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Kein Stein der Weisen für die Marburger Nordstadt – Bürgerinformation eröffnet Dialog und Fragestellungen

Marburg 10.10.2012 -Live-Bericht (yb) Bei der Bürgerinformationsveranstaltung des Magistrats heute Abend ab 19.30 Uhr im Stadtverordnetensitzungssaal geht es um die Zukunft der Nordstadt, präziser formuliert um Fragen und Planungen zur zukünftigen Verkehrsentwicklung. Insbesondere die Idee resp. Planungen zur Stillegung der Elisabethstraße für den motorisierten Individualverkehr sollen vorgestellt, erläutert und diskutiert werden (können). Dabei ist die Marburger Öffentlichkeit mit dem Phänomen konfrontiert, dass Gewerbetreibende aus der Nordstadt vorab erklären, dass Planungen nicht gehen, nicht sein sollen und nichts bringen. Wie anders lässt sich sonst deren Vorschlag für ein ‚Moratorium‘ interpretieren. Man solle fünf Jahre oder ähnlich lange warten, jedenfalls bis dann die neue Universitätsbibliothek fertig gestellt ist, und dann über Verkehrsfragen entscheiden. So ungefähr der Vorschlag. Planung wird damit für überflüssig, ja falsch erklärt. Erst mal sehen und dann nachbessern. Erfreulicherweise ist der Städtebau und die Verkehrsplanung dabei weiter. Beide Disziplinen gehen davon aus, dass man vorher planen kann und muss, um Probleme vermeidend Entwicklungen grundständig zu gestalten. Dieser Ansicht ist auch Oberbürgermeister Egon Vaupel, der die Veranstaltung mit einführenden Worten eröffnet und auf die Probleme und Anliegen zur Steuerung der (Kraftfahrzeug-)Verkehre eingeht.

Zusätzlicher Parkraum müsse in der Nordstadt bahnhofsnah entstehen. Dafür solle das dort vorhandene Parkdeck in seiner Kapazität erweitert werden. Jenseits der Rosenbrücke und Lahn könnte weiterer Parkraum enstehen, jedoch nicht (mehr) standortnah im Sinne von Einkaufsbereichen, führt der OB aus.

Anschließend erläutert Bürgermeister Franz Kahle den geplanten Prozeß und Projektablauf, wonach es im Dezember ein Werkstattgespräch und eine Bürgerinformation im Februar geben soll. Zielstellung ist ein Beschluss der Stadtverordneten im März 2013. Dem sollen dann die Ausarbeitung detaillierter Pläne für die einzelnen Straßen und dann eine Anliegerbeteiligung folgen.
Die genaue Planung der Beteiligungs- und Erarbeitungsprozesse erläutert eine Mitarbeiterin eines eigens damit (!) beauftragten Planungs- und Beratungsbüros aus Kaiserslautern (—>firu). Stadtbaudirektor Rausch gibt anschließend zur inhaltlichen Einführung einen Überblick über die Sanierungs- und Stadtentwicklungsziele für die Nordstadt– freilich ohne das Gebiet stadträumlich zu definieren und (wenigstens verständnishalber) abzugrenzen.

Ein weiterer Vertreter eines Planungsbüros erläutert anschließend die Zielsetzungen der Verkehrsentwicklung in der ‚Nordstadt‘, wonach es in der Bahnhofstraße und der Robert-Koch-Straße Kraftfahrzeugverkehr in beiden Richtungen geben soll. Mithin soll die Einbahnstraßenregelung der Robert-Koch-Straße entfallen. Ausgang der Überlegungen ist dabei die ‚Stillegung‘ der Elisabethstraße für den motorisierten Individualverkehr. Der Verkehrsplaner erläutert das Bedingungsgefüge, unternimmt den Versuch einen Überblick über die verkehrlichen Abläufe zu geben. Er konstatiert, dass die ‚Nordstadt‘ relativ frei von Durchgangsverkehr(en) sei. Der Planer vergisst allerdings die erheblichen KFZ-Bewegungen werktäglich zu und von den Behringswerken zu erwähnen, von denen erhebliche Frequenz und Belastung für den Bereich um die E-Kirche und die Ketzerbach ausgehen. Dann kommt der Verkehrsplaner zum Kern der Dinge und schildert – mit gelegentlichen Exkursen in verkehrsplanerische Gefilde – eine denkbare Variante der zukünftigen Verkehrsführung und Straßengestaltung in einzelnen von ihm beplanten Straßen: Bahnhofstraße, Robert-Koch-Straße, Bunsenstraße, Elisabethstraße, Deutschhausstraße. Dann kommt die Vorstellung der Planung für die Elisabethstraße als verkehrsfreie Zone. Es soll dort keinen motorisierten Individualverkehr mehr geben (KFZ). Zukünftig würden dann nur noch etwa 50 Busse per Stunde in beiden Richtung passieren und Haltestellen andienen.

Zum Abschluß des detailverliebten und mit vielen Leinwandfolien unterlegen Planervortrags kommt eine leider unübersichtliche schematisch und fachplanerisch aufgezogene Gegenüberstellung der Planungsvarianten. Damit hat der Referent viel geredet, sehr vieles vorgetragen doch kaum zur Hebung des Kenntnisstandes in verstehbarer Weise beigetragen. Abschließend lässt er es nicht aus Informationen über die Parkplatzbilanz der Planungen einzubringen. Die Differenz der beiden untersuchten Planungsvarianten liegt in der Größenordnung von etwa 25 Parkplätzen mehr oder weniger bei einem Verlust von rund 100 Parkpätzen im Vergleich zur heutigen Sitution.

