Umbau der Philipps-Universität (1) – Die große Hängepartie mit dem Botanischen Garten
Marburg 23.10.2012 (yb) Die Stadt Marburg und die Philipps-Universität Marburg befinden sich einem Konversionsprozess. Vor allen Dingen der inzwischen weitgehend abgeschlossene Umzug der Universitätskliniken auf die Lahnberge hat inmitten der Stadt große Liegenschaften und Baukörper hinterlasssen, die neuen Nutzungen zugeführt werden sollen. Die Planungen eines ‚Innenstadt-Campus‘, tituliert als ‚Campus Firmanei‘, haben dazu als Herzstück den Bau einer neuen Universitätsbibliothek. Diese soll am Standort des (erst noch abzubrechenden) Gebäudes der Frauenklinik und eines noch bewohnten Schwesterwohnheims am Alten Botanischen Garten entstehen. Ziele der Konversion sind also Neubauten und Umnutzungen vorhandener vormaliger Klinikflächen und -gebäude für die Universität.
Dieser anspruchsvolle gestalterische Prozess wird von der Universität selbst, dem Land Hessen und der Stadt Marburg verfolgt und (mit-)betrieben. Dabei fehlt es an tragfähiger Finanzierung, wirklicher stadtplanerischer Durcharbeitung, angemessenen Planungen und Strukturen und an adäquatem Management. Mit dann unvermeidlichen auf den Fuß folgenden Problemen in Folge solcher Konversion, eingebettet in das Handeln Verantwortlicher in Kontexte übergeordneter Transformationen (auch) der Marburger Universität – Stichworte Bologna-Prozess, Hochschulfinanzierung als Wettbewerbsinstrument, Unterfinanzierung bei enorm angestiegenen Studierendenzahlen, beschäftigt sich eine Serie in das Marburger. Den Anfang macht ein Hintergrundbericht zum Botanischen Garten auf den Lahnbergen mit seiner höchst ungeklärten Zukunft.
Welche Einrichtung in Marburg erlebt jährlich 100.000 Besucher? Welche Einrichtung in Marburg wird maßgeblich unterstützt von einem Freundeskreis? Für den Erhalt welcher Einrichtung in Marburg wurden über 9.000 Unterschriften gesammelt? In welcher Einrichtung in Marburg gibt es grundständige Lernangebote für Schüler und Schulklassen? Die Zukunft welcher gewachsenen Einrichtung in Marburg ist akut gefährdet? Der Botanische Garten auf den Lahnbergen als viertgrößter seiner Art in Deutschland hat sehr viel vorzuweisen und hat noch mehr – bis hin zu seiner Existenz in seiner heutigen Form und Bedeutung – zu verlieren.
Unbestritten ist der Bedeutungs- und Funktionsverlust des Botanischen Gartens hinsichtlich des Wissenschafts- und Lehrbetriebs des Fachbereichs Biologie. Zugleich macht(e) sich die Einrichtung als Kostenfaktor im Haushalt der Philipps-Universität in einer Größenordung von 3 Millionen Euro lastend bemerkbar. Eine Betrachtung und Aufgabe Kostenreduktion ist damit begründet und und plausibel. Zugleich ist dem Marburger ‚Botanikum‘ im Lauf der Jahre und Jahrzehnte vieles zugewachsen.
Neben Pflanzenpopulationen in weitläufigen, parkähnlichen Freilandbereichen und in den Gewächshäusern – jedoch inzwischen deutlich weniger als Gendatenbank bestimmter Spezies – sind über den Fachbereich und die Wissenschaft weit hinausreichende Nutzungen, Wahrnehmungen und Funktionen entstanden. Es gibt seit Jahren eine ‚Grüne Schule‘, die von Schulen und Schulklassen als außerschulischer Lernort sehr gut angenommen wird. Es gibt zahlreiche Veranstaltungen im Jahreslauf, bis hin zu Kulturevents, die Tausende Besucher anziehen. So läßt sich der Botanische Garten zutreffend als eine hochwertige kulturelle, bildungsbezogene und naherholungsrelevante
Einrichtung für die Universitätsstadt selbst und die gesamt Region klassifizieren, ein lebendiges Denkmal. Ausdruck dafür sind der rührige ‚Freundeskreis Botanischer Garten‘, eine finanzielle Förderung der Stadt Marburg und die ausgeprägte Inanspruchanhme aus breiten Kreisen der Bevölkerung.
