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Inklusion als umfassende Aufgabe ist nicht umsonst zu haben

Marburg 17.4.2012 (pm/red) Inklusion als pädagogischem Ansatz, insbesondere in der Schule, liegt als wesentliches Prinzip die Wertschätzung einer Vielfalt in der Bildung und Erziehung zu Grunde. Dies gilt etwa für gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Kindern oder für solche aus verschiedenen sozialen Milieus. Inklusion beschäftigt in dieser Woche den Schul- und Kulturausschuss mit einem Berichtsantrag an den Magistrat zum Stand der Inklusion an Marburger Schulen und Kindertages-einrichtungen. So kann ein Blick auf die Entwicklung im größeren Zusammenhang den Stellenwert veranschaulichen. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt, dass der Anteil der inklusiv unterrichteten Förderschüler im Schuljahr 2010/2011 um mehr als zehn Prozent gestiegen ist. Für eine Umsetzung der Inklusion brauchen Schulen zusätzliche Lehrer, womit zugleich höhere Geldmittel verbunden sind.
Deutschlands Schulen brauchen fast 10.000 Lehrer mehr als heute, wenn die Schulsysteme aller Bundesländer innerhalb des kommenden Jahrzehnts auf Inklusion umgestellt werden sollen. Zwar könnten dann die meisten Förderschulen geschlossen werden, wodurch Gelder und Stellen frei würden. Unter dem Strich allerdings entsteht ein zusätzlicher Finanzbedarf von rund 660 Millionen Euro pro Jahr. Das hat Bildungsökonom Prof. Klaus Klemm im Auftrag der Bertelsmann Stiftung errechnet.

Hessen ist im Ländervergleich eines der Schlusslichter bei der Inklusion. Nur 14,8 Prozent der Förderschüler besuchen reguläre Schulen – bundesweit sind es 22,3 Prozent. So ermittelt die Studie, dass gemeinsamer Unterricht von behinderten und nicht-behinderten  Kindern in Hessen 27 Millonen Euro zusätzlich kosten würde.

Während im Schuljahr 2010/2011 bundesweit bereits 22,3 Prozent der verhaltensauffälligen, lern- oder körperbehinderten Schüler eine reguläre Schule besuchten, waren es in Hessen lediglich 14,8 Prozent. Allerdings steigt auch in Hessen der Inklusionsanteil. Ein Jahr zuvor waren lediglich 12,3 Prozent der Förderschüler inklusiv unterrichtet worden.

Deutschland hat sich verpflichtet, Kinder mit und ohne Förderbedarf künftig gemeinsam zu unterrichten. Die Abkehr vom derzeitigen Sonderschulsystem schreibt eine UN-Konvention vor, die am 26. März 2009 in Kraft trat. Besonderen Förderbedarf haben in Deutschland rund eine halbe Million Schüler. Dies sind 6,4 Prozent der gesamten Schülerschaft. In Hessen ist die Förderquote geringer. Hier haben 5,2 Prozent der Schüler (29.631) besonderen Förderbedarf.

Der bundesweite Trend zeigt ebenso wie in Hessen steigende Inklusionsanteile, allerdings auf weit höherem Niveau. Im Schuljahr 2010/2011 ist der Anteil der Schüler mit Förderbedarf, die keine separate Förderschule besuchen, gegenüber dem Vorjahr von 20,1 auf 22,3 Prozent gestiegen. Spitzenreiter bei der Inklusion ist Schleswig-Holstein. Hier gehen 49,9 Prozent aller lern- oder körperbehinderten Schüler auf eine reguläre Schule. Auch Berlin und Bremen weisen einen Inklusionsanteil von mehr als 40 Prozent auf. Weniger Förderschüler als in Hessen werden nur noch in Niedersachsen (8,5 Prozent) inklusiv unterrichtet.

„Inklusion wird mittelfristig zur Normalität an deutschen Schulen. Das stellt die Schulen vor riesige Herausforderungen, die sie nur mit genügend gut ausgebildetem Personal bewältigen können“, sagte Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung. Begrüßenswert sei der Grundgedanke der Inklusion auch, weil auf einer Förderschule die Aussichten auf einen Schulabschluss nur gering sind. Über 75 Prozent der Förderschüler, die separat unterrichtet werden, erlangen nicht den Hauptschulabschluss. „Der vermeintliche Schutzraum hat sich für viele als Isolationsfalle entpuppt“, sagte Dräger. Wenn das Ziel erreicht werden solle, die Zahl der Hauptschulabbrecher in Deutschland zu halbieren, führe der Weg nur über eine Reform des Sonderschulsystems.

Umstritten war bislang, welche personelle Ausstattung inklusive Schulen benötigen, um alle Kinder angemessen zu fördern. Mit der neuen Studie der Bertelsmann Stiftung liegt nun erstmals eine Berechnung vor, die den konkreten Bedarf benennt. Für Hessen würde ein Umbau des Schulsystems auf Inklusion vergleichsweise günstig, weil aufgrund sinkender Schülerzahlen im kommenden Jahrzehnt eine erhebliche demographische Rendite zu erwarten ist. Trotzdem bliebe unter dem Strich ein Mehrbedarf von 380 Lehrern. Umgerechnet bedeutet das im Vergleich zum Schuljahr 2009/2010 zusätzliche Kosten von jährlich rund 27 Millionen Euro, die in voller Höhe ab dem Schuljahr 2020/21 anfallen. In seiner Berechnung geht Prof. Klemm davon aus, dass die bisherige Förderung der behinderten und verhaltensauffälligen Kinder vom Umfang her künftig auch in Regelschulen geleistet wird.

„Inklusion ist notwendig und bezahlbar. Aber sie wird dort scheitern, wo Länder sie als Sparmodell betrachten“, sagte Dräger. Das Geld und die Stellen, die an bisherigen Förderschulen frei werden, seien nicht ausreichend, sofern der Umfang der Förderung nicht reduziert werden soll. Eine hinreichende Personalausstattung der Schulen mit Lehrern, Sonderpädagogen, Psychologen und Therapeuten sei – neben dem durchgängigen pädagogischen Prinzip der individuellen Förderung – die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg und die Akzeptanz von Inklusion. Umfragen der Bertelsmann Stiftung in jüngerer Zeit hatten gezeigt, dass bei Lehrern und Eltern die Skepsis gegenüber Inklusion nach wie vor groß ist. „Nur wenn alle Schüler vom gemeinsamen Lernen profitieren, wird inklusiver Unterricht den nötigen Rückhalt erfahren“, sagte Dräger.

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