Willkürliche Vernichtung wäre schlimmster nicht zu tolerierender Frevel – Der Naturschutzbeirat zum Botanischen Garten
Marburg 6.12.2012 (red) Die Öffentlichkeit in der Universitätsstadt Marburg und in der Region ist aufgeschreckt. Viele, sehr viele Menschen sind in Sorge um die Zukunft des Botanischen Gartens auf den Lahnbergen. Das weitere Bestehen der über Jahrzehnte aufgebauten wissenschaftlichen Einrichtung der Philipps-Universität ist akut gefährdet. Pläne für einen weitgehenden ‚Rückbau‘ der wichtigen Institution wurden von Universitätspräsidentin Krause als ‚Konzept‘ im Sommer an das Land Hessen übergeben. Im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) und damit weit weg von Marburg sollte unter Ausschluß der universitären und breiten Öffentlichkeit entschieden werden.
Diese Vorgehensweise und Strategie der Marburger Unipräsidentin ist gescheitert. Ihre Planvarianten wurden veröffentlicht. Die Hintergründe sind gegen alle Anstrengungen der Kunsthistorikerin Prof. Dr. Katharina Krause publik gemacht worden. Das hat viele Akteure aufmerken lassen. In ihren Stellungnahmen lehnen sie es klar und eindeutig ab, den Marburger Botanischen Garten bis zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln – einen ‚Rückbau‘ also Abriß der unverzichtbaren Gewächshäuser inbegriffen. Am 16. November hat die Redaktion von das Marburger. bei einem Ortstermin mit dem Vorsitzenden des Naturschutzbeirats der Stadt Marburg, Prof. Hans Wilhelm Bohle, über das Thema gesprochen. Der Marburger Hochschullehrer i.R. und Biologe bekundete großes Interesse mit Kollegen seines Fachgremiums Stellung zu beziehen und wichtige Informationen und Aussagen für die Öffentlichkeit zu erabeiten.
Wie, warum und seit wann sind Sie mit dem Botanischen Garten verbunden ?
Im Naturschutzbeirat begann vor etwa zwei Jahren eine intensive Diskussion über die Konsequenzen der Reduktionspläne des Botanischen Gartens. Im Vordergrund stand die Frage der Gefährdung der Pflanzensammlungen und der ‚Ex situ-Haltung‘ gefährdeter heimischer Pflanzen (Begriffserklärung unten).
Wie hat sich der Botanische Garten im Lauf der Zeit entwickelt ?
Der Botanische Garten hat sein Angebot hinsichtlich Naturerlebnis- und Informationsmöglichkeiten erheblich erweitert und damit an Attraktivität für Besucher gewonnen: Dazu tragen bei: die Schauhäuser mit verschiedenen thematischen Schwerpunkten (Kanaren-, Outback- (Australien), Tropen-, Farn-, Sukkulenten-, Schmetterlingshaus), sowie die Anlagen im Freiland mit den bedeutenden Rhododendron-Beständen, dem großen Alpinum, dem Arboretum, der Farnschlucht. Die beeindruckende botanische Vielfalt, insbesondere der Aufbau der Sammlungen seltener und gefährdeter Pflanzenarten begründet die Bedeutung des Botanischen Gartens für den Natur- und Artenschutz.
Welches sind die Hauptmerkmale und Schwerpunkte des Botanischen Gartens ? Arbeitet der Botanische Garten mit anderen Institutionen zusammen und worum geht es bei solcher Zusammenarbeit ?
Die Vielfalt der Pflanzenbestände. Darunter sind aus Sicht des Natur- und Artenschutzes die Pflanzensammlungen besonders wichtig, weil sie viele seltene oder am natürlichen Standort gefährdete Arten enthalten, die einen großen Wert besitzen und in der Regel aus ihrer Heimat nicht wieder beschafft werden können. Diese Pflanzen werden in Abstimmung mit den übrigen Botanischen Gärten gehalten und im Bedarfsfall zur Verfügung gestellt. Es besteht also ein Netzwerk, in das der Marburger Botanische Garten einen bedeutenden Pool an Pflanzen und an Erfahrung im Umgang mit diesen Pflanzen einbringt. Die Erhaltung dieser Pflanzenbestände und ihre Verfügbarkeit setzt eine professionelle, aufwendige Pflege voraus, bei der es nicht nur um den Erhalt der Pflanzenarten sondern auch auch um den Erhalt der genetischen Identität bzw. der genetischen Vielfalt in den Populationen geht. Dies alles wird hier sachgerecht geleistet und sorgfältig dokumentiert, um die Nutzer genau über den Status zu informieren. Weitere Institutionen in der Zusammenarbeit sind u. a. die Arbeitsgruppe Erhaltungskulturen, die Obere (RP Gießen) und Untere Naturschutzbehörden sowie die FENA (Forsteinrichtung, Abt. Naturschutz). Zu dieser professionellen Arbeit gehört auch eine eigenständige Ausbildung der Gärtner. Wir hoffen sehr, dass diese nicht gefährdet ist und dass die angekündigte Beendigung der Ausbildung nicht verwirklicht wird.
Welche Bedeutung hat der Botanische Garten in fachlicher, wissenschaftlicher und überörtlicher Betrachtung ?
Das Angebot des Botanischen Gartens wird vor Ort in Forschung und Lehre in der Universität genutzt, insbesondere in den Fachbereichen Biologie, Pharmazie. Besondere Bedeutung besitzt die überregionale Verflechtung im Austausch mit anderen Gärten und anderen Wissenschaftlern. Die Teilnahme an diesem Austausch setzt voraus, dass die Pflege von Pflanzen langfristig vorgenommen wird, unabhängig von einem kurzfristigen Bedarf.
Bei der „Ex situ“-Haltung handelt es sich um die Pflege und kontrollierte Vermehrung von Pflanzen, die am natürlichen Standort gefährdet oder ausgestorben und für eine erneute Ansiedlung am natürlichen Standort vorgesehen sind. Insgesamt sind derzeit 35 Pflanzenarten in diesem Programm erfasst, unter anderen Pulsatilla (Küchenschelle), Arnica und verschiedene Erdorchideen. Dazu gehört beispielsweise die Pflege von Pflanzen, zum Beispiel Orchideen von hessischen Standorten, die in Kooperation mit der Oberen Naturschutzbehörde beim Regierungspräsidium wahrgenommen wird.
Welche Bedeutung kann oder könnte der Botanische Garten in der Zukunft haben, Stichwort Biodiversität ?
Das ‚Artensterben’, die globale Gefährdung von Pflanzen und Pflanzengesellschaften hat zur Formulierung der ‚Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt’ (= Biodiversität) geführt. In den Zuständigkeiten diverser Verantwortlicher findet sich immer wieder der Botanische Garten als Ort zur Wahrung der Biodiversität.
- Aufgaben der EU und der nationalen Regierungen sind danach im botanischen Sektor: „Zusammenführung und Vernetzung von Akteuren des botanischen Artenschutzes (Länder, Universitäten, Botanische Gärten, Verbände etc.)“.
- Für die Länder/Kommunen gilt: „Unterstützung von Botanischen Gärten und anderen Akteuren des botanischen Naturschutzes“
- Die Aufgaben der Länder zum Artenschutz beinhalten: „Unterstützung von Botanischen Gärten und weiteren Ex-situ-Sammlungen“.
Jedoch ergibt sich daraus leider eine Verantwortungsdiffusion bei unklarer Lage der Zuständigkeiten: Die internationalen Verträge zum Schutz und Erhalt der Biodiversität im Rahmen der Biodiversitätskonvention sind von der Bundesregierung abgeschlossen worden. Die Botanischen Gärten gehören jedoch in die Zuständigkeit der Länder. Das gibt leider gute Voraussetzungen dafür, nichts zu tun und die Verantwortung jeweils zur anderen Seite zu verschieben. Das gleiche gilt anscheinend für die Zuständigkeit innerhalb der Landesregierung.
Wie beurteilen Sie die Beantwortung der Kleinen Anfrage zum Botanischen Garten durch Umweltministerin Lucia Puttrich ?
Diese sogenannte Antwort auf die kleine Anfrage der Abgeordneten Spies und Gremmels umgeht eine Antwort. Dies zu erklären bleiben nur folgende Möglichkeiten:
a) Die beantwortenden Ministerien haben das Problem nicht verstanden, was erstaunlich wäre, denn die oben genannten Strategien zur biologischen Vielfalt sollten als wichtiges Dokument zumindest dem fachlich zuständigem Ministerium bekannt sein.
b) Die beantwortenden Ministerien wollen Ihre Verantwortung nicht wahrnehmen.
Wird die Beantwortung der Anfrage wesentlichen Merkmalen und der Bedeutung des Gartens gerecht?
Nein.
Was halten Sie von Plänen den Garten aus Kostengründen zu verkleinern ?
Im Detail ist diese Frage unsererseits nicht zu beantworten. Wesentliche Einsparungen in den zentralen Funktionsbereichen (Gewächshäuser, Personal) dürften mit einer Flächenverkleinerung kaum zu erreichen sein.
Was sind Ihre Vorstellungen und Vorschläge zur Zukunft des Botanischen Gartens ?
Eine ausreichende Unterstützung zu einer kontinuierlichen Weiterentwicklung. Die derzeit vom Botanischen Garten wahrgenommenen Aufgaben in der Pflege der Pflanzensammlungen sind so wichtig, dass es ethisch und politisch nicht zu vertreten ist, sie aufzugeben. Die willkürliche Vernichtung der nicht wieder zu beschaffenden Pflanzenbestände wäre schlimmster nicht zu tolerierender Frevel. In den Bereichen Öffentlichkeitsangebote, Bildungsaufgaben für Schulen und Belangen für die interessierte Öffentlichkeit könnte eine Co-Finanzierung durch Kommunen sinnvoll und möglich sein.
Verträgt der Garten einen personellen Aderlass und was würde ein solcher bedeuten ?
Die Frage ist von uns nicht konkret zu beantworten. Informationen von Betroffenen und Kennern der Problematik scheinen zu belegen, dass die Personalausstattung nach den Kürzungen der letzten Jahre an der unteren Grenze des vertretbaren angekommen ist.
Werden die gegenwärtigen Pläne von Universitätsleitung und / oder dem Wissenschaftsministerium der Einrichtung gerecht ?
Nein – bezüglich des Ministeriums. Über die aktuellen Pläne der Universitätsleitung sind wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ausreichend informiert. Ein Gespräch mit der Präsidentin der Universität ist geplant.
Weiß man dort den Garten richtig einzuschätzen und hat man demgemäß eine gebührende Entscheidungsgrundlage ?
Die Antwort der Ministerin lässt nicht erkennen, dass ihr die vom Botanischen Garten wahrgenommenen Aufgaben gegenwärtig waren, denn sonst hätte sie den Bereich Biodiversität umfassender berücksichtigen müssen. Andere Länder, zum Beispiel NRW und Brandenburg, fördern und finanzieren konkret den Schutz bestimmter Pflanzenarten durch Botanische Gärten.
Der Naturschutzbeirat hatte in der Vergangenheit Abgeordnete aller im Landtag vertretenen Fraktionen über seine Sorgen hinsichtlich des angedrohten Niedergangs des Botanischen Gartens informiert und sie zu einer Information nach Marburg eingeladen. Leider hatten nur die Abgeordneten der SPD und der Grünen dieses Angebot wahrgenommen. Wir hatten den Eindruck, dass diese Informationsmöglichkeiten in beiden Fällen als aufschlussreich erlebt wurden und zum Verständnis der anstehenden Probleme beigetragen hatten.
Wird der Botanische Garten gebraucht oder ist er verzichtbar ?
Ein Verzicht wäre ein schwerer Verlust, nicht nur für die zu erwartenden Aufgaben des Natur- und Artenschutzes.