Windräder, Wohnungsbau und Stadtgestaltung im Marburger Stadtparlament
Eine Betrachtung von Hartwig Bambey
Marburg 1.7.2012 In der vergangenen Stadtverordnetenversammlung wurde lebhaft diskutiert. Bei den verhandelten Themen Windkraftnutzung, Wohnungsbau in der hochpreisigen Universitätsstadt und Stadtgestaltung ist das angezeigt, zugleich waren Eigentümlichkeiten unüberhörbar und provozieren vertiefende Betrachtung.
Laue Lüfte aber der Koalitionsvertrag will 12 Windräder
In der Koalitionsverbarung zwischen SPD und Grünen ist der Bau von 12 Windrädern festgeschrieben. Das kann sich als Problem erweisen, denn im Stadtgebiet von Marburg lassen sich nicht besonders ergiebige Lagen ausmachen. Dazu werden Bedenken aus den östlichen Stadtteilen parteiübergreifend formuliert. Beschlossen ist nunmehr, dass an den vier möglichen Standorten zunächst einmal Windmessungen erhoben werden sollen. Das kostet Zeit und Geld und wirft daher Fragen auf. So artikuliert Matthias Range für die CDU gar die Forderung über einen Zeitraum von zwei Jahren zu messen. Hermann Uchtmann von der MBL ist mit der Anmeldung der vier Standorte für den kommenden Teilregionalplan Energie einverstanden, lehnt jedoch teure Windmessungen als Vorleistung ab. Er verweist auf kommende Veränderungen und Engagements beim Verkauf der EON Mitte, wo Marburg finanziell gefordert sein könnte. Neben Horst Wiegand aus den Reihen der SPD als Kritiker der Windkraftpläne der Grünen lässt sich in der größeren Koalitionspartei darüber hinaus Skepsis ausmachen. Wozu jetzt Windkraftmessungen? lautet die Frage. Diese freilich wird nicht in die Stadtverordnetenversammlung getragen. So ist die Feststellung von Johanna Busch, dass „sich die Bürgerlichen mit der Windkraft schwertun“ durchaus zutreffend. Allerdings, und das wurde in der Junisitzung des Marburger Stadtparlaments deutlich, machen sich viele Zweifel an der Standorteignung und nicht an der Windkraftnutzung als solcher fest.
Wäre diese gegeben, müssten keine teuren und zeitaufwendigen Windmessungen gemacht werden! Dass die Diskussion vor solchem Hintergrund lebhaft wurde und Wahrnehmungen möglich machte, die Skeptiker seien Gegner der Windkraft, ergibt sich aus der eigenen Positionierung bei den Grünen.
Was werden denn die Marburger Grünen entscheiden, wenn die Windmessungen ungünstige Werte ergeben sollten?
Wird dann die Koalitionsvereinbarung ganz oder teilweise hinfällig?
Werden sich die Grünen dann anderen Themen, wie aktuell dem Fahrradfahren, zuwenden?
Oder setzen sich in Marburg Positionen durch, die bei der Energiewende ökonomisches Denken – mithin Bau von Windstromanlagen an ergiebigen Lagen in der Region – einfordern?
In Gestalt der Stadtwerke kann die Stadt bei Windkraftprojekten an anderen Orten dabei sein.
Halbherzige Initiative der Marburger Linke für preiswerten Wohnraum
An einigen Standorten gibt es in Marburg von Investor(en) getragenen Wohnungsbau. Im Zuge der Konversion von ehemaligen Bahnflächen entstehen nördlich des Hauptbahnhofs rechts und links der Gleisanlagen neue Wohnungen, entsprechendes Baurecht wird geschaffen. Ebensolches soll auf dem Gelände der Vitos-Klinik an der Cappeler Straße des Landeswohlfahrtverbandes geschehen. Dazu hatte die Marburger Linke in einem Antrag formuliert, die Stadt solle dort Flächen für zu bauende Sozialwohnungen erwerben. Nach Diskussion wurde dieser Antrag zurück genommen. Merkwürdig waren dabei die Argumente, weil unzutreffend. Stadtverordnete Sonja Sell (SPD) behauptete, dass auch mit dem Bau von Wohnungen seitens privater Investoren der Wohnungsmarkt entlastet würde. In pauschaler Betrachtung mag dies in dem Verständnis von Frau Sell zutreffen.
Doch entsteht bei Neubauwohnungen von Investoren alles andere als preisgünstiger Wohnraum. Dies zeigen alle bereits umgesetzten Projekte, ob sogenannte Campusanlagen, Neubau in der Savignystraße, Am Schwanhof oder ganz aktuell Am Grün. Dass von einer SPD-Stadtverordneten die kühne Behauptung aufgestellt wird, teure Neubauwohungen würden auch im Bereich der Sozialwohungen Entlastung schaffen, ist eine – wenn auch abwegige – Sache. Dass sich die Marburger Linke jedoch von solcher Betrachtung beeindrucken und in die Irre führen lässt, muss moniert werden.
