Über Eingriffe in die Natur im Anthropozän
Marburg 16.8.2012 (pm/red) Globale Erwärmung, Überdüngung von Ökosystemen, Ausrottung von Tieren und Pflanzen und Ausbreitung von nicht-einheimischen Organismen. Das sind nur einige Beispiele dafür, wie Menschen die physikalischen, chemischen und biologischen Bedingungen auf der Erde verändert haben. Diese Eingriffe verändern die Natur in einem Ausmaß, das Wissenschaftler veranlasst, von einem neuen geologischen Zeitalter zu sprechen: dem Anthropozän – dem Zeitalter der menschengemachten Natur. Wissenschaftler befassen sich mit dieser ‚ökologischen Neuartigkeit‘ von Montag bis Mittwoch, 27. bis 29. August, auf einer Konferenz im Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld.
Die Natur- und Sozialwissenschaftler aus Deutschland, der Schweiz und den USA versuchen zu verstehen, welche dieser menschengemachten Umweltveränderungen die gesellschaftlichen Entwicklung beeinträchtigen und wie die Natur gestaltet werden kann, ohne ihr zu schaden. Die Forscher diskutieren daher, wie sich problematische Naturveränderungen ausgleichen oder rückgängig machen lassen. Dabei steht ihnen die ökologische Neuartigkeit im Weg. Denn sie bedeutet, dass aktuelles ökologisches Wissen nur begrenzt gültig ist – eben, weil es für die aktuellen Fälle von Umweltveränderungen keine historischen Beispiele gibt. Zentrale Frage der Konferenz ist daher: Wie sind verantwortungsbewusste Eingriffe in die Umwelt möglich, wenn verlässliches Wissen über die Folgen fehlt und Nicht-Handeln ebenfalls problematisch ist?
Beispiele für ökologische Sanierung sind die Wiederansiedlung von vertriebenen Pflanzen und Tieren, die Erneuerung von Erdböden, die Vernichtung giftiger Substanzen und das Aufreißen von Straßen, so dass sie von der Natur zurückerobert werden können. Waldbrände und Wasserfluten haben mitunter ebenfalls ökologische Funktionen, indem sie Landstriche mit Nährstoffen versorgen. So verhindern zum Beispiel künstliche Begradigungen von Flüssen, dass regelmäßiges Hochwasser angrenzende Felder überschwemmt und Schlamm als natürlichen Dünger zurücklässt. In solchen Fällen könnte ein Rückbau sinnvoll sein – und gleichzeitig riskant, weil sich nicht berechnen lässt, welche nicht gewollten Schäden er anrichtet.
„Es geht uns um das Spannungsfeld zwischen Vorsorgeprinzip und Realwelt-Experiment“, sagt der Leiter der Tagung, Dr. Christoph Küffer von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Derzeit dominiert in der europäischen Umweltpolitik die Vorsorge: Belastungen und Schäden für die Umwelt sollen im Voraus vermieden werden. Damit haben Versuche mit neuen Eingriffen in die Natur, die Anpassungen an ökologische Neuartigkeit ermöglichen sollen, geringe Chancen. Die Teilnehmer der Konferenz sprechen über die Ethik von Interventionen in Ökosystemen. Außerdem greifen sie auf, welche Möglichkeiten es gibt, Ökosysteme zu ‚designen‘.