Marburg macht mobil gegen die Todesstrafe
Marburg 4.9.2012 (red) Die Stadt Marburg ist im Herbst 2010 dem internationalen Bündnis ‚Städte für das Leben – Städte gegen die Todesstrafe‘ beigetreten. Der Geburtstag von Mumia Abu-Jamal am 24. April ist Anlass, über seinen Fall und die Problematik der Todesstrafe zu informieren. Dazu wird Freilassung gefordert – dreißig Jahre sind genug! Die Veranstalter eines Symposiums im Stadtverordnetensitzungssaal am 22. September fordern von der deutschen Bundesregierung, sich konsequent – vor allem gegenüber den ‚befreundeten‘ Ländern – sich gegen die Todesstrafe einzusetzen. Nachfolgend wird als Gastbeitrag von Eva Gottschaldt der Text des Infoflyers zu der Veranstaltung des Antitfaschistischen Ratschlag Marburg veröffentlicht.
Menschenrechte sind unteilbar
Alles spricht dafür, die Todesstrafe ein für allemal abzuschaffen und sie überall auf der Welt zu bekämpfen. Deshalb ist es kaum verständlich, dass die deutsche Bundesregierung – völlig zu recht! – gegen Hinrichtungen in Weißrussland protestiert, aber zur Vollstreckung der Todesstrafe in den USA und Japan in aller Regel schweigt.
Politische Gefangene
Zumindest ein Teil der Häftlinge in den Todestrakten der US-Gefängnisse sind als politische Gefangene im engeren Sinne anzusehen, im weiteren Sinne sogar alle, wenn man die Zusammenhänge mit Rassismus und sozialer Ungleichheit bedenkt. Insofern ist von den Verantwortlichen in den USA zu fordern, politische Gefangene sofort freizulassen. Nur wenn eine Tat zweifelsfrei erwiesen ist, darf ein Täter in Haft gehalten werden. Die Todesstrafe ist unter keinen Umständen akzeptabel.
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Todesstrafe in den USA
Noch immer werden in den USA Todesurteile vollstreckt, trotz weltweiter Proteste, ungeachtet aller Studien, die zeigen, dass die Todesstrafe zur Verbrechensbekämpfung nichts taugt, und gegen alle Resolutionen der Vereinten Nationen gegen das staatliche Töten. Todesstrafe ist grausam. Hinrichtungen sind grausam, wirkungslos und stehen im Widerspruch zum Rechtsstaat. Grausam, weil es unter das Verbot der Folter fällt, einen Menschen mutwillig durch die Angst vor dem Sterben zu quälen. Todesstrafe ist zwecklos. Sie ist wirkungslos, weil Verbrechen entweder unter Vorsatz verübt werden – der Täter also darauf abzielt, der Strafe zu entkommen. Oder sie geschehen im Affekt, in einer emotionalen und psychischen Ausnahmesituation, in der mögliche Folgen nicht bedacht werden (können). Hinrichtungen passen nicht zum Selbstverständnis einer Gesellschaft als Rechtsstaat, in dem Strafe grundsätzlich der Wiedergutmachung und der Resozialisation zu dienen hat. Kein Mordopfer wird durch die
Tötung des Mörders wieder lebendig. Hinrichtung macht es unmöglich, dass der Täter sich nach Verbüßung seiner Strafe wieder in die Gemeinschaft eingliedert. Ein Strafrecht, dass die Todesstrafe vorsieht, verwechselt Strafe mit Rache. Rache bedeutet aber niemals das Ende einer Gewaltgeschichte, sondern ihre Fortsetzung. Rache vergiftet auch die, die sie üben. Todesstrafe ist ein Rückfall in der Geschichte der Zivilisation, zur deren Errungenschaften gerade die Überwindung der Blutrache wesentlich gehört.
