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Faszination ‚Mamma Medea‘ – Eine Inszenierung von André Rößler

„Mythologischer Burnout! Archaischer Overkill!“ Sonka Vogt als Medea und Charles Toulouse als Telamon. Foto Ramon Haindl

Marburg 26.11.12 (ma) Schon 2006 inszenierte Regisseur André Rößler im Rahmen seines Diplom-Abschlusses Mamma Medea von Tom Lanoye am Deutschen Theater in Berlin. Die Begeisterung für den Medea-Mythos hält seitdem an. Daher konnte am vergangenen Samstag im Hessischen Landestheater die Premiere einer Neuauflage von ‚Mamma Medea‘ bestaunt werden. Bei der aktuellen Inszenierung ist jedoch nicht nur die Begeisterung seitens Rößler eine andere als 2006: „Im Rückblick auf die damalige Arbeit muss ich sagen, dass ich den Text zu dieser Zeit mehr als einen großen Spaß empfunden habe und die wirklich auszulotenden Tiefen von Lanoye nicht verstanden hatte. […] Ich war einfach noch zu jung, noch nicht Vater und hatte auch die Trennung von der Mutter meiner Tochter noch vor mir und nicht durchlebt.“

Auch die Umsetzung ist grundlegend verschieden.
2006 spielten Kinder in einem Getränkelager fiktiv die Reise der Argonauten und die Kolcher trugen Getränkekästen als Schuhe, um in ihrer Bewegung größer und archaischer als die Argonauten zu erscheinen.

Für diese Differenzierung der Bewegungen bedient sich Rößler in der aktuellen Inszenierung der Technik des japanischen Bunraku-Theaters.

Während jedoch im traditionellen Bunraku Figuren von schwarz verhüllten Puppenspielern bedient werden, transformiert Rößler diese Technik, so dass lebendige Tänzerinnen von den ‚Puppenspielern‘ über die Bühne geführt werden.

Die der Figurenbewegung nachempfundenen Gesten der Tänzerinnen lösten beim Publikum zunächst eine gewisse Irritation aus, welche jedoch schnell in Faszination und Begeisterung überging. Ähnlich verhielt es sich mit der Stimmgebung. In Analogie zum Bunraku gaben die Tänzerinnen keinen Laut von sich. Die Stimmen wurden ihnen von Schauspielern aus dem Publikum verliehen.
An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass die Elemente aus dem Bunraku-Theater nur bei den Kolchern angewendet wurden. Dadurch grenzten sich die zwei Kulturen – Kolcher und Griechen – allein schon durch ihre Bewegungen voneinander ab. Hinzu kamen noch Unterschiede in der Sprechweise.  Während die archaisch-magische Welt der Kolcher durch klassische Verssprache gekennzeichnet ist, sind die Dialoge der Griechen der Alltagssprache entlehnt.

Und genau an diesem Aspekt der kulturellen Unterschiede setzt sich Rößlers Begeisterung für die Thematik fort. Es ist nicht nur seine eigene Weiterentwicklung, die die heutige Faszination für den Medea-Mythos ausmacht, sondern auch die Thematisierung des ‚Clash of Cultures‘, der laut Rößler aktuell mehr denn je spürbar sei.
Dieser ‚Clash of Cultures‘ fand sich auch in der Gestaltung der Bühne wieder. Simone Steinhorst erfand im ersten Teil eine karge Wüstenlandschaft mit rotem Wüstensand – Kolchis – und setzte dieser im zweiten Teil eine Art Garten eines modernen Einfamilienhauses – Korinth –  mit Schaukel, Sandkasten und buntbemalter Federwippe entgegen.

Sonka Vogt als Medea, vorne, und Martin Maecker als Jason. Foto Ramon Haindl

Frisch von der Schauspielschule für Musik, Theater und Medien in Hannover ist Sonka Vogt (*1988) seit dieser Spielzeit ein neues Gesicht im Ensembles des Hessischen Landestheaters und hat nun die Rolle der Medea übernommen. Trotz einiger Versprecher, vermutlich auf Nervosität zurückzuführen, glänzte sie in ihrer Rolle. Durch ihre kühle und strenge, aber zugleich leidenschaftliche und natürliche Ausstrahlung entfaltete sie die vielen Facetten der Medea-Charaktere: Mitfühlend, kraftvoll, egozentrisch, hysterisch und verletzlich.

Die durchdringende Liebe zu Jason und ihren Kindern stand der absoluten und kompromisslosen Rache diametral gegenüber. Sonka Vogt hat diese Emotionsflut durch ihre Spielweise über das Publikum hereinbrechen lassen und dadurch die Frage nach der Schuldfähigkeit Medeas durch die Komplexität der Emotionen schier unbeantwortbar gemacht.

König Aietes im Vordergrund begeht beim Anblick seines ermordeten Sohnes Apsyrtos, im Hintergrund, Suizid. Foto Ramon Haindl

Begeisternd wurde auch die gestische Darstellungsweise von Kirke durch Regina Vogel, Lea Maria Elisabeth Spahn und Anna Kristina Lucas aufgenommen. Durch ihre Bewegungen bezirzten sie förmlich die Zuschauer.
Charles Toulouse (Telamon) war in seiner dramatisch-verstörten und zugleich schockiert-entrüsteten Nacherzählung von Kreusas Tod überzeugender als Martin Maecker in seiner Rolle als Jason. Seine emotionale Spielweise wurde von einigen im Publikum beschmunzelt. Grund dafür kann jedoch auch die Darstellung eines verweichlichten Männerbildes sein, dass anscheindend immer noch eher als belustigend, statt ernst wahrgenommen wird.
Die Inszenierung und die schauspielerischen und tänzerischen Leistungen wurden bei der Premiere mit stürmischem Applaus belohnt. Nicht zuletzt, weil Regisseur André Rößler wie in seinen vorangegangenen Inszenierungen am Hessischen Landestheater – ‚Antigone‘ und ‚Die schmutzigen Hände‘ –  die Interaktion zwischen Schauspielern und dem Publikum, beziehungsweise dem Souffleur Bernd Kruse gewollt einsetzt, um den Bühnenraum mit seinen klassischen Grenzen aufzulösen. Der Aufführung wird damit Dynamik verliehen, die Zuschauer zweieinhalb Stunden mitreißt.

André Rößler wird mit Beginn der Spielzeit 2013/2014 Oberspielleiter am Theater Vorpommern. Auf die Frage, wie es dann zukünftig mit der Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Hessischen Landestheater aussähe und, ob weitere Inszenierungen geplant seien, antwortete Rößler: „Das wird sich zeigen. Es gibt auf jeden Fall ein Angebot für 2014 vom Theater. Ich habe mir für meine Greifswalder Zeit sichern lassen, dass ich auf jeden Fall eine Inszenierung pro Spielzeit auswärts mache. Ob diese in Marburg sein wird, muss dispositionell noch abgeklärt werden. Ich habe jedenfalls bisher sehr gute Erfahrungen in Marburg gemacht. Das Haus vertraut mir und ich genieße es, so frei drauflos arbeiten zu können. Mal sehen ob es wieder klappt.“
Die nächsten Aufführungen von ‚Mamma Medea‘ sind am 27. November, 11. Dezember und 12. und 16. Januar, jeweils von 19.30 Uhr.

 

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