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Die Armut wächst und konzentriert sich in Deutschlands Metropolen

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Marburg 16.11.2012 (pm/red) Armut ist in den größten deutschen Städten meist deutlich weiter verbreitet als im Bundesdurchschnitt. In Leipzig, Dortmund, Duisburg, Hannover, Bremen und Berlin lebt zwischen einem Fünftel und einem Viertel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Deutlich besser stehen die meisten süddeutschen Metropolen und Hamburg da, allerdings ist auch dort die Armutsquote zuletzt gestiegen. Das ergibt eine neue Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Die Wissenschaftler haben Daten für die 15 größten deutschen Städte ausgewertet, in denen knapp 14 Millionen Menschen leben.

Trotz der soliden wirtschaftlichen Entwicklung ist die Armutsquote in Deutschland wieder angewachsen. 2011 hatten nach den neuesten Daten des Statistischen Bundesamtes aus dem Mikrozensus 15,1 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten mittleren Einkommens zur Verfügung. Dieser Wert entspricht einem Monatseinkommen von 848 Euro bei einem Alleinstehenden und markiert nach gängiger wissenschaftlicher Definition die Armutsschwelle. Im Jahr 2010 lag die Armutsquote bei 14,5 Prozent.

Noch weitaus größer ist die Armutsgefährdung in Deutschlands Metropolen, zeigt die WSI-Studie. Eric Seils, Sozialexperte im WSI, und sein Co-Autor Daniel Meyer haben für die 15 größten deutschen Städte die Armuts-Daten auf Basis des Mikrozensus ausgewertet und mit den Bezugsquoten von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) abgeglichen. Auf diese Weise lassen sich einerseits auch Menschen in verdeckter Armut erfassen, die aus Scham oder Unwissenheit auf Sozialtransfers verzichten. Zum anderen lässt sich zumindest grob abschätzen, wie tief die Armut der Betroffenen ist. Zwar ist das Einkommen von Menschen, die Hartz IV oder andere Formen der Grundsicherung nach dem SGB II beziehen, statistisch nicht ganz klar abzugrenzen. Es dürfte aber bei Alleinstehenden zumeist unter der Armutsschwelle liegen. Daher werten Seils und Meyer den Bezug von Sozialunterstützung als ein mögliches Indiz für ‚tiefere‘ Armut.

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Kernergebnis der Studie: Auch in den meisten Großstädten sinkt zwar der Anteil der Menschen, die wegen Langzeitarbeitslosigkeit, als Aufstocker mit niedrigem Arbeitseinkommen oder aus anderen Gründen Leistungen nach dem SGB II erhalten. Doch gleichzeitig ist die Armutsquote in den Metropolen besonders spürbar nach oben gegangen – im Durchschnitt von 17,5 auf 19,6 Prozent zwischen 2005 und 2011. Damit ist die Armut in den 15 größten Städten deutlich höher als im Rest der Republik. In sechs Städten lebt sogar zwischen einem Fünftel und einem Viertel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Nur vier der Metropolen liegen am oder unter dem bundesweiten Durchschnitt.

Die Daten zeigten, dass die Armut steigt und sich in den Großstädten konzentriert, schließt Sozialforscher Seils. „Die sinkenden SGB-II-Quoten deuten jedoch darauf hin, dass die zusätzliche Armut nicht so tief ist. Wer will, kann das als gute Nachricht in der schlechten verstehen. Aber zumindest einige unserer größten Städte befinden sich auf einem abschüssigen Pfad.“ Besonders irritiert den Wissenschaftler, dass die Armut stieg, obwohl die Arbeitslosigkeit zurückgegangen ist. „Möglicherweise hat sich der Zusammenhang zwischen Beschäftigungslosigkeit und Armut in letzter Zeit etwas gelockert“, sagt Seils. Das könnte mit einer höheren Einkommensungleichheit und dem gewachsenen Niedriglohnsektor zusammenhängen. Denkbar sei, dass bei einer wachsenden Gruppe von Beschäftigten, das Einkommen gerade über der Hartz-IV-Grenze liegt.

Gleichwohl finden sich die höchsten Armutsquoten nach wie vor in Orten mit hoher Arbeitslosigkeit. Das macht ein zweiter Blick auf die Städtedaten deutlich. Besonders hoch ist der Anteil armer Einwohner in den ostdeutschen Metropolen, im Ruhrgebiet und in den norddeutschen Städten Bremen und Hannover. Deutlich besser sieht es in den süddeutschen Großstädten aus, aber auch in Hamburg. In ihre Einzelauswertungen haben die Forscher auch die Trends seit 2005 einbezogen:

Die ostdeutschen Metropolen LEIPZIG und DRESDEN haben auch im Großstädte-Vergleich überdurchschnittliche Armutsquoten, die allerdings niedriger sind als noch vor einigen Jahren. Das gilt insbesondere für Leipzig. In der Messestadt waren 2011 rund 25 Prozent der Bewohner arm – mehr als in jeder anderen deutschen Metropole. 2009 lag der Wert noch gut zwei Prozentpunkte höher. In BERLIN leben rund 21 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze, und ihr Anteil ist seit 2006 gestiegen. Besonders problematisch ist die hohe Sozialgeld-Quote unter Kindern: Gut jedes dritte ist auf Sozialtransfers angewiesen.

