aus der Einheit in einer Uniklinik von Krankenversorgung, Forschung und Lehre heraus zu veräußern und an einen im 3-Monats-Rhythmus auskunftspflichtigen börsennotierten Konzern zu verkaufen, ist nach Ansicht des Senates der Philipps-Universität der Keim zum Scheitern des gesamten Projektes gelegt worden.
Nur durch das reibungsarme oder reibungslose Zusammenspielen von Krankenversorgung und Forschung ist medizinischer Fortschritt zu erzielen. Eine Universitätsklinik hat die gesamte Strecke von ‚bench to bedside’ abzudecken. Das Herausschneiden des Krankenversorgungsaspektes und die Unterwerfung der Krankenversorgung unter ein striktes Wirtschaftlichkeit- bzw. Kostenmanagement sowie die Abhängigkeit von unrealistischen Gewinnvorgaben lassen eine gedeihliche Entwicklung einer Universitätsklinik nicht zu.
Universitäre Medizin kann sich nur erfolgreich und gedeihlich entwickeln, wenn Kontinuität und Langfristigkeit gewährleistet sind und hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter engagiert und kontinuierlich ihrer Arbeit nachgehen können. Ein Konzept, jede zu verlängernde Stelle auf den Prüfstand zu stellen und ggf. nicht zu verlängern, unabhängig davon, welches Aufgabengebiet der Stelleninhaber und die Stelleninhaberin wahrnimmt, ist für eine Universitätsklinik komplett ungeeignet.
Das Beispiel der vorerst gescheiterten Partikeltherapie zeigt mangelndes Verständnis für die universitäre Medizin, die gelegentlich noch ungesicherte Therapien unter ethischen Vorgaben testen muss und damit wirtschaftliche Risiken eingeht.
Ein Wechsel in der Geschäftsführung im einstelligen Monatsrhythmus ist kontraproduktiv und wird der komplexen Struktur einer Universitätsklinik bei weitem nicht gerecht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universitätsklinik sind die wichtigste Ressource des Universitätsklinikums, ohne deren engagierte Arbeit der Betrieb nicht aufrecht erhalten werden kann. Hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Kostenfaktor zu betrachten und möglichst schnell zu reduzieren, zeigt, wie weit weg dieser börsennotierte Konzern von der Chance ist, eine Uniklinik wirtschaftlich zu führen und erfolgreich Medizin betreiben zu lassen.
Tätigkeiten im Rahmen des Fachbereichs Medizin und des Klinikums machen eine klare Trennung der Aufgaben in Forschung, Lehre und Krankenversorgung kaum möglich. Mit der Privatisierung wird eine solche rechnerische Trennung aber erforderlich, um eine Quersubventionierung des privaten UKGM durch die öffentliche Hand auszuschließen. Wir fordern die Geschäftsführung des UKGM auf, entsprechende Zahlen zur Verfügung zu stellen, um Kontrollrechnungen durchführen zu können, die verhindern, dass öffentliche Gelder in ein kommerzielles Unternehmen der Krankenversorgung abfließen.
Die von den Senaten der Philipps-Universität Marburg und der Justus-Liebig-Universität einhellig befürchtete Abwärtsspirale bei der Einwerbung von qualifiziertem Personal wird faktisch noch verschärft durch das monatelange Verzögern von Entscheidungen: Dieses ist geeignet, hochqualifiziertes Personal zu vertreiben und Berufungen scheitern zu lassen.
Die vom Land initiierte Mediation erscheint dem Senat der Philipps-Universität wenig hilfreich zu sein. Der Senat übt keine Kritik an den ausgewiesenen Persönlichkeiten. Sie dürften von den Abläufen und den Bedürfnissen eines hochkomplexen Universitätsklinikums allerdings wenig verstehen. Zur Lösung der Sachfragen ist daher die bestehende Expertise in den Kliniken zu beteiligen.
Die Reduktion der Universitätsklinik zu einem Krankenhaus (dies entspricht dem der Uniklinik aufoktroyierten Stellenschlüssel) lässt den Senat der Philipps-Universität mit großer und wachsender Sorge auf die Zukunft einer vernünftigen Medizinerausbildung blicken.
Der Senat der Philipps-Universität Marburg unterstützt das Präsidium und insbesondere die Präsidentin nachdrücklich und dauerhaft dabei, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um Schaden von der Universität und weitergehenden Schaden von dem Klinikum der Philipps-Universität abzuwenden.“