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Mittelschicht in Deutschland schrumpft seit 15 Jahren – Sozialer Aufstieg gelingt immer seltener

Logo Bertelsmann StiftungMarburg 15.12.2012 (pm/rd) Die Mittelschicht in Deutschland schrumpft. Seit 1997 ist ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung um 5,5 Millionen Menschen oder von 65 auf 58 Prozent zurückgegangen. Besonders ausgeprägt ist dieser Rückgang in der unteren Hälfte der Einkommensmittelschichten, deren Anteil sogar um 15 Prozent geringer ist. Umgekehrt ist der Anteil der Menschen in den unteren und untersten Einkommensschichten um knapp vier Millionen Personen gewachsen. Gleichzeitig macht sich in den Mittelschichten inzwischen jeder Vierte latente Sorgen, seinen heutigen Status zu verlieren. Der Grund für die Entwicklung: Immer weniger Menschen gelingt der Aufstieg aus den unteren Einkommen in die Mittelschicht. Und selbst eine gute Ausbildung ist heute kein Garant mehr für ein Leben in gesichertem Wohlstand.

Der Befund ist das Ergebnis einer Analyse der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut der Wirtschaft (DIW) und der Universität Bremen. Danach nimmt seit 1997 der Anteil der Haushalte ab, die auf ein verfügbares Einkommen zwischen 70 und 150 Prozent des mittleren Einkommens zurückgreifen können. Lag der Anteil dieser Einkommensmittelschicht an der Gesamtbevölkerung Mitte der 1990er Jahre noch bei 65 Prozent, so hat er sich bis 2010 auf 58 Prozent reduziert. In absoluten Zahlen bedeutet dies einen Rückgang von 5,5 Millionen auf nunmehr 47,3 Millionen Personen. Besonders ausgeprägt ist der Rückgang in der unteren Hälfte der Einkommensmittelschicht (70 bis 110 Prozent des mittleren Einkommens).

Demgegenüber ist der Anteil unterer und unterster Einkommen (weniger als 70 Prozent des Medians) seit 1997 um fünf Prozent bzw. knapp vier Millionen Personen gestiegen. Am oberen Ende der Einkommensschichtung zeigt sich ein heterogenes Bild: Dort ist die Zahl der Spitzenverdiener (mehr als 200 Prozent des Medians) leicht angestiegen, während sich die Einkommensoberschicht kaum verändert hat.

Zwei Entwicklungen bestimmen dabei die Dynamik der gesellschaftlichen Mitte. Der Aufstieg in die Mittelschicht gelingt immer seltener. Die Mitte wächst nicht mehr durch einen Zustrom aus unteren Einkommensschichten und Verharrungstendenzen nehmen zu. Gleichzeitig verfügt die Mittelschicht aber über zunehmend bessere Bildung und höhere berufliche Positionen. Zudem bestehen weiterhin Aufstiegschancen aus der Mitte heraus nach oben. Auch aus diesem Grund schrumpft die Mittelschicht. Obwohl die Einkommensmobilität insgesamt eher gering ist, sind die unteren Einkommen der Mittelschicht gefährdet, in einkommensschwache Bereiche abzurutschen. Auch wenn weiterhin gute Chancen für höhere Einkommen bestehen, aus der Mittelschicht aufzusteigen, überwiegt die Abstiegs- gegenüber der Aufstiegsmobilität.

„Aufwärtsmobilität auf breiter Front ist eine Grundvoraussetzung für die Soziale Marktwirtschaft und den Zusammenhalt der Gesellschaft“, so Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung. „Alle müssen eine realistische Chance haben, durch eigene Anstrengung die ökonomische Leiter hinaufzuklettern.“

Die Studie zeigt jedoch, dass es weniger Bewegung zwischen den Einkommensschichten gibt. Nach dem Abstieg einer Person aus der Mittelschicht, fällt es heute schwerer, wieder in höhere Einkommensschichten aufzusteigen. 70 Prozent der unteren Einkommen finden sich nach drei Jahren immer noch in der gleichen Schicht wieder (2000: 67 Prozent). Eine ähnlich steigende Verharrungstendenz ist für hohe Einkommen zu erkennen (2000: 66 Prozent, 2010: 74 Prozent). Das Risiko, eine hohe Einkommensschicht wieder zu verlassen, hat sich demnach in den letzten Jahren verringert.

Die Entwicklung der Vermögen verläuft ähnlich den Einkommen. Die mittleren Vermögensgruppen verzeichnen zwischen den Jahren 1995 und 2010 einen Rückgang um knapp 6 Prozent. Diese Entwicklung ist aber in Westdeutschland ausgeprägter als in Ostdeutschland. Während die Vermögensmittelschicht in Westdeutschland an Umfang verliert (1990: 41 Prozent, 2010: 32 Prozent), gewann die Vermögensmittelschicht seit der Wende in Ostdeutschland an Bedeutung (bis 1998) und stagniert seitdem (1990: 28 Prozent, 1998: 39 Prozent, 2010: 36 Prozent). Die Vermögen in Ostdeutschland weisen dabei aber ein deutlich niedrigeres Niveau auf.

Dabei spiegeln sich die Einkommens- und Vermögensentwicklung auch im Bewusstsein der Menschen. Fragt man die Mittelschicht nach ihren Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation, so sind diese in den letzten 10 Jahren angestiegen. Große materielle Sorgen machen sich heute etwa 25 Prozent (2000: 15 Prozent). Zugleich ist der Anteil derer, die angeben, sich keine Sorgen zu machen, gesunken (2000: 37 Prozent, 2010: 25 Prozent). Dazu trägt bei, dass mittlere Bildungsabschlüsse wie Ausbildung und Realschule ihre subjektiv wahrgenommene Schutzfunktion vor ökonomischen Risiken eingebüßt haben. Die Entwicklung der Sorgen verläuft für niedrige und mittlere Bildungsgruppen in Westdeutschland weitgehend ähnlich. In Ostdeutschland sorgen sich mittlere Bildungsgruppen sogar stärker als untere Bildungsgruppen.

Drei Ursachen können für die Entwicklung der Einkommensmittelschicht in Deutschland identifiziert werden, so die Einschätzung in der Studie: Veränderungen in der Haushaltsstruktur, Steuerreformen und ein Wandel der Strukturen des Arbeitsmarktes. Mit Hinblick auf demographische Veränderungen ist die Zunahme der Einpersonen- und Alleinerziehendenhaushalte an allen Privathaushalten zu nennen (1991: 34 Prozent 2010: 40 Prozent). Dieser Trend ist in Ostdeutschland mit einer Zunahme von 10 Prozent besonders ausgeprägt. Mehr Einpersonenhaushalte führen zu größerer Einkommensungleichheit, da keine Ersparnisse durch gemeinsames Wirtschaften wie in größeren Haushalten erzielt werden.

Ein weitere Ursache sind die Steuerreformen seit Mitte der 1990er Jahre, die zu einer Senkung des Spitzensteuersatzes führten. Davon profitierten einkommensstarke Personen überproportional. Die Mittelschicht wurde dagegen deutlich weniger von den geänderten Steuertarifen entlastet. Die Arbeitsmarktreformen und der Rückgang bei den Normalarbeitsverhältnissen können als weitere Ursache für das Schrumpfen der Mittelschicht angeführt werden. Die entstandenen atypischen Beschäftigungsverhältnisse sind in der Regel durch eine unterdurchschnittliche Entlohnung gezeichnet. Gründe für die strukturellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt liegen unter anderen im sinkenden gewerkschaftlichen Organisationsgrad und in einer rückläufigen Nachfrage nach gering qualifiziert Beschäftigten.

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