Ruhrgebiet. Die Entwicklung in DORTMUND und DUISBURG werten Seils und Meyer als „dramatisch“. Die beiden Ruhrgebietsstädte nähern sich mit Armutsquoten von gut 24 und 23,5 Prozent dem Niveau von Leipzig. Von 2005 bis 2011 stieg die Armutsquote jeweils um etwa ein Drittel. Dabei beobachten die Forscher insbesondere in Duisburg weniger eine soziale Polarisierung, bei der Ärmere von der Einkommensentwicklung abgehängt werden. Vielmehr verarme die „Stadt als Ganzes“. Die dritte Reviermetropole ESSEN steht bei der Armutsquote zwar etwas besser da. Allerdings ist hier gegen den allgemeinen Trend auch der SGB-II-Bezug gestiegen. Und: Rund 30 Prozent der Kinder unter 15 brauchen öffentliche Unterstützung.

Rheinland. KÖLN liegt mit einer gemessenen Armut von 20 Prozent etwas über dem Metropolen-Durchschnitt. Die Armutsquote ist von 2010 auf 2011 gestiegen, die SGB-II-Quote ging in den vergangenen Jahren leicht zurück. DÜSSELDORF, das bei beiden Armutsindikatoren im längerfristigen Vergleich deutlich niedrigere Werte als die Domstadt aufwies, hat zuletzt fast gleichgezogen. Die SGB-II-Quote sank in der NRW-Landeshauptstadt seit 2007 kaum. In beiden Städten waren 2011 von den Kindern unter drei Jahren 21,6 Prozent auf Unterstützung angewiesen. Allerdings raten die Wissenschaftler dazu, den zuletzt deutlichen Anstieg der Armutsgefährdungsquote in Düsseldorf nicht überzubewerten: Da der Trend in den vergangenen Jahren uneinheitlich ausfiel, könnte die statistische Aussagefähigkeit der Mikrozensus-Daten hier an Grenzen stoßen.

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In den Metropolen Norddeutschlands machen Seils und Meyer unterschiedliche Entwicklungen aus. In HAMBURG ist die SGB-II-Quote in den vergangenen Jahren kräftig gesunken. Die Armutsquote schwankt zwar, sie liegt aber geringfügig unter dem Bundesmittel. Deutlich höher ist der Anteil armer Einwohner in BREMEN und HANNOVER. Hier stieg die Armutsquote zuletzt an, während der Bezug von Sozialunterstützung leicht abnahm. In Bremen sind jedoch nach wie vor mehr als 28 Prozent der Kinder und Jugendlichen auf solche Hilfe angewiesen.

Süddeutsche Großstädte haben meist deutlich geringere Armutsprobleme als die Metropolen in anderen Landesteilen. In MÜNCHEN ist die Armutsquote zwar zuletzt ebenfalls leicht gestiegen, sie liegt aber mit rund 12 Prozent noch klar unter dem Bundesdurchschnitt. Die SGB-II-Quote beträgt knapp 7 Prozent und steigt auch unter Kindern nicht über 12 Prozent. STUTTGART befindet sich mit einer Armutsquote von 15,1 Prozent genau im Bundesmittel. Allerdings stieg der Wert seit 2005 um 2,1 Prozentpunkte, so die Forscher. Offenbar hätten sich die Einkommensunterschiede in der Bevölkerung deutlich vergrößert. Dank des insgesamt hohen Wohlstandsniveaus ist aber die SGB-II-Quote mit acht Prozent niedrig. In FRANKFURT waren 2011 knapp 16 Prozent der Menschen arm. Dieser Anteil liegt, ebenso wie die SGB-II-Quote, nur etwas über dem allgemeinen Bundesdurchschnitt. Allerdings waren in der Bankenstadt etwa 22 Prozent der Kinder auf Sozialtransfers angewiesen. Die höchste Armutsquote unter den Süd-Großstädten weist NÜRNBERG auf: Knapp 20 Prozent der Bevölkerung gelten als arm. Die SGB-II-Quote ist mit 11,7 Prozent dagegen nach Analyse der Forscher „erstaunlich niedrig.“

Quelle: Eric Seils und Daniel Meyer: Die Armut steigt und konzentriert sich in den Metropolen. WSI-Report Nr. 8/2012. Download: http://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_report_08_2012.pdf

 

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