Anschließend kommt der Auftritt einer Moderatorin zur Sammlung von Meinungsäußerungen, Fragen und Vorschlägen aus dem Publikum. Auch dieser Punkt erweist sich vorgedacht, vorgeplant und schematisch vorgegeben. Ideen, Leitfragen und Schwerpunkte sind bereits angelegt, was allerdings das Publikum nicht davon abhält eigene Fragen zu stellen und wichtige Hinweise zu geben.

Zuerst kommt eine Frage nach dem Planungsgebiet ‚Nordstadt‘. OB Vaupel konstatiert, dass dafür viele verschiedene Flächenzuordnungen existieren. Der OB teilt mit, das bei den Betrachtungen (nur) Bahnhofstraße, Elisabethstraße, Deutschhausstraße, Bunsenstraße und Robert-Koch-Straße hier als Bezugsgröße und Planungsgebiet gelten.

Ein nächster Redner problematisiert die Andienung der touristisch hochrangig und zunehmend angesteuerten Elisabethkirche durch Reisebusse. Dafür sei die Nutzung der Elisabethstraße und des Firmaneiplatzes unabdingbar. OB Vaupel verweist auf Überlegungen zu diesbezüglicher Andienung, wobei Parkplätze für Touristenbusse dort nicht denkbar seien.
Die nächste Frage problematisiert wachsendes Fußgänger- und Radverkehrsaufkommen im Pilgrimstein, wofür keine Aussagen getätigt worden seien. Darüber hinaus fehlt in der Wahrnehmung des Fragers eine Darstellung zu Radwegnetzplanungen, was angesichts der studentischen Nutzer bevorzugt mit Fahrrad ein Defizit sei.

Ein Nordstadtbewohner begrüßt die Planung mit Fußgängerbereich in der Elisabethstraße, weil alleine damit ein neue und wirkliche Qualität entstehen könne. Dann wird der Hinweis auf einen Zielkonflikt planerseits gegeben, der entstehen müsse, wenn in den genannten Straßen auch noch, wie vorgetragen, Baumpflanzungen vorgenommen werden sollten. In der Bahnhofstraße und Elisabethstraße solle der knappe Straßenraum anstelle von Begrünungsmaßnahmen für eine hinreichende Organisation der Verkehre von Fußgängern, Radfahrern und Fußgängern verwendet werden.

Dann wird nach der Veränderung der Verkehrsverbindung für den Wehrdaer Weg gefragt, wozu sich die Planungen neutral verhalten. Schließlich wird der Termin für das Werkstattgespräch Ende November in Frage gestellt, weil dann wegen des ersten verkaufsoffenen Samstags eine Teilnahme von Einzelhändlern kaum möglich wäre. OB Vaupel stellt einen Termin im Januar in Aussicht.

Ein nächster Beitrag moniert, dass die Anbindungen des (unteren) Steinwegs zum Pilgrimstein und zur Elisabethstraße planerisch überhaupt nicht thematisiert worden sei. Schließlich kommt ein Hinweis auf die unterbliebene Betrachtung und Darstellung der Pendlerverkehre mit Kraftfahrzeugen zu den Behring-Werken in Marbach.

Ein Frager will wissen, warum für diesen Planungsbereich nicht alle KFZ-Verkehre an den Stadtrand verbannt werden und die Personen mit Bussen hinein transportiert werden. Daran schließt der Hinweis an, dass mit der vorgestellten Maßnahme der Befreiung der Elisabethstraße von motorisiertem Individualverkehr eine erhebliche Aufwertung der Nordstadt verbunden sei. Dies sei als Gewinn zu verstehen und zu kommunizieren.
Ein Sprecher des Einzelhandels in der ‚Nordstadt‘ benennt ein größeres Einzugsgebiet (wie etwa Marbach) für den Einzelhandel, das demgemäß zusätzlich mit Planungs- und Bezugsgröße werden solle.

Damit wird der Fragenteil beendet und es kommt zu einer kurzen Beantwortung einiger Fragen. Der zu überdenkende Termin für ein Werkstattgespräch zur ausführlichen Einbringung und Diskussion für Anlieger und Interessierte soll rechtzeitig bekannt gegeben werden.

21.40 Uhr Ende der Live-Berichterstattung mit Fotografien aus dem Quartier vom Spätnachmittag von Hartwig Bambey.

Dieser Abend hat sich als wichtig und produktiv – gerade für die Planer – erwiesen. Angesichts deren fehlender Ortskenntnis konnte bereits mancher Hinweis aus dem Publikum den Denkern am grünen Tisch auf die Sprünge helfen, Beispiel ‚vergessene‘ Werksverkehre zu den Behring-Werken. Der Magistrat will die Bürger beteiligen und hat den Dialog eingeleitet. Dass die ortsfremden Planer dabei etwas ungelenk erschienen, ist kein Problem. Allerdings hat sich gezeigt, dass unpräzise Betrachtungen kurze Beine haben. Eine isolierte Quartierplanung mit den wenigen Straßen rund um die Elisabethkirche muss und würde zu kurz greifen. Die kommenden Veränderungen der stadträumlichen Beziehungen und Nutzungen sind umfassender. Insofern fehlte unübersehbar und einmal mehr die städtebauliche Perspektive und deren adäquate Einbringung. Solcher Verkürzung und Verweigerung drohen als Folge Fehler und Fehlentscheidungen gerade bei verkehrsbezogenen Maßnahmen. Doch der Dialog ist gerade erst eröffnet worden und soll in den kommenden sechs Monaten qualifiziert geleistet werden. Das ist eine Ausgangslage.

 

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