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Vom Umgang mit Tabu-Thema ‚Pflege der Eltern im Alter‘

Marburg 15.8.2012 (pm/red) Wenn es um die Pflege der Eltern im Alter geht, stecken viele Familien vor diesem Tabuthema den Kopf in den Sand. Für die Kindergeneration ist die Pflege der Eltern oft schwierig. Eigener Beruf, eigene Kinder, Leben in einer anderen Stadt, für die Pflege ungeeignete Wohnungen – es gibt viele und oft gute Gründe das Thema zu vertagen. Darum hat die Professorin für Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke (UW/H) mit Studierenden der Mathias-Hochschule in Rheine eine nicht repräsentative Umfrage gestartet: Warum wird nicht über Pflegebedürftigkeit gesprochen und wie kann man das familiäre Schweigen lockern?

Für die Elterngeneration, so fanden die Studierenden nun im eigenen Umfeld heraus, liegen die Gründe anders. Die Angst vor einer Antwort wie „ich kann dich nicht pflegen“ führt dazu, nicht darüber sprechen zu wollen. Viele wollen den Kindern „nicht zur Last fallen“, hoffen aber, dass es kurzfristig eine passende Lösung gibt, „wenn es soweit ist, regelt sich das schon“, sagten viele Ältere. „Es ist erstaunlich, dass man bei so wichtigen Lebensentscheidungen vieles dem Zufall überlässt. Normalerweise möchten Menschen ihr Leben selbst bestimmen, dagegen wird jeder größere Kauf umfänglich vorbereitet. Pflegebedürftigkeit tritt nur scheinbar plötzlich auf, die meisten Menschen werden in diese Situation im Alter kommen.

Oft beginnt es nach einem Klinikaufenthalt, dann müssen Entscheidungen rasch getroffen werden und dies in einem Feld, mit dem man sich noch nie beschäftigt hat“, weiß die Pflegeexpertin von der UW/H. Dieser Handlungsdruck führt oft zu schlechten Lösungen, deshalb rät Zegelin: „Es liegt im Interesse der Kinder, die Pflege der Eltern frühzeitig zu regeln. Deshalb müssen sie auch das Thema ansprechen und dabei die Wünsche der Eltern erfragen, sie mit einbeziehen. Wir glauben: Spätestens ab dem 60ten Geburtstag ist die Zeit dafür gekommen – auch wenn es noch Jahrzehnte gut gehen kann.“ Leider meinen viele Ältere, es sei ausreichend, wenn sie schriftlich einige Absichten „in der Schublade“ haben. So wichtig auch eine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht sind – zur Regelung einer Pflegesituation nützen sie kaum etwas.

„Am besten gelingt es, Wünsche herauszuhören in vielen kleinen, vertrauensvollen Gesprächen. Immer wieder antworten ältere Menschen dann, ‚ach, lass mal’ und möchten nicht darüber sprechen. Trotzdem sollte man ohne Drängen ab und zu die Zukunft thematisieren“, rät Zegelin. Manche Familien haben auch gute Erfahrungen gemacht mit einem einberufenen ‚Familienrat‘, zum Beispiel bei einem Essen in guter Atmosphäre. Eine Person, der alle vertrauen, sollte das Gespräche moderieren. „Die Eltern haben natürlich sehr viel mehr Angst davor, ihr Lebensende und den Weg dorthin anzusprechen. Wenn die Kinder zeigen, dass sie dafür die Verantwortung mittragen wollen, auch wenn sie selber die Pflege nicht übernehmen können, tut das den Eltern auch gut! Ja es kommt auch vor, dass sich plötzlich ein Knoten löst und mit einem jahreslangen Tabu leichter umgegangen werden kann.“

Zunächst sollte die zu pflegende Person ihre Vorstellungen äußern, dann haben alle Nahestehenden die Gelegenheit, Ideen einzubringen und am Schluss sollten die am meisten betroffenen Personen sagen, wie sie sich eine Lösung vorstellt. „Alle Vorschläge sollten achtsam diskutiert werden – kann ja sein, dass man in Zukunft selbst derjenige ist, um den es geht! Aber Vorsicht!“, warnt Zegelin, „sprengen Sie mit diesem Gespräch nicht die nächste Silberhochzeit, nur weil alle schon mal zusammen sind!“

Es gibt heute viele Möglichkeiten, sich auf Alter und Pflegebedürftigkeit vorzubereiten. Priorität sollte solange wie möglich der Verbleib in der eigenen Wohnung haben. Etwa durch Umbau, durch Einsatz von Pflegediensten oder flexiblen Hilfen. In manchen Fällen bietet sich auch ein Umzug in die Nähe der Kinder an. Eine Wohnortnähe der Familie ist auch dann gut, wenn ein Heimeinzug die beste Lösung ist, so kann dafür gesorgt werden, dass sehr oft Besuch kommt. Auch macht es Sinn, sich vorab verschiedene Einrichtungen für alte Menschen anzusehen, um ein Gespür für gute Angebote zu erhalten. „Zunehmend gibt es auch ungewöhnliche Wege: Mehr-Generationen-Wohnen, eine Alten-WG aufmachen, die Pflege im Ausland arrangieren, in der Presse tauchte sogar mal die Idee auf, sich auf einem Kreuzfahrtschiff dauerhaft einzumieten – ich bin sicher, es werden weitere originelle Ansätze entwickelt“, so Zegelin.

Die durchschnittliche Pflegezeit liegt heute bei acht Jahren. „Die Pflege zu übernehmen kann auch eine unzumutbare Belastung für die Kinder darstellen, oft wissen die gar nicht, auf was sie sich da einlassen“, warnen Zegelin und die Studierenden. Denn nur finanziell ist der Verzicht auf eigene Lebenszeit nicht zu vergüten, darum ist der Familienrat auch wichtig. Oft dauert es aber auch noch lange, bis die Pflegebedürftigkeit eintritt. Dann sollten die Entscheidungen nicht in Beton gegossen werden, sondern es sollte immer wieder überprüft werden, ob alle Betroffenen noch mit dem Plan leben können.

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