Derzeit sind noch knapp 50 Beschäftigte der Universität mit Aufgaben zur Administration, Leitung, Pflege und Unterhaltung des Marburger ‚Botanikums‘ beschäftigt. Seit den neunziger Jahren werden dort bereits Stellen abgebaut. Im Zuge der nicht alleine baulichen Umstrukturierungen der Philipps-Universität und vor dem Hintergrund defizitärer Finanzierung der Universität bei zugleich wachsenden Studierendenzahlen stellt sich der Botanische Garten für die Hochschulleitung zuallererst als Kostenfaktor dar. Mangels fehlenden Nutzens für die Kernaufgaben der Universität ist ein Abbau, insbesondere der Kosten, als Zielstellung verfolgt worden. Doch das war und ist nicht so einfach.
So sehr die Universitätsleitung formal zuständig ist, handelt Präsidentin Katharina Krause zugleich stellvertretend für eine viel größere Öffentlichkeit in der Stadt und Region. Kürzungs- und Schließungsgedanken mussten damit Widerstände auslösen, etwa in Gestalt einer Unterschriftensammlung, die in kurzer Zeit über 9.000 Menschen zum Unterschreiben eines Appells zum Erhalt brachte. Dies wurde zugleich an die Hessische Landesregierung kommuniziert. Die Stadt Marburg ist mit einem fünfstelligen Betrag eingesprungen, um Deckungslücken zu schließen.
Zugleich haben sich viele Beschäftigte, BürgerInnen, Besucher und Institutionen ins Zeug gelegt, um den wertvollen Biologie-Park zu erhalten. Zuletzt ist dies eingemündet in eine befristete und gedeckelte Finanzierungszusage seitens des Landes Hessen, verbunden mit der Auflage an die Universität ein Konzept (für einen zukünftig eingeschränkten) Betrieb vorzulegen. In dieser Situation befindet sich der Botanische Garten aktuell, jedenfalls offiziell und was die (Nicht-)Information der Beschäftigten und der universitären und allgemeinen Öffentlichkeit betrifft.
Seit Monaten liegt ein externes Gutachten zum Weiterbetrieb vor. Es wird der Öffentlickeit vorenthalten. Ebenfalls seit Monaten hat die Universitätsleitung einseitig zwei Vorschläge dem zuständigen Wissenschaftsministerium vorgelegt. Informationen darüber sind ebenfalls Fehlanzeige. Viel mehr und weit schlimmer noch: Präsidentin Krause hat es unterlassen den Personalrat als Vertretungsorgan der Beschäftigten einzubeziehen. Das wäre ihre Pflicht gewesen und hatte prompt eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Gießen zur Folge. Anstehende Veränderungen bedeuten Personalabbau. Doch genau dazu hat aus guten Gründen der Personalrat ein Wörtchen mitzureden. So kommt es, wie von der Presseprecherin des Gerichts, Sabine Dörr, aus Gießen zu erfahren war, am 30. November um 10 Uhr in Raum 3 des Verwaltungsgerichts Gießen zur Verhandlung über das einseitig gesetzwidrige, weil das Mitarbeiterorgan übergehen wollende, Verhalten der Universitätsleitung im Verhältnis zu den eigenen Beschäftigten.
Es fehlt nicht alleine an Kommunikation seitens der Universitätsleitung. Viele meinen, dass der Kunsthistorikerin Prof. Dr. Katharina Krause die Zukunft des Botanischen Garten wenig oder gar nicht angelegen sei. Darauf deutet ihr Verhalten hin. Wenn sie als Universitätspräsidentin dabei vor Augen hat, dass nicht einmal die überfällige bauliche Sanierung und Modernisierung des (kunstwissenschaftlichen) Ernst von Hülsen-Hauses vollendet ist, mag die Präsidentin recht haben. Doch das rechtfertigt zunächst einmal nicht das Übergehen des Personalrats. Ein ergehendes Urteil vom Verwaltungsgericht Gießen kann zur Folge haben, dass die in Wiesbaden vorgelegten Konzepte Makulatur werden. Zugleich bringt Prof. Krause auch die Öffentlichkeit nolens volens gegen sich auf. In jahrelangen Anstrengungen wurde eine wachsende Wahrnehmung und Bedeutung in der Öffentlichkeit mit viel Engagement aufgebaut. Ausdruck dafür war der Besuch zweier Landtagsabgeordneter im Sommer 2012. Die Landtagsmitglieder Timo Gremmels und Thomas Spies zeigten sich beeindruckt, stellten eine kleine Anfrage an die Wissenschaftsministerin und artikulierten Gedanken für eine zukünftige ergänzende Finanzierung.
Auch die Stadt Marburg ist bereit eine ganze Menge für die finanzielle Absicherung eines zukunftorientierten Betriebes des Botanikums auf den Lahnbergen zu tun. Einen (bereits) sechsstelligen Betrag stellte Oberbürgermeister Egon Vaupel diesbezüglich in Aussicht. „Doch wollen wir uns damit nicht daran beteiligen die Einrichtung zu Grabe zu tragen“ lauteten die zugleich mahnenden Worte des Marburger Stadtoberhaupts in diesem Sommer vor Ort.
So stellt sich bei informierter Betrachtung des Stands der Dinge beinahe tatsächlich schon die Frage, ob Universitätspräsidentin Krause als Totengräberin der über Jahrzehnte in vieler Hinsicht gewachsenen Einrichtung auf den Lahnbergen in die Geschichtsbücher eingehen möchte. Elisabeth Bohl als rührige Vorsitzende des Freundeskreis Botanischer Garten wusste nichts, schon gar nicht Positives, zum Stand der Dinge mitzuteilen.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchleben seit Jahren eine Hängepartie um ihre berufliche Zukunft. Solche Bedingungen seien nun alles andere als motivierend, sagte eine/r der Beschäftigten auf Nachfrage der Redaktion. Mittlerweile entsteht ein immer größerer Riß zwischen der Hochschulleitung und den Beschäftigten, den vielen Engagierten und den nach Zigtausenden zählenden Nutzern und Besuchern.
Zugleich wurde mit viel Aplomb vor einigen Monaten das ‚Chemikum‘ eröffnet. Dafür wurden über vier Millionen seitens des Landes investiert und damit bereit gestellt. Man wäre im und für den Betrieb dieser der Bildung von ‚MINT-Nachwuchs‘ gewidmeten Einrichtung überglücklich eine solche Resonanz und Unterstützung breiter Kreise zu erfahren. Doch Biologie, Botanik, natur- und bidodiversitätsbezogene Veranstaltungen bis hin zur Vermittlung entsprechender Inhalte in der erfolgreichen ‚Grünen Schule‘ zählen offenbar nicht. Schon gar nicht werden sie unter Gesichtspunkten einer Nachwuchsbildung betrachtet.
Wie anders lässt sich das geradezu desavoierende Verhalten des Hochschulpräsidiums erklären und einordnen? Die Philipps-Universität, ihre Bediensteten und Verantwortungsträger brauchen generell Rückhalt und Unterstützung aus der Stadt Marburg und darüber hinaus. Dazu braucht es jedoch auch ein angemessenes Verhalten zu der nicht einfachen Aufgabe der Gestaltung und Erhaltung des Botanischen Gartens auf den Lahnbergen. Davon sind Präsidentin und ihr Kanzler meilenweit entfernt. Der Personalrat musste bereits auf dem Rechtsweg tätig werden.
Welcher Gegenwind und widerständige Aktivitäten Prof. Krause bevorstehen, wenn das grüne Refugium auf den Lahnbergen durch ihr Verhalten auf´s Spiel gesetzt wird, scheint überhaupt nicht Gegenstand ihrer Abwägungen (gewesen) zu sein. Die große Hängepartie um den Botanischen Garten kann und wird so nicht mehr lange gut gehen.