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Religionsfreiheit als Gegenleistung für Integration

Marburg 6.11.2012 (wm/red) Die rechtliche Integration neu hinzugekommener Religionsgemeinschaften – in der Regel muslimische Gruppierungen – wird in Deutschland häufig indirekt von der gesellschaftlichen Integrationsbereitschaft ihrer Mitglieder abhängig gemacht. Muslime können sich in der öffentlichen Diskussion um Integration zwar Gehör verschaffen, allerdings wird ihnen diese Möglichkeit nur dann zugestanden, wenn sich die Betroffenen auf die vorherrschende Interpretation einlassen, dass bei Muslimen in Deutschland ein generelles Integrationsdefizit vorliege. Zu diesem Ergebnis kommt eine Dissertation zur Bedeutung von Religion für staatliche Integrationspolitik, die die Soziologin Christine Brunn an der Universität Heidelberg vorgelegt hat. Die Wissenschaftlerin hat für ihre Untersuchung zahlreiche Regierungsdokumente ausgewertet.

Die Soziologin vergleicht anhand dieser Dokumente den Umgang aktueller Migrationspolitik mit Religion in Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich. „Dabei zeigt sich einerseits, dass trotz eines vereinigten Europas der Umgang der Staaten mit Religion immer noch sehr nationalstaatlich geprägt ist“, erläutert Brunn. „Zugleich wird deutlich, dass die ‚Entdeckung’ von Religion für Integrationspolitik weder pauschal eine Anerkennung noch eine Instrumentalisierung von Religion ist.“ Kennzeichnend für Deutschland ist laut Brunn, dass es zwar einerseits ein starkes Grundrecht auf Religionsfreiheit gibt, andererseits aber vor allem muslimische Religionsgemeinschaften als ‚Integrationsagenturen‘ gesehen werden – das heißt, dass von ihnen ein Nutzen für die Gesellschaft erwartet wird. „Dieses ambivalente Verhältnis erweist sich als sehr spannungsreich“, betont die Wissenschaftlerin.

Der Umgang mit Religion folgt in Deutschland nach den Worten von Christine Brunn der Idee, dass Religionsgemeinschaften den Staat in seinem Freiheitsauftrag unterstützen können. Dies sei aber nur dadurch möglich, dass sie sich unabhängig und frei entfalten, ihre eigenen Standpunkte artikulieren und ihre Interessen öffentlich vertreten können, erklärt Brunn. Zugleich müsse es auch möglich sein, das Angebot des Staates zur aktiven gesellschaftlichen Mitarbeit abzulehnen, ohne dass diese Religionsgemeinschaften dabei Grundrechte verlieren.

Die Auswertung von Regierungsdokumenten zeigt allerdings, „dass einige staatliche Initiativen eine rechtliche Anerkennung muslimischer Religionsgemeinschaften zumindest implizit von deren gesellschaftlicher Nützlichkeit und Kooperationsbereitschaft abhängig machen, auch wenn es gar nicht um vorrangig religiöse Bereiche geht“, erklärt die Soziologin und verweist auf Projekte zur Kriminalitäts- und Terrorprävention, in die Moscheegemeinden und Muslimverbände häufig eingebunden werden. „Dabei bedeutet das Grundrecht auf Religionsfreiheit auch, dass der Staat nicht einseitig Erwartungen an eine gesellschaftliche Nützlichkeit von Religionsgemeinschaften haben darf.“

Das Verhältnis von Anerkennung und Instrumentalisierung von Religion durch den Staat ist in den drei von Christine Brunn untersuchten Staaten unterschiedlich ausgeprägt. In Deutschland hält Brunn es für unwahrscheinlich, dass der Versuch, über die Einbindung von Religion in politische Strategien Integrationserfolge zu erzielen – etwa über die Islamkonferenz –, dauerhaft verankert wird, stattdessen erwartet sie institutionelle Konflikte. Größere Chancen für eine solche Institutionalisierung sieht Brunn im Vereinigten Königreich, wohingegen im laizistischen Frankreich nach Einschätzung der Wissenschaftlerin derartige Versuche auch in näherer Zukunft kaum über erste Ansätze hinausgehen werden.

Originalpublikation
Christine Brunn: Religion im Fokus der Integrationspolitik. Ein Vergleich zwischen Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich. Springer VS 2012.

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