Todesstrafe: Mord von Staats wegen
Ungeachtet der Schwere der vorausgegangenen Tat darf es einem zivilisierten Rechtsstaat nicht erlaubt sein, seine Strafgefangenen zu töten. Denn außerhalb einer absoluten Notwehrsituation einen Menschen zu töten, bedeutet, ihn zu ermorden. Eingesperrte Straftäter bringen aber niemanden in eine Notwehrsituation. Todesstrafe ist staatliche angeordneter Mord und sie beizubehalten bedeutet, Unmenschlichkeit als Element der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu akzeptieren.
Todesstrafe ist Rassismus
Aber man kann das Problem der Todesstrafe nicht isoliert betrachten. Wer für was zum Tode verurteilt wird, hängt auch mit gesellschaftlicher Ungleichheit zusammen. In den USA ist es ganz offensichtlich: Wer Geld für eine gute Verteidigung hat, immer wieder in Berufung gehen kann, überlebt ein Todesurteil eher, als jemand, der arm ist. Ein Verurteilter, der einer Minderheit (Afroamerikaner, Latino oder einer indigenen Bevölkerungsgruppe) angehört, entgeht der Hinrichtung seltener als ein weißer Mittelschichtsangehöriger. Auch die Betrachtung der Taten offenbart die Willkür des Todesstrafensystems: Ist ein Mordopfer weiß und der Täter womöglich schwarz, muss der Mörder viel eher auf die Hinrichtung gefasst sein, als wenn der Mörder weißer Hautfarbe und das Opfer dunkelhäutig ist.
Der Fall von Mumia Abu-Jamal
Der afroamerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal ist einer von vielen, aber an seinem Fall lässt sich Vieles zeigen. Vor dreißig Jahren wegen tödlicher Schüsse auf einen weißen Polizisten, die nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnten, zu Tode verurteilt, wurde er bis Dezember 2011 im Todestrakt in Pennsylvania gefangen gehalten. Während die ‚Polizistenbruderschaft‘ (F.O.P.) seine Hinrichtung forderte und seine Ermordung schon zweimal unmittelbar bevorstand, ist es allein der weltweiten Aufmerksamkeit und Solidarität zu verdanken, dass Gouverneur und Staatsanwaltschaft mittlerweile auf die Vollstreckung des Todesurteils verzichtet haben. Es liegt auf der Hand, dass dies nicht aus humanitären Erwägungen geschah, schon weil man vermeiden wollte, dass in weiteren Berufungsrunden die Ungereimtheiten des ersten Verfahrens zur Sprache kämen: die rassistische Besetzung der Jury, die dokumentierte Voreingenommenheit des Richters, die Bestechung von Zeugen und die unzureichende Würdigung von entlastenden Beweisen.
Von Sacco und Vanzetti bis Angela Davis
Der Fall Abu-Jamal ist auch deshalb ein besonderer, weil Mumia Abu-Jamal einst für die Bürgerrechtsbewegung Black Panther aktiv war und als Journalist die rassistische Wirklichkeit in seiner Heimatstadt Philadelphia immer wieder benannt hat. Bei allen Unterschieden liegt es nahe zu vermuten, dass Abu-Jamal durch die Verurteilung ebenso zu Schweigen gebracht oder aus dem Verkehr gezogen werden sollte wie andere vor ihm: die anarchistischen Gewerkschafter Sacco und Vanzetti (hingerichtet in Massachusetts 1927), das aufgrund einer bis heute umstrittenen Anklage wegen Spionage für die Sowjetunion verurteilte Ehepaar Julius und Ethel Rosenberg (hingerichtet 1953 in New York) oder die afroamerikanische Bürgerrechtlerin und Kommunistin Angela Davis (1972 durch internationale Solidarität gerettet). Man muss vermuten, dass auch der Aktivist der ‚American Indian Movement‘ Leonard Peltier auf diese Weise beseitigt werden sollte. Auch ihm wurde ein unbewiesener Mord angehängt.