Zutreffend wurde in der Diskussion angemerkt, dass von Bund und Land zu wenig oder gar nichts mehr im Bereich Sozialer Wohnungsbau geleistet wird. Die Folgen davon treffen auch Marburg. Damit wird zumindest indirekt der Bedarf zur Schaffung von preisgünstigem Wohnraum anerkannt. Insofern war der Antrag der Marburger Linke schlüssig, die Stadt möge sich dafür engagieren. Diesbezüglich sei erinnert, dass die städtische GeWoBau gerade ein millionenschweres Investitionsvorhaben am Marburger Bahnhofsgebäude leistet. Wohnungen entstehen dort keine!
So wird interessant sein zu verfolgen, ob die Marburger Linke ihre halbherzige Initiative für preiswerten Wohnraum per Neubau wieder aufgreift. Der Umfaller aktuell lässt das erst einmal nicht erwarten. Wahrscheinlich muss erst noch viel größerer Mangel entstehen, was im Zuge von energetischen Sanierungen an Wohnungsbeständen mit anschließenden Mieterhöhungen vor der Tür steht.
Kein Verständnis für Stadtplanung – ein Gestaltungsbeitrat soll es richten
Es wird sehr viel geplant und gebaut in der Stadt. Gewerbeobjekte, Universitätsgebäude, Wohnungen und Straßen. Marburg erlebt innerhalb eines Jahrszehnts eine gravierende Umformung und Veränderungen, die das Bild der Stadt, ihre soziales und kulturelles Leben und die städtebaulichen Kontexte deutlich transformieren. Ein viel diskutiertes Phänomen dabei ist stets auf´s Neue das Erscheinungsbild von einzelnen Gebäuden und Bauwerken. Ob eklatante Architektursünden bei den Einkaufsmärkten am Erlenring, Gestaltung der Neubauten der DVAG oder kleinere Baumassnahmen. Die Zahl der Kritiker und Kritikaster ist jedesmal groß. Das muss nicht schlecht sein, im Fall der Planung eines Appartementhauses Am Grün war die Kritk verhindernd erfolgreich. Zugleich fehlt es am Blick auf das Ganze, ist die Disziplin Stadtplanung und Städtebau in Marburg verkümmert.
Ein neuer Gestaltungsbeitrat soll es jetzt richten. Dafür wurde eine neue Satzung entwickelt. Mit dieser Setzung von erweiterten Rahmenbedingungen sind jetzt fünf neue Mitglieder berufen worden. Das ist noch einmal zum Gegenstand kontroverser Diskussion geworden, nachdem die IG MARSS Kritik artikuliert hatte. Die Satzung war dabei langwierig entwickelt worden, dabei – und hier kann man OB Vaupel zustimmen – sind Anregungen aufgenommen worden und haben zukünftig Geltung. Schlußendlich blieb die Auswahl der neuen Mitglieder strittig. Von der IG MARSS war dazu die profilierte Architekturkritierkin Ira Mazzoni vorgeschlagen. Sie ist nicht berufen worden. Die Erörterung ihrer Ablehnung konnte befremden. Da haben nun wirklich ‚Blinde über die Farbe diskutiert‘ und überwiegend ‚im Nebel gestochert‘. Zutreffend wäre alleine, dass Ira Mazzoni über alle Maßen qualifiziert ist – und deswegen in Marburg überqualifiziert wäre. Wenn Unkenntnis und Ignoranz von Stadtverordneten so weit gehen, einer bundesweit anerkannten Expertin die Qualifikation absprechen zu wollen, wird es schmerzhaft peinlich. Das ist geschehen.
Einordnen und zuordnen lässt sich solch Gebaren als Umfeld einer provinziell bornierten Stadt, in der es keinen städtebaulichen Diskurs gibt.
Das ist ein großes Defizit und kann nicht ohne Folgen bleiben. Der neue Gestaltungsbeirat und seine Mitglieder eignen sich jedenfalls nicht dafür – weil in jeweils objektbezogener Beauftragung –
die Mängel im Gesamtverständnis von Stadt(entwicklung) kompensieren zu sollen. Das kann nicht gelingen.
Investoren, der Universität und bestimmten Akteuren bei der Stadt mag der vorhandene Mangel in Marburg angelegen sein.
Eine zukunftsorientierte Stadt lässt sich damit nur schwer und mangelbehaftet verwirklichen.