Zur Zukunft des UKGM – Bettina Böttcher am 30. Juli 2012 in der Elisabethkirche in Marburg
Marburg 3.8.2012 (red) In der Marburger Tageszeitung gibt es nach Veröffentlichung von bedrückenden Zeugnissen aus dem Pflegebereich des Uniklinkums zahlreiche Leserbriefe. Darin werden die Beschwerden, Probleme und Aussagen der des /der anonym an die Öffentlichkeit getretenen Krankenpflegers/Krankenpflegerin bestätigt. Währenddessen gehen trotz Sommerferien in der Elisabethkirche die gesundheitspolitischen Montagsgebete weiter. Zuletzt hat dort Bettina Böttcher als Betriebsratsvorsitzende am Standort Marburg des UKGM gesprochen. das Marburger. veröffentlicht nachstehend die klaren Worte dieser Ansprache vom 30. Juli 2012:
Es ist eine besondere Ehre und Freude für mich, hier in der Elisabethkirche gemeinsam mit Ihnen, für eine Gesundheitspolitik der Menschlichkeit und für unser Uni-Klinikum einzutreten und somit Flagge zu zeigen. Ich möchte mich bei den Kirchenvertretern herzlichst bedanken, dass Sie das Montagsgebet möglich machen, hier in der geschichtsträchtigen Elisabethkirche.
Es ist 5 nach 12!
Wir müssen uns auf die Werte besinnen, die eine Gesellschaft ausmachen, was sie prägt und ihr Gestalt verleiht. Freiheit, Verantwortung, Gerechtigkeit und Toleranz. Auf die Rechtstaatlichkeit, damit die Welt nicht dem Gesetz des Stärkeren unterliegt. Auf die Wahrheit, die nicht Vorteilen und Interessen geopfert werden darf. Unsere Fähigkeit zur Verantwortung ist somit nicht etwas, das durch Philosophen, Politiker oder Geistliche quasi von außen in unser Leben hineingebracht wird, sie gehört vielmehr zum Grundbestand des Humanums. Wir verlieren uns selbst, wenn wir diesem Prinzip nicht zu folgen vermögen.
Aber irgend etwas ist grundsätzlich falsch an der Art und Weise, wie wir heutzutage leben. Wir verherrlichen eigennütziges Gewinnstreben. Wenn unsere Gesellschaft überhaupt ein Ziel hat, dann ist es die Jagd nach dem Profit. Wir wissen, was die Dinge kosten. Aber wir wissen nicht, was sie wert sind. Bei einem Gerichtsurteil oder einem Gesetz fragen wir nicht, ob es gut ist. Ob es gerecht und vernünftig ist. Ob es zu einer besseren Gesellschaft, zu einer besseren Welt beitragen wird. Darum müssen wir uns auf unsere Bürgerrechte besinnen, dass wir uns die Freiheit nehmen, unbequem zu sein und Fragen zu stellen. Die Gesellschaft muss politische Entscheidungen in Frage stellen dürfen, auch wenn es keine einfachen Antworten gibt. Das erfordert Mut zur Verantwortung!
Denn der Turbokapitalismus mit seinem rücksichtslosen Streben nach Effizienz und Optimierung ist verantwortungslos und nicht lebenswert. Diesem krisenanfälligen und auf den Profit ausgerichteten System muss mit einem durch Stabilität und Nachhaltigkeit geprägten Modell, einer menschlichen Ökonomie entgegen getreten werden. Zeigen wir Verantwortung und nicht Gleichgültigkeit. Halten wir es mit Berthold Brecht: „Schwierigkeiten werden nicht dadurch überwunden, dass sie verschwiegen werden.“
Mit unserem gesundheitspolitischen Montagsgebet demonstrieren wir, dass wir unser Bürgerrecht wahrnehmen und über den Tag hinaus denken. Denn vor unserer Haustüre spielt sich ein Poker von Kapitalinteressen ab. Einsatz ist das Uni-Klinikum! Dem können wir nicht tatenlos zusehen! Denn den Preis zahlen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Patientinnen und Patienten und nicht zuletzt die Lehrenden und Lernenden. Wir können nicht länger stillhalten und zusehen, wie unsere Krankenhäuser zu industriellen Fabriken verkommen.
Politiker dürfen sich in ihrem Handeln nicht hinter dem Argument des Kostenfaktors verstecken. Es ist keine Utopie, wenn wir eine Wirtschaftsordnung einfordern, die menschengerecht ist.
Darum wollen wir nicht nur das gravierende Fehlverhalten der ökonomischen Akteure kritisieren. Sondern wir müssen handeln, um eine ethische Perspektive zu gewinnen. Das bedeutet: eine Alternative, die aufzeigt, wie eine auf moralischen Werten basierende Wirtschaftsordnung in der heutigen Gesellschaft aussehen muss. Es muss sich etwas verändern.
Darum darf es kein ‚Weiter so‘ an unserem Uni-Klinikum unter den jetzigen Rahmenbedingungen mit Stellenabbau, unerträglicher Arbeitsdichte, Einschränkung von Lehre und Forschung geben. Denn Führungsverantwortung kann in einem Unternehmen nicht nur Ergebnisverantwortung heißen! Eine verantwortliche Funktion wahrzunehmen beinhaltet die Forderung, mit der eigenen Macht über andere verantwortlich umzugehen. Die ethischen Schlüsselbegriffe sind Loyalität und Respekt.
Solange Beschäftigte sich nicht als Menschen behandelt fühlen und man die Berufsgruppen in Leistungskategorien unterteilt in so genannte patientennahe und -ferne Bereiche, vermissen sie den notwendigen Respekt. Es gibt keine Zweiklassen- oder gar Mehrklassen-Berufsgruppen! Jedes Rädchen greift ins andere, das gilt vom Chefarzt bis zur Reinigungskraft.
Ich nehme mir die Freiheit zu sagen: Lassen Sie uns solidarisch für unsere Werte in der Gesellschaft eintreten. Wir brauchen mehr als Gewinn – und Verlustrechnungen. Die Christen nennen es Nächstenliebe. Die Arbeiterbewegung nennt es Solidarität und Martin Luther King – Compassion. Es gibt unterschiedliche Begriffe. Ich nenne es Mörtel, denn wir sind der Mörtel, der die Steine zusammen hält, damit das Haus den Sturm übersteht. In dem wir gemeinsam für unser Uni-Klinikum Flagge zeigen, fordern wir Rahmenbedingungen für eine menschenwürdige Gesundheitspolitik. Erich Kästner sagte dazu „Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird!“
Ich möchte mich im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen bei Ihnen allen für die große Welle der Solidarität und Unterstützung bedanken. In diesen schwierigen Zeiten ist es wichtig zu wissen, dass man mit seinen Sorgen und Nöten nicht alleine ist. Dass es viele Menschen gibt, die zu uns halten. Zum Schluss möchte ich Ihnen noch den Sommerpsalm von Hanns Dieter Hüsch vorlesen, den ich im Buch von Margot Käßmann ‚Mit Herzen, Mund und Händen‘ gefunden habe.
„Im Übrigen meine ich,
dass Gott, unser Herr,
uns einen großen Sommer schenke.
Den Familien einen Korb voll Ruhe
Und viele hoffnungsvolle Blicke auf grün und blau.
Wiesen und Wasser und weiße Strände.
Leise Monate.
Dass er das Geschrei aus der Welt nimmt
und Stille verordnet.
Dazu gehört, dass er den Kriegern das Handwerk aus den Händen nimmt.
Und denen, die ohne Arbeit sind, die Hoffnungslosigkeit.
Und die Mächtigen nicht zu Mafiosi werden lässt.
Alle können wir daran mittun und daran arbeiten,
dass das Leben langsamer verläuft,
dass die Welt alle Aufregung verliert.
Und die Menschen sich länger ansehen können,
um sich zu sagen: Wir lieben Euch!
Gott, unser Herr, möge diese Stille segnen.
Möge diese Stille denen überall in die Ohren blasen,
die unsere Zeit noch schneller machen möchten
und damit noch kürzer, noch atemloser.
Gott, unser Herr, wir bitten Dich: Mach es!
Auf dass unser Herz wieder Luft schnappen kann,
unser Auge aufhört zu zappeln
und unser Ohr wieder richtig hört
und nicht alles vergisst.
Denen, die uns dies alles austreiben möchten,
möge Gott, der Herr, einen Blitz ins Gesäß jagen,
damit sie ihr unmenschliches Tun einsehen
und die Menschen seines Wohlgefallens in Ruhe lassen.
Und wir wollen unseren Herrgott abermals bitten,
dieses Ansinnen von uns und überall zu segnen.
Und weil es sein muss sofort und immerdar!
Und ich füge hinzu Gott gebe uns nicht nur Vertrauen, sondern auch die Kraft, weiterhin auch in Verantwortung zu handeln und aktiv zu bleiben. Danke